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Eine Filmstudie

Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen:
‚Hitler gefällt mir’

Von Ingolf Seidel

In einem Werkstattprojekt haben Studierende der Alice-Salomon Fachhochschule jugendliche Migrantinnen und Migranten im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg interviewt. Die vier Kurzfilme und eine Broschüre, die in diesem Zusammenhang entstanden sind, zeigen wie massiv verbreitet antisemitische Ressentiments bei türkisch- und arabischstämmigen Jugendlichen sind.

Die von den Lehrbeauftragten Katrin Becker und Levi Salomon initiierte Werkstatt war ursprünglich recht breit unter dem Thema „Fremdenfeindlichkeit“ angelegt, heißt es in der Broschüre mit dem Titel ‚Demokratiegefährdende Phänomene. Antisemitismus / islamischer Antisemitismus’. Rassismus, Antisemitismus, islamischer Antisemitismus und Politischer Islamismus sollten zum Ausgangspunkt der Recherchen gewählt werden. Diese breite Thematik wurde im Verlauf der Lehrveranstaltung auf die Problematik von Antisemitismus / islamischer Antisemitismus fokussiert.
 
Die Dichte des filmischen Materials, aber auch der gedruckten Version lässt im ersten Moment erschrecken über die Massivität und Selbstverständlichkeit mit welcher ein aggressiver Judenhass von den Interviewten geäußert wird.  Dessen Aufhänger ist immer wieder, zumal bei den arabischstämmigen Kindern und Jugendlichen, der Konflikt in Israel, der offensichtlich als Ticket zur Äußerung der antisemitischen Ressentiments fungiert.
So werden Elemente des christlichen Antijudaismus neu aufgelegt („Die töten sogar ein kleines Baby, was gerade geboren ist“[1]), in Zusammenhang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt gebracht und mit antiamerikanischen Invektiven oder verschwörungstheoretischen Phantasmen versetzt.
So äußert sich ein Junge in einem Gruppeninterview von Kindern zwischen 9 und 14 Jahren: „Ich wollte noch mal sagen dass das was mit dem World Trade Center passiert ist, wo die Amerikaner gleich dachten das sind bestimmt die Araber. Im Flugzeug hat man jedoch israelische Stimmen gehört. Und die Amerikaner dachten es wären arabische Stimmen und haben deshalb die ganzen Anschläge gemacht.“ In anderen Passagen des selben Interviews wird nicht nur Ariel Sharon unter Gelächter als „Schwein“ tituliert, sondern auch alle Juden.
 
Die in den Filmsequenzen präsentierte Form der Gruppeninterviews führt sicherlich dazu, dass sich die Kinder und Jugendlichen ‚unbefangener’ zeigen, was in diesem Zusammenhang bedeutet, ihren Vorurteilsstrukturen freien Lauf zu lassen. Die Gesprächspartner zeigen sich so sichtlich unbefangen.
Ein derartiges Setting nähert sich sicherlich der Alltagssituation der Befragten weitgehend an. Dieser sozialwissenschaftliche Ansatz einer qualitativen Befragung ist positiv zu bewerten, da er einen tieferen Einblick in die antisemitischen Vorurteilsstrukturen erlaubt, als es rein quantitative – also statistische - Methoden vermögen. Die Äußerungen der Jugendlichen mögen einen erschrecken lassen, da sie zeigen wie  jegliche Reflexion  zugunsten einer scheinbar pathischen Judeophobie ausfällt. Doch sie stellen eine Realität dar, die nicht mit mangelnder Integration, gesellschaftlicher Marginalisierung oder dem israelisch-palästinensichen Konflikt erklärbar ist. Die Gespräche zeigen zwar auch einige nachdenkliche und nicht durch massiven Antisemitismus geprägte Stimmen, doch bleiben diese, zumeist repräsentiert durch Jugendliche mit einem türkischen Familienhintergrund, in der Minderzahl.

