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Passion Christi:
Mel Gibsons Film zwischen Fakten, Fantasien und Fundamentalimus

Von Iris Noah

Schon vor dem deutschen Kinostart der "Passion Christi" und noch vor den ersten Pressevorführungen braust es durch den deutschen Blätterwald und die Fronten formieren sich.

Beispiellose Brutalität und Antisemitismus sind die Vorwürfe, die diesem Film vorauseilen. Wie kann man in dieser emotional aufgeladenen Situation mit Mel Gibsons Film umgehen?

Die Schwierigkeit, einen Film über die Leidensgeschichte Jesu zu drehen

Wer das Leiden und Sterben Jesu in eine fortlaufende Handlung umsetzen will und wie Mel Gibson den Anspruch hat, das Neue Testament eins zu eins zu verfilmen, steht vor vielfältigen Problemen.

Das Neue Testament ist kein historischer Tatsachenbericht, auch wenn es historische Details enthält. Es ist keine Biographie, auch wenn sich Biographisches darin spiegelt. Evangelium (griech. euangelion, wörtl. "gute Botschaft") ist eine literarische Stilform, wie "Brief" oder "Novelle", "Kurzgeschichte" oder "Gleichnis" eine ist. Der Aussageabsicht eines Evangeliums besteht darin, dass Menschen zum Glauben an Jesus als Messias finden. Dementsprechend werden bestimmte vorliegende Stoffe aus verschiedenen Quellen komponiert zum Beispiel Gleichnisse, Aussprüche von Jesus, Wundererzählungen, Heilungsgeschichten etc.

Wenn nun jemand einen Film dreht oder ein Passionsspiel verfasst, steht er vor Problemen, denn es gibt - im Hinblick auf die Evangelien - nur einige Eckpunkte:

  • jüdische Führungspersönlichkeiten hatten mit der Verhaftung zu tun
  • Jesus wurde angeklagt von jüdischen Führern
  • Petrus streitet ab, dass er Jesus kennt
  • Pilatus verhört Jesus
  • Jesus wird angeklagt und verurteilt
  • Jesus wird gekreuzigt mit zwei anderen, die als politische Aufwiegler gelten
  • Soldaten verteilen unter sich die Kleidung von Jesus
  • Jesus stirbt an einem Kreuz und darauf wurde geschrieben: "König der Juden".

Und selbst zu diesen scheinbar gesicherten Eckdaten liefern die vier Evangelien nach Markus, Matthäus, Lukas und Johannes höchst unterschiedliche Versionen.

  • der Hohepriester klagt Jesus an oder auch nicht
  • nur bei Johannes wird davon ausgegangen, dass Pharisäer eine Rolle spielten
  • die Anklage erfolgt nachts oder morgens, im Haus des Hohenpriesters oder auch nicht
  • der Vorschlag der Freilassung von Barabbas kommt von jüdischen Führungspersönlichkeiten oder von Pilatus
  • Jesus wird ein bitteres Getränk angeboten vor oder während er am Kreuz hängt und er nimmt es an oder lehnt es ab
  • seine Kleidung wird zerteilt und verlost oder sein Übergewand bleibt ganz
  • die beiden neben ihm Gekreuzigten beschimpfen ihn oder einer beschimpft ihn und der andere sucht seine Zuwendung
  • Jesus wird nach dem jüdischen Kalender am 14. oder 15. Nissan getötet.

Jedes Passionsspiel und jeder Film über die Leidensgeschichte Jesu ist eine Kombination aus Fakten, Glaubensüberzeugungen und darstellerischen Mitteln. Jeder Regisseur entscheidet sich für bestimmte Details, lässt andere weg und nimmt möglicherweise noch weitere Motive aus Tradition, Legende, Liturgie oder Visionen hinzu. Diese Bearbeitung der Evangelientexte bestimmt die Koordinaten für den Deutungsrahmen und setzt mitunter deutliche Akzente in der Aussage.

Interpretation und Bildsprache

In vielen Publikationen wurde die Behauptung Mel Gibsons aufgegriffen und bestätigt, er habe nur das Neue Testament verfilmt - zwar in einer besonders brutalen Version - aber sich ansonsten jeglicher Interpretation enthalten. Die Filmsprachen sind Aramäisch und Latein mit Untertiteln. Was Mel Gibson jedoch zeigt, geht weit über die Textgrundlagen des Neuen Testaments hinaus. Er interpretiert sehr wohl und dies auf unterschiedlichen Ebenen und mit unterschiedlichen filmischen Mitteln.

