Holocaustgedenktag -
Jom haSchoah

Wenn du erwachsen wirst...
Dresden, 23.2.1942
Meine geliebte
Hanicka, Jirinka, Gretinka und Jirka !
Heute um 6 Uhr
abends habe ich Deinen Brief vom 9. diesen Monats erhalten und um 1/2 7
wurde ich vorgeführt und es wurde mir eröffnet, daß ich um 1/2 7
morgen früh hingerichtet werde. Ich wußte es bereits mittags, weil man
mich rasierte und mir neue Kleider gab.
Hanicka, meine geliebte, glaube mir, daß ich in den ganzen 3 Monaten
nicht so gefaßt und tapfer war. Es ist 11 Uhr abends, ich bin hier mit
Lustik und Hermann und gegenüber in der Zelle sind auch noch 4 junge
Leben. Ich verlasse diese Welt ganz ruhig, mit einem Lächeln auf den
Lippen, mit Erinnerung an Dich und Jirinka und mit eueren Bildern in der
Tasche. Sei stark und tapfer wie ich. Du mußt es tun für meine Jirinka.
Ich bin von großen Qualen befreit, da Gitter für mich schlimmer sind
als der Tod. Mir wird es gut gehen, es tut mir leid, daß durch meinen
Fehler eigentlich nur Du die Leidtragende bist. Bitte verzeih mir. Ich
glaube an G'tt und an unser Wiedersehen, aber Du mußt warten, bis Deine
Zeit kommt.
Mein Wunsch ist, daß Dir Jarmila mein Armband und 600 Kronen
zurückgibt. Auch mein Anzug ist noch bei ihr. Ich verzeihe ihr alles
und auch Du mußt es tun. Ich wußte, daß es so kommen wird und
deswegen war ich nicht überrascht und trete rein vor G'tt, denn ich
habe niemandem Unrecht getan.
Ich singe hier für die Kameraden "Wenn du erwachsen wirst"
und der Ewige gibt mir dazu große, fast bewundernswerte Kraft. Wir
lachen sogar zusammen. Die Kameraden sagen, daß ich schön singe, aber
ich weiß, daß ich in 8 Stunden noch schöneren Gesang hören werde,
Engelsgesang, Gesang des Herrn.
Ich freue mich, Mama und Papa zu sehen. Ich schreibe Dir hier ein
kleines Gedicht für Jirinka:
"Meine Jirinka, mein Engelchen, sei Du mir gesund und pausbackig,
nicht so mager wie ich!
Meine Lieben haben den Wunsch mich zu sehen, ich machte Fehler -
bin nur ein Mensch und so wurde ich dafür eingesperrt.
Für diesen Fehler muß mein Körper für immer in der Erde ruhen,
ihr lebt aber, ihr dürft die Welt nicht fürchten.
Wenn ich Dich nur einen kleinen Moment bei mir hätte,
der Atem würde mir stocken, nur - ich könnte Dich gar nicht auf dem
Arm halten,
da meine Hände gefesselt sind.
Weine nicht, schlafe, mache Deine Äuglein zu,
Dein Papa schaut vom Himmel auf Dich
und Deine Mamilein."
Hanicka, ich
bitte Dich so sehr, sei stark, wir alle müssen mal sterben. Du darfst
nicht weinen, das ist mein Wunsch. Ich danke Dir für alles, für Deine
große Liebe, ich habe Dich auch geliebt, wie niemanden auf dieser Welt.
Ich verabschiede mich von Dir und glaube mir, heute tut mir nichts weh
und ich habe keine Angst vor dem Sterben. Ich verabschiede mich von meiner Jirinka
und von meinem Schwesterlein Gretinka und von Jirka.
Wenn der Schmerz vergangen ist, wirst Du vielleicht einen guten Vater
finden. Meine sterblichen Überreste könnt ihr verlangen und in Prag
beisetzen. Auch den Freunden, meiner Großmutter und Jarmila das
letzte Lebewohl. Ich werde über euch wachen und euch beschützen. Seid
nicht verzweifelt und wünscht mir, daß ich nicht mehr eingesperrt sein
muß und nie mehr Hunger leiden muß.
Ich küsse euch
meine Hanicka und Jirinka zum letzten mal
tausendmal und bin in eueren Herzen.
Euer Leo
Diese Stelle habe
ich 10mal geküßt.
Für Gretinka viele Küße und viel Kraft.

Hanicka
und Leo |
Anmerkungen:
Leo Steiner war der Star einer der berühmtesten
Gesangsgruppen im Prag der 30er Jahre.
''Zlata hvezda'' ('Goldener Stern') wurde oft mit den Comedian Harmonists
verglichen.
1941 wurde er von der Gestapo verhaftet und von
einem ordentlichen deutschen Gericht zum Tode verurteilt. Am 24.Februar 1942 wurde er in
Dresden hingerichtet. Er waere am 17.Maerz 1942 30 Jahre alt geworden. Seine Tochter wurde
genau einen Monat vor der Hinrichtung geboren. Er hat sie niemals gesehen. Im Herbst 1942
wurden Leos Frau Hanna und seine Tochter Jirina deportiert. Im Winter 42/43 wurden beide
in Auschwitz vergast. Hanna war 31 Jahre alt, Jirina war knapp ein Jahr alt.
Leo’s Schwester Greta (Gretinka) und ihr Mann Jiri
wurden 1943 deportiert. Greta war die einzige Überlebende.
Ueber
Terezin,
Auschwitz, Neuengamme etc. gelangte sie nach Bergen-Belsen. Dort erlebte sie im April 1945
die Befreiung durch die Briten.
Sie
kehrte nach Prag zurück und heiratete Otto Ehrlich, der die NS-Zeit als
Zwangsarbeiter in Prag überlebt hatte. Wie unzaehlige andere KZ-Ueberlebende aus der
ehem. Tschechoslovakei wartete sie vergebens auf eine symbolische Geste der
''Wiedergutmachung'' seitens eines deutschen Staates. Am 18. Januar 1995 starb sie, im
Alter von 85 Jahren.
Wir
denken oft an sie.
|
Aufnahmen
aus dem Jahre 1938 (Real-Audio Format, wenn Sie noch keinen
Real-Audio Player besitzen, erhalten Sie ihn bei Real-Audio
kostenlos).
 62/122kB
 69/136kB
36kB
 63/125kB
 25/49kB
97kB RealAudio
|