Die antijüdischen Ressentiments zu dokumentieren und ihre Tiefe aufzuzeigen ist sicherlich ein Verdienst der Arbeit von Studierenden, wie auch der Dozenten. Deutlich treten die Bezüge von migrantischen Kindern und Jugendlichen zu Einstellungsmustern heraus, die sowohl Elemente eines christlichen Antijudaismus, klassische antisemitische Stereotype, als auch eines sekundären Antisemitismus enthalten können. So etwa wenn ein 20-jähriger Mann, dessen Eltern aus dem Libanon stammen, verlauten lässt: „Hitler gefällt mir. Tja der hat’s damals richtig gemacht. (...) weil die Juden machen es jetzt genau gleich mit den Palästinensern. Die haben das Land geklaut, knallen kleine Kinder ab, dies, das. Das hat Hitler auch mit denen gemacht damals und so machen sie’s jetzt bei uns und schade, dass nicht alle weg sind.“
Neben der Wiedergabe wahnhafter Ideologiefragmente zeigen die Interviews auch den medialen Einfluss arabischer Satellitensender auf. Levi Salomon bestätigte auf Nachfrage, dass die Befragten ihre ‚Informationen’ über Sender wie Al-Jazeera oder das Hizbollah-Tv Al-Manar beziehen, welches auch das Weltverschwörungsphantasma der ‚Protokolle der Weisen von Zion’ als 29-teilige Soap-Opera ausstrahlte.
 
Die Studie, welche Anfang Juli während einer Veranstaltung einem breiteren Publikum vorgestellt wurde, erhebt keinen Anspruch darauf repräsentativ zu sein. Angesichts des Mangels an empirischen Untersuchungen über die Einstellungsmuster von Berliner Migrantinnen und Migranten in Bezug auf Autoritarismus, Antisemitismus und Religion, kann das dem Projekt kaum vorgeworfen werden. Ein Mangel der Studie ist jedoch eine fehlende ideologiekritische Konzeptionalisierung des dargebotenen Materials. Eine solche mag in einem studienbegleitenden Werkstattprojekt nicht leistbar sein. Dennoch zeigt sich hier auch eine eklatante Lücke der Forschung zu Antisemitismus, wie auch im Umgang mit Islam und Islamismus.

Es scheint eine allgemeine Tendenz der Antisemitismusforschung zu sein, vor welcher Detlev Claussen schon Mitte der 90er Jahre warnte, „im Fahrwasser öffentlicher Verwertbarkeit unterzugehen“ und Antisemitismus als „isoliertes Phänomen“ zu betrachten.  Geschuldet ist dies unter anderem auch dem fehlenden Bezug, und der kaum vorhandenen Weiterentwicklung, einer kritischen Theorie der Gesellschaft. Eine solche Theorie zu stärken wäre eine dringliche Aufgabe auch der Antisemitismusforschung, wenn sie denn mehr als ein liberales, jedoch nur positivistisches, Feigenblatt darstellen will.

Zu spüren war die mangelnde Konzeptionalisierung in beinah allen Redebeiträgen der erwähnten Präsentationsveranstaltung. Ein wesentlicher Tenor dieser Veranstaltung war, dass man die ohnehin schon gesellschaftlich benachteiligten jugendlichen Migranten nicht weiter marginalisieren dürfe.
Problematisch an derartigen Äußerungen ist Verschiedenes. Zum einen scheint hier ein verkürztes Verständnis von Antisemitismus als scheinbar rationale Reaktion auf gesellschaftliche Marginalisierung durch. Als wäre dieser nicht vielmehr relativ unabhängig von sozialer Stellung und Bildungsniveau, sondern vielmehr, wie es der Berliner Politologe Lars Rensmann formulierte, „eine ideologische Denkform“ und eine „rationalisierte Paranoia mit psychosozialen Funktionen, die eine Reaktion autoritätsgebundener Subjekte auf die politischen, ökonomischen wie sozialen Umbrüche und Abhängigkeitsverhältnisse der modernen Gesellschaft darstellt.“