Jesus (Jim Caviezel)
im Garten Gethsemane

Verhaftung Jesu

Der Film setzt im Garten Gethsemane ein. Die Jünger sind eingeschlafen. Jesus hat Angst und betet. Eine Schlange bewegt sich zischend auf Jesus zu. Man sieht, wie sein Fuß den Kopf der Schlange zertritt. Dann wird Jesus verhaftet und weggeführt. Diese Verhaftungsszene ist mit größtmöglicher Brutalität geschildert. Im Neuen Testament wird als einziger körperlicher Übergriff erzählt, dass Petrus einem Mann namens Malchus mit dem Schwert das Ohr abschlägt und Jesus diesen Mann heilt. Auch eine Schlange kriecht in keinem Evangelium durch den Garten Gethsemane.

Nachdem die Schlange im Paradies Eva verführt hat, sagt Gott zu ihr nach 1. Mose 3,15: "Und ich werde Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau, zwischen deinen Samen und ihrem Samen. Er wird dir den Kopf zermalmen und du wirst ihm die Ferse zermalmen".

In der christlichen Theologie heißt dieser Vers "Protoevangelium". Hier wird modellhaft etwas vom Heilsplan Gottes in Jesus aus christlicher Sicht deutlich: Jesus, der Same Evas wird der Schlange (= Satan) den Kopf zertreten. Die Kreuzigung von Jesus ist das Zermalmen der Ferse.


Die Wachen des Tempels zerren Jesus (Jim Caviezel) vor Gericht

Geißelung Jesu

Jesus wird in einem Hof gegeißelt. Er ist an einen Holzblock gefesselt und römische Soldaten schlagen mit unterschiedlichen Folterinstrumenten auf ihn ein, so dass ihm die Haut abgezogen wird. Unvorstellbar, dass jemand eine solche Folterorgie überleben kann. Doch Gibsons Jesus scheint sogar noch halbwegs bei Bewusstsein zu sein, als die römischen Soldaten ihn endlich fortschleppen. Zurück bleibt der blutverschmierte Holzblock auf den die Folterer ihn gefesselt hatten und an dem jetzt die Kamera zu Boden gleitet, um dem Betrachter riesige Blutlachen zu präsentieren. Als nächstes erscheinen Jesu Mutter Maria und Maria Magdalena. Sie sind mit weißen Tüchern ausgestattet und tupfen das Blut auf. Die Tücher triefen vor Blut, so dass man sie auswringen könnte.

Simon von Cyrene

Das Neue Testament erzählt, dass Simon von Cyrene vom Feld kam und gezwungen wurde, Jesus beim Schleppen des Kreuzes zu helfen. Kurz bevor sie bei der Hinrichtungsstätte ankommen, sagt Simon zu Jesus: "Wir sind gleich da". Auch wenn das nicht wörtlich im Neuen Testament steht, so ist eine solche Szene vorstellbar und widerspricht nicht der Gesamtaussage des Neuen Testaments.

Einige Zeit vorher hat jedoch ein - neutestamentlich nicht belegter - Tumult auf der Straße stattgefunden. Jesus war während seines Weges von Mitlaufenden geschlagen, verhöhnt und traktiert worden. Während dieses Tumults lässt nun Simon von Cyrene die Umstehenden wissen: "Wenn ihr nicht aufhört damit, dann trage ich das Kreuz nicht mehr weiter". Man stelle sich vor: Ein Landarbeiter revoltiert gegen die Angehörigen der Besatzungsmacht.


Simon von Zyrene (Jarreth Merz) hilft Jesus (Jim Caviezel), das Kreuz zu tragen

Kreuzigung

Als das Kreuz mit Seilen aufgerichtet werden soll und Jesus in der Luft hängt, werden die Seile losgelassen. Jesus fällt mit dem Kreuz auf dem Rücken aufs Gesicht. Als er am Kreuz hängt und von einem anderen Gekreuzigten verhöhnt wird, lässt sich auf dessen Kreuzesbalken ein schwarzer Vogel nieder und hackt ihm ein Auge aus. Der Kopf des Vogels ist von Blut durchtränkt.

