verein@hagalil.org

Sehr geehrter Herr Staatssekretär Ruhestroth-Bauer,

gerade im vergangenen Jahr, wurde auf vielbeachteten Konferenzen, z.B. der OSZE, u.a. in Berlin und Paris, auf die Bedrohung unserer Gesellschaft durch den Antisemitismus und die Gefahren durch die Hetze in den neuen Medien, vor allem im Internet, hingewisen. Die Unverzichtbarkeit der Arbeit von NGOs wurde immer wieder herausgestellt. Bei der Konferenz in Paris (Thema "Hass in den Medien") konnte haGalil onLine, als einzige diesbezüglich in Deutschland aktive NGO,  darauf hinweisen, dass es möglich ist, dem antisemitischen Missbrauch des Internet etwas entgegenzusetzen und auch in diesem Bereich Räume zurückzuerobern.

Niemand hätte damals gedacht, dass diese Arbeit schon wenige Monate nach diesen Konferenzen so massiv gefährdet sein könnte. Deshalb wende ich mich heute in einem sehr dringenden Anliegen an Sie. Es geht um das interkulturelle Bildungsangebot unter http://www.hagalil.com.

Wie Sie wissen, wurde im Zuge des „Aufstands der Anständigen“ von der Bundesregierung das Programm ENTIMON ins Leben gerufen, das unter der Leitung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Initiativen fördern sollte, die sich gegen Antisemitismus, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit einsetzen. Aus diesem Programm erhielt „haGalil onLine“ seit 2002 Fördergelder, die über einen Berliner Trägerverein (Tacheles Reden! e.V.) abgewickelt wurden. Nachdem die Kooperation mit diesem Verein immer schwieriger wurde, haben wir in gegenseitigem Einvernehmen beim zuständigen Leiter des Referats 503 im BMFSFJ einen Trägerwechsel beantragt, der mittlerweile abgelehnt wurde.

Dies trifft uns vollkommen unvorhergesehen und bedeutet, dass die Förderung von haGalil onLine komplett gestrichen wurde. Wir hoffen auf eine Revidierung dieser Anweisung, die nichts anderes als die massive Gefährdung des Fortbestands des in haGalil entstandenen interkulturellen Bildungs- und Aufklärungsangebots bedeutet. Dies in einer Zeit, in der nicht nur der Jüdische Weltkongress ein entschiedenes Vorgehen gegen den Antisemitismus fordert (Brüssel, Januar, 2005).


haGalil ist heute der größte jüdische Onlinedienst in Europa. Anders als man es vielleicht vermuten könnte, ist haGalil jedoch kein kommerzielles Internetmagazin, sondern, als NGO mit Schwerpunkt in der interkulturellen Bildungsarbeit, von Fördergeldern abhängig.

Seit 1995, also seit Beginn der breiten Nutzung des Internets, hat sich haGalil onLine der immer stärker werdenden nazistischen und antisemitischen Nutzung des Mediums entgegengestellt. Im Laufe der Jahre entwickelte haGalil modellhafte „Gegenstrategien zur rechten Propaganda im Internet“. Dieses zivilgesellschaftliche Engagement entsprang der Erkenntnis, dass wir es nicht zulassen können, dass gerade das Internet, das Medium der Zukunft, als Hauptpropagandamittel der Rechten missbraucht wird. Auch hier galt und gilt es verlorene Räume zurückzuerobern.

Antisemitismus, Antizionismus, Hass und Demokratiefeindlichkeit im Internet, müssen im Internet und mit den Möglichkeiten des Internets bekämpft werden. haGalil setzt dies auf drei strategischen Ebenen um:

1 - Am wichtigsten ist uns die Schaffung eines massiven Gegengewichts durch aufklärende Inhalte. Nach dem Prinzip 100 Seiten Wahrheit gegen jede Seite Lüge und Hass, konnten wir die nazistischen Webseiten von den vorderen Suchmaschinenrängen verdrängen. Während noch 1996 auf Suchanfragen wie „Judentum, Koscher, Schabath, Schächten u.ä.“ vorrangig rechtsextreme Propagandaseiten auftauchten, ist dies heute anders. Schüler, aber auch Lehrer, werden auf der Suche nach Informationen zu „jüdischen Stichworten“ nicht mehr auf nazistische Webseiten gelockt, auch wenn diese sich als objektive Informationsquelle ausgeben. haGalil steht heute wie ein Schutzwall vor der beständig steigenden Flut antisemitischer Hetze im Internet.

2 - Unser zweiter Ansatz nutzt die kommunikativen Möglichkeiten eines lebendigen Onlinedienstes, denn die besten Vorraussetzungen für Verständigung sind Begegnung und authentische Information. Wir wissen längst, dass Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit gerade dort am meisten verbreitet sind, wo die wenigsten Juden leben. Für einen Jugendlichen in Brandenburg ist haGalil onLine oft die erste und einzige Möglichkeit, mit Juden in einen Dialog zu treten.

3 - Unser dritter Ansatz nutzt die juristische Komponente. Schon 1997 haben wir das erste Meldeformular für NS-Seiten ins Netz gestellt. Im Jahr gehen hier ca. 1.000 Anzeigen ein, und seit langem ist fast jede dritte Strafanzeige in diesem Bereich auf eine Meldung über unsere Anlaufstelle zurückzuführen.