In diesem Zusammenhang wäre dringend zu untersuchen, ob nicht der Islam, besonders in seiner hegemonialen Form einer politisierten und ideologisierten Religion, der keine Prozesse der Individuation kennt und stattdessen von Denkweisen in Form der Gemeinschaft, also der Umma, geprägt ist, bestens geeignet ist verschwörungstheoretische Weltbilder aufzunehmen. Ebenso wäre genauer zu beleuchten, welche Charakterformen, im Sinne einer spezifisch modernisierten Form des autoritären Charakters eine Religion hervorbringt, welche die Welt manichäisch in Dar al-harb (Haus des Krieges) und Dar al-Islam (Haus des Islam) aufteilt, also in ein simples Schema von Gut und Böse. Die immer wiederkehrende Rede davon, dass der Antisemitismus ein, je nach Standpunkt, europäisches Export- oder Importprodukt ist, erklärt jedoch kaum dessen Virulenz in den arabischen und islamischen Gesellschaften oder bei muslimischen Migrantinnen und Migranten.
Die Banalität dieser Rede verschleiert eben so viel, wie der Verweis auf das sogenannte Goldene Zeitalter, also auf eine nur oberflächlich harmonischen und befruchtenden Koexistenz von Muslimen, Juden und Christen auf der eroberten iberischen Halbinsel. Vielmehr sähe sich die Antisemitismusforschung vor die Herausforderung gestellt Max Horkheimers Hinweisen nachzugehen, dass dem „Gottesbegriff des Propheten (...) Kriegszüge, gewaltsame Bekehrung, Ausrottung der Feinde niemals widersprochen“ haben und dass zur „nationalen Macht (...) der Islam besondere Affinitäten“ besitzt.

Die in der Islamischen Welt verbreitete Haltung sich nur als Opfer des westlichen Imperialismus zu präsentieren ist vor dem Hintergrund der Eroberungen und Scheußlichkeiten, welche im Namen des  Propheten geschahen, in dieser Einfachheit zurückzuweisen. Insgesamt wäre vielmehr der Islamismus als reaktionäre Revolte gegen die Moderne, und mit ihm stets einhergehend der islamische Antisemitismus, als eine moderne Variante eines fetischisierten Bewusstsein im globalen Kapitalverhältnis zu beleuchten und zu kritisieren. Eine solche Kritik kommt jedoch nicht umhin sowohl den Islam zu umfassen, als auch die Warengesellschaft. So ist Antisemitismusforschung immer eine Kritik am Ganzen, will sie sich nicht letztlich des Appeasements schuldig machen.
 
Von einem studentischen Projekt solches zu erwarten wäre sicher zuviel verlangt. Dennoch steht zu hoffen, dass die vorgestellte Studie weder dazu dient nur pädagogische Interventionen zu fordern, noch, dass vor einer Kritik eben auch der islamischen Community zurückgeschreckt wird, aus Angst mit dem Vorwurf der Islamophobie und des Rassismus konfrontiert zu werden. Meines Erachtens zeugt eben diese Furcht, die scheinbar auch die Vorsicht der Präsentationsveranstaltung bestimmte, davon, dass aus falscher Rücksichtnahme antisemitische Akteure inferiorisiert werden. Eine solche Haltung verweist vielmehr auf die eigenen Rassismen in der Mehrheitsgesellschaft, die sich hinter dem Multikulturalismus verbergen.

Weder Pädagogik für sich genommen, noch die Verharmlosung von Islamismus und islamischen Antisemitismus stellen sich jener Gefahr, die, laut Yehuda Bauer genozidalen Charakter in sich birgt und eine Wiederholung des Massenmordes an den Juden anstrebt. In den Interviews der Jugendlichen scheint ein Teil dieser Gefahr auf.

[1] Alle Zitate nach der Broschüre: Demokratiegefährdende Phänomene. Antisemitismus / islamischer Antisemitismus. Interviews mit Jugendlichen in Freizeiteinrichtungen des Bezirks Friedrichshain/Kreuzberg, Alice-Salomonhochschule 2005.

hagalil.com 23-08-2005


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