Als Jesus tot am Kreuz hängt, sticht ihm ein Soldat mit einer Lanze in die Hüfte, aus der Wasser und Blut fließt, das sich wie ein Duschstrahl über den römischen Soldaten ergießt. Es ist die gleiche Bildsprache wie sie in Werbespots für Duschgels verwendet wird.


Jesus am Kreuz (Jim Caviezel)

Rückblenden

Gelegentlich gibt es kurze Rückblenden. Sie sind Schnappschüsse aus denen der Zuschauer kaum etwas über das Leben von Jesus erfährt. So ist eine Männergruppe zu sehen. Einer hält einen Stein. Jesus steht neben einer Frau und sagt: "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein". Wer die Geschichte von der Ehebrecherin nicht kennt, lernt sie auch dadurch nicht kennen. Die Zahl der Rückblenden steigt mit den Gewaltexzessen, denen Jesus ausgesetzt ist. Sie haben die Funktion, den geschundenen Körper mit dem makellosen Körper zu kontrastieren.

Antisemitismus-Vorwurf

Abraham Foxman von der Anti Defamation Legue und Marvin Hier vom Simon Wiesenthal Center waren die ersten, die erklärten, der Film sei antisemitisch. Daraufhin sahen sie sich mit dem Vorwurf konfrontiert, ihnen ginge es nur darum, mit ihrer Organisation in die Schlagzeilen zu kommen. Inzwischen hat sich die katholische Bischofskonferenz auf ihrem Halbjahrestreffen in Berlin geäußert und darauf hingewiesen, der Film könne "zu Missverständnissen bei solchen Menschen führen, die nicht mit dem christlichen Glauben vertraut sind". Zudem warne man eindringlich davor, das Leiden Christi als Instrument für Antisemitismus zu missbrauchen. Die Evangelische Kirche von Hessen-Nassau wies darauf hin, der Hass des Volkes auf Jesus nicht hinreichend erklärt werde, womit indirekt antisemitische Ressentiments geschürt würden.

Die Wurzeln solcher Vorurteile liegen schon in einigen Passagen des Neuen Testaments, insbesondere im Johannesevangelium begründet. Die Evangelien wurden zwei Generationen nach dem Tod von Jesus niedergeschrieben. In ihnen spiegeln sich die Konflikte zwischen Juden dieser Zeit untereinander und mit der Besatzungsmacht viel stärker, als die Gegebenheiten zur Lebenszeit Jesu. Die junge christliche Kirche hatte ein massives (Überlebens-)Interesse daran, Pilatus besser darzustellen und ihn zu entlasten auf Kosten der Juden bzw. des Hohepriesters Kaiphas.

"Wenn die Evangelien es so darstellen, als habe Pilatus Jesus für unschuldig erklärt und als läge die 'eigentliche Schuld' an dessen Tod auf jüdischer Seite, ja bei 'den Juden', so kommen darin Interessen einer späteren Zeit, lange nach Jesu Tod, zum Zuge. Die christliche Gemeinde, die sich im Römischen Reich ausbreitet, ist mit dem Odium behaftet, sie würde einem von Rom verurteilten Aufrührer anhängen. Um sich zu entlasten, präsentiert sie den Römer Pilatus als vermeintlichen 'Zeugen' für Jesu Unschuld und damit zugleich für ihre eigene Integrität. 'Die Juden' aber vermögen um so leichter pauschal angeschuldigt zu werden, als sich die Wege von Christen und Juden bereits zu trennen begonnen haben. Je weiter die Zeit voranschreitet, desto maßloser werden auf christlicher Seite die Anschuldigungen und die Ausdeutungen der vermeintlichen 'Schuld der Juden'. Für alles und jedes, was dem jüdischen Volk widerfährt, muss sie als Erklärungsgrund herhalten, ja mehr noch, man meint aus der angeblichen Schuld der Juden ein Recht ableiten zu können, sie zu diffamieren, zu diskriminieren und von Mal zu Mal ihrer Rechte zu berauben", erklärt Professor Peter von der Osten-Sacken vom Institut für Kirche und Judentum an der Humboldt-Universität zu Berlin.