Natürlich wirken diese Aktivitäten auch in Bereiche außerhalb der neuen Medien. So wurde beispielsweise die antisemitische Hetzrede des ehem. CDU-MdB Hohmann erstmals über unser Meldeformular „aktenkundig“ und erreichte erst über haGalil onLine auch andere Medien und die breite Öffentlichkeit, der Ausgang dieser Affäre ist bekannt.
Auch auf die Tatsache, dass antisemitische Gewalttäter in Komplizenschaft mit der schweigenden Mehrheit heute - in aller Öffentlichkeit - wieder Existenzen ruinieren können, musste erst haGalil am Beispiel eines koscheren Lebensmittelgeschäfts hinweisen. Der Besitzer dieses Imbissladens ist nach anhaltenden antisemitischen Attacken mittlerweile nach Israel ausgewandert.
Diese Beispiele unterstreichen, dass es gefährlich wäre in der Erkennung und Bekämpfung des Antisemitismus auf jüdische Beteiligung, Erfahrung und Entschlossenheit zu verzichten, auch wenn – oder gerade weil - es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt.

Als sich der so genannte „Aufstand der Anständigen“ abzeichnete und entsprechende Bundesmittel in Aussicht gestellt wurden, nahmen wir ein Angebot des Vereins „Tacheles reden! e.V.“ an, der zusagte, die Arbeit von haGalil zu unterstützen und entsprechende Fördermittel zu beantragen. Es wurde das Projekt „Or - Bildung gegen Antisemitismus“ ins Leben gerufen. „Or“ ist hebräisch und heißt „Licht“.
In der Projektdatenbank „entimon“ findet sich hierzu folgende Kurzbeschreibung: „Seit 1995 ist es hagalil online gelungen, die Dominanz nazistischer Propaganda im Internet im Bereich des ANTISEMITISMUS zurückzudrängen. Das Projekt hat deshalb zum Ziel, die redaktionelle Arbeit von hagalil online weiter auszubauen und zu sichern. Die Informationen zu jüdischem Leben, jüdischer Kultur und Geschichte sowie – vor dem Hintergrund zunehmender antisemitischer/antizionistischer Tendenzen im Diskurs darüber – zum Nahost-Konflikt werden im Rahmen der Projektarbeit dort verbreitert. Authentische Informations- und Aufklärungsangebote, Ansprechbarkeit in Kommunikationsplattformen und die Bereitstellung des Meldeformulars gegen nazistische Propaganda im Internet sind die Strategien des Projekts.“ (s.Anl.a.)

Da sich der Trägerverein schon bald immer weniger an diese Vorgaben zu halten bereit war, hat sich das Kooperationsklima seit 2003 deutlich verschlechtert. Im September 2004 wurde bei einem Treffen mit „Tacheles reden! e.V.“ eine Projektübergabe an den inzwischen in München gegründeten Verein „haGalil e.V.“ (http://verein.hagalil.org) vereinbart, von Tacheles wurde ein Schreiben aufgesetzt, das den Trägerwechsel befürwortete. Dieses Schreiben wurde dem Ministerium zugestellt. Von Seiten des Ministeriums wurde der Trägerwechsel als durchaus praktikabel dargestellt, ein Trägerwechsel sei „nichts Besonderes“, hieß es noch im Oktober telefonisch, ein von haGalil angebotenes Treffen zur Besprechung von Details sei daher nicht nötig. Kurzfristig erfolgte nun aber durch den zuständigen Referenten im BMFSJ, Herrn Dr. Obst, eine Weisung an die mit der Verwaltung betraute Servicestelle, Trägerwechsel grundsätzlich abzulehnen.

Auf Nachfrage erläuterte Herr Dr. Obst verschiedene Punkte, die einen Trägerwechsel trotzdem möglich bzw. erforderlich machen würden. Alle diese Punkte sind eindeutig gegeben: Es entstehen durch den Trägerwechsel weder zeitliche Verzögerung noch Mehrkosten, alle bisherigen Partner befürworteten den Wechsel etc.. Die Fortführung des Projekts wurde vom zuständigen Beirat bereits befürwortet, der politische Wille zur Unterstützung von haGalil in zahlreichen Empfehlungen bekundet. Kurzum, es besteht allgemeiner Konsens zur Fortführung des Projekts, nur Referatsleiter Dr. Obst lehnt den Trägerwechsel ab.
Anfangs begründete er dies mit seiner Befürchtung, es könnte sich die Frage stellen, ob denn der ausgewechselte Partner „Tacheles reden! e.V.“ bisher überhaupt geeignet war. Bequemer sei es also mit diesem Partner einfach fortzufahren. Kurzfristig favorisierten Dr. Obst und Tacheles Reden! e.V. sogar eine Fortführung des Projekts „Or“ ohne haGalil. Dies lies sich aber nicht durchsetzen, da sich das Projekt „Or“ doch ganz eindeutig über haGalil definiert.
Unserer Meinung nach stellt schon die Erwägung einer solchen „Lösung“ die fachliche Kompetenz sowohl des Referatsleiters als auch des bisherigen Trägervereins in Frage.

Im weiteren Verlauf eines dokumentierten Schriftwechsels brachte Dr. Obst dann immer wieder neue und auch widersprüchliche Argumente vor, die angeblