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Aus dem 1. Kapitel des Romans "Trümmerkind"

l. MATUSOWICZ, DER JUD'
II. Teil

Den Autoverkehr in Fürstenfeldbruck konnte man damals noch vergessen. Auf der Landsberger Straße, wo ich wohnte, gab es keine einzige Ampel und nur eine verschwollene, pappige Teerdecke. Die Hackinger Renate und unser Bäckergeselle, der Eisenberger Rudi, spielten jeden Abend quer über die Straße Federball, und einmal mussten sie zwei Mark zahlen, weil die Brucker Stadtpolizei sie erwischte.

Eines Nachmittags also stiefelte ich einfach los und war nach einer guten Viertelstunde Fußmarsch in der Pucher Straße, wo der Goldbrom angeblich wohnte, und wollte ihn mir ansehen. Es gab aber nichts, was aufgefallen wäre: Beim Erlbeck verkauften sie ihre zwiefach genähten Haferlschuhe und beim Hacki die Bügeleisen und Tauchsieder - Waschmaschinen kamen gerade erst auf. Die Straßenjungen, deren Revier ich vorwitzig betreten hatte, musterten mich halb herablassend, halb feindselig. Für einen ernsten Konflikt war ich wohl noch zu klein. Ich schaute auf ein paar Klingelschilder, aber ich konnte noch nicht lesen. Insgesamt, fand ich, sah es schon so aus, als wohnten dort Leute - ähnlich wie bei uns in der Landsberger Straße -, aber nicht unbedingt so, als ob derJud' da wohnte. Für einen Moment wuchs meine Gewissheit: Als ich Amerikanisch hörte, jene breit geknödelte Sprache, die wir immer nachäfften, ohne sie zu verstehen. Wo der Amerikaner war, da war sofort der Jud', das hatte ich gelernt.

Dass der Amerikaner allerdings genauso wenig taugte, das war mir in frühester Kindheit beigebracht worden. Mein Vater hasste ihn wie die Pest. Das hatte damit zu tun, dass er sich nach dem Krieg auf einem Kohlenzug liegend von Schleswig nach Hause durchgeschlagen hatte, geschwächt von einer frischen, noch verheilenden Beinverwundung. In Augsburg hatten ihn einige GIs erwischt, ihn vom Zug gezerrt und ihn so lange mit Gewehrkolben misshandelt, bis er bewusstlos auf dem Bahnsteig liegen blieb. Damit war der Amerikaner natürlich für ihn gestorben.

Außerdem, so berichtete er, habe es im Anschluss an die Kapitulation viele Übergriffe des Amerikaners gegen die Zivilbevölkerung gegeben. CIC-Leute hätten in Brück sogar schwangere Frauen zu falschen Geständnissen geprügelt. Und im Emmeringer Gefangenenlager hätten sie sich einen Spaß daraus gemacht, mit dem MG jede Nacht einmal über das Lager zu mähen, wo die Gefangenen im Schlamm schliefen. Die Toten hätte am nächsten Tag immer der Bichler mit seiner Spedition abgeholt.

Mein Vater führ damals einen großen DKW-Kastenwagen, mit dem er das Brot aus unserer Bäckerei an seine Kunden auslieferte. Einmal führen wir die Feldstraße in Richtung Fliegerhorst entlang, als uns ein amerikanischer Armeelastwagen entgegenkam. Auf der Ladefläche saßen ein paar gut aufgelegte GIs, darunter zwei Schwarze. Sie waren so gut aufgelegt, dass sie uns auf der falschen Fahrbahn entgegenkamen und mein Vater auf die Gegenspur ausweichen musste. Verbittert zischte er, der Amerikaner dürfe sich bei uns heute ja alles erlauben. Da ich bereits wusste, was ich von ihnen zu halten hatte, streckte ich meinen Kopf aus dem Wagenfenster und zeigte ihnen die Zunge. Prompt zog einer der Schwarzen seine Pistole und zielte auf mich.

Da sah man genau, wie er war, der Amerikaner.

Jetzt also, in der Pucher Straße, hörte ich ihn wieder, den damals viel gehassten und einschüchternden Kauderwelsch. Argwöhnisch blickte ich die vier GIs an, die in Zivilkleidung vor dem Elektro-Hacki standen und sich angeregt unterhielten. Das war auch so etwas, was viele damals ärgerte: Dass sie nicht nur den Krieg gewonnen hatten, sondern auch noch unentwegt gut aufgelegt waren. »Weil, mir haben ja verlorn! Da hamma freilich nix zum Lachen!«

Sicher hätten die vier Amerikaner mir sagen können, wo ich den Jud'jetzt finde, denn warum wären sie sonst hier gewesen. Nur beherrschte ich ihre Sprache nicht, und mein Kinderbayerisch hätten sie gewiss nicht verstanden. So schob ich mich an ihnen vorbei, bemüht, nicht bemerkt zu werden, weil man ja nie wusste, was sie mit einem taten. Obwohl, wenn man den Berichten verschiedener meiner Altersgenossen glauben konnte, schenkten sie Kindern Schokolade und mengenweise Kaugummi. Einer aus unserer Kinderbande hatte sogar einen kleinen Ami zum Freund und sagte, seine Eltern seien sehr nett und gäben ihm immer Benedikt-Eier. - Da hatte er uns was voraus. Von uns bekam keiner Benedikt-Eier, denn so was kannte man hier nicht. Außerdem erklärte meine Oma mir, dass wir so was auch nicht brauchten von denen, weil wir jetzt selber wieder Eier hätten. Stimmte allerdings: Opa hatte im Holzschuppen zwei zerrupfte Hühner gehalten, deren Eier er täglich roh austrank. Später ersetzte er das Federtier durch zwei Karnickel, deren blutige Felle ich irgendwann in der Aschetonne hinter der Backstube fand.

So viel also zum Amerikaner. Ohne Zweifel schien er eine ziemlich üble Kreatur zu sein. Andererseits, in unserer ganzen Straße war bekannt, dass bei unserer Nachbarin, der Bächtlin, einer lauten und hässlichen Schwäbin, abends immer der Amerikaner kam, besonders die Schwarzen. Der alte Bächtle, ein schlichter und wortkarger Hilfsarbeiter, zündete sich dann sein Pfeifchen an und ging für eine halbe Stunde hinters Haus in seinen Holzschuppen. Oft kamen mehrere Amerikaner, dann ging einer von ihnen ins Haus hinein, und die anderen unterhielten sich gut aufgelegt vor der Haustür und lachten, bis er wieder rauskam. Dann ging der Nächste hinein. Und der Bächtle saß einfach etwas länger in seinem Holzschuppen, wo er ungestört rauchen konnte. Es schien mir so, dass der Amerikaner zwar ein übler Bursche war, andererseits aber auch recht sympathische und großzügige Seiten haben musste, denn sonst hätten die Bächtles ja nicht so viel Besuch von ihm bekommen.

Und wenn das möglich war, dachte ich mir, inzwischen vieroder fünfjährig, dann war nicht auszuschließen, dass das beim Jud' auch so sein konnte. Der Jud' auf einmal mit angenehmen Seiten! Es wurde immer unübersichtlicher. Wenn man halt nur einmal einen zu sehen bekäme.

Fortsetzung...

hagalil.com 19-06-2002


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