In Mel Gibsons Film werden die Juden soweit sie nicht zum Jüngerkreis Jesu gehören als unsympathische Zeitgenossen meist in dunklem Schummerlicht gezeigt. Sie können Pilatus, der bei Gibson alles versucht, um Jesus zu retten, so unter Druck setzen, dass er gar nicht mehr anders kann als zu ihrem Erfüllungsgehilfen zu werden - die Juden als Strippenzieher im Hintergrund.

Wenn das Neue Testament mehrere Versionen eines Ereignisses liefert, entschied Mel Gibson sich jeweils für die Variante, bei denen die Juden am schlechtesten wegkommen. Zwei Evangelien erzählen, dass Jesus von den beiden Männern, die mit ihm gekreuzigt wurden, verspottet wurde. Ein Evangelium besagt, dass einer ihn verhöhnte und einer Jesus bat, an ihn zu denken. Ein Evangelium berichtet, dass Jesus mit zwei Männern gekreuzigt wurde, sagt aber nichts über deren Äußerungen. Der Einwand, auch die Römer seien negativ dargestellt, trifft so nicht zu, weil römische Charaktere in einer gewissen Variationsbreite dargestellt werden, Juden - soweit sie nicht dem Kreis um Jesus angehören - ausschließlich negativ gezeichnet werden.

Die Szenen im Film, die keinen Bezug zum Neuen Testament haben, verstärken vielfach das Negativbild, das von den Juden gezeichnet wird. Parallelen zum Werk der Augustinernonne Anna Katharina Emmerich (1774 - 1824) "Das bittere Leiden unseres Herrn Jesus Christus" sind deutlich. Sie hatte regelmäßig Visionen, in denen sie das Leiden von Jesus sah. In ihren Werken schlägt sich eine Jahrhunderte lange antijudaistische Polemik nieder.

Im Neuen Testament steht, dass Judas "hinging und sich erhängte" nachdem er Jesus verraten und dreißig Silberlinge erhalten hatte. In Gibsons Film jagen einige dämonisierte jüdische Kinder Judas und treiben ihn in den Selbstmord. In einer anderen Szene wird der bei seiner Gefangennahme blutig geschlagene Jesus vor Pilatus gebracht, der den Hohen Priester fragt: "Bestraft ihr immer eure Gefangenen bevor sie verurteilt worden sind?"


Jim Caviezel und Regisseur Mel Gibson am Set

Mel Gibsons Hintergrund

Der Regisseur gehört zu einer katholischen Splittergruppe, die ein fundamentalistisches Bibelverständnis propagiert und das 2. Vatikanische Konzil nicht anerkennt. Durch dieses Konzil (1962 - 1965) brachen viele verkrustete Strukturen in der katholischen Kirche auf und eine Modernisierung wurde eingeleitet. Auch Beobachter aus anderen Weltreligionen waren eingeladen, z.B. Abraham Heschel. Durch die Begegnungen mit jüdischen Gelehrten unterzog die katholische Kirche ihre Beziehung zum Judentum einer grundlegenden Revision.

Im Konzilsdokument Nostra Aetate distanzierte sie sich vom Vorwurf des Gottesmordes und verurteilte Antisemitismus in jeglicher Form. Auch der Judenmission wurde eine Absage erteilt. Die in der traditionellen Karfreitagsliturgie lautende Bitte um die Bekehrung der Juden "Oremus et pro perfidis Judaeis..." (lasset uns auch für die treulosen, unredlichen, ungläubigen Juden beten) wurde geändert in: "Lasst uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat. Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen".

Wenn Mel Gibsons Gruppe diese Entwicklungen zurückweist, dann geht es um mehr als nur um die Frage, ob eine katholische Randgruppe ihre Messe weiterhin auf Latein lesen will oder nicht.

Fazit

Würde man die bekannten christlichen Symbole wie Kreuz und Dornenkrone durch Marterpfahl und Stachelhalsband ersetzen, so hätte man ein archaisches heidnisches Menschenopferritual. Als Juden und Jüdinnen sollten wir uns nicht nur dazu äußern, inwieweit der Film nun antijudaistische Klischees transportiert oder nicht, sondern die Frage an die Christen zurückgeben, ob der Film das zeigt, was wir über ihre Religion lernen sollen: Eine Religion des Blutes, der Gewalt, der Schmerzen und der Brutalität.

Zum Weiterlesen:
Opfer im Judentum
Der Prozess Jesu aus Sicht des Jüdischen Rechts
Die Perversion des Rechts

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hagalil.com 15-03-2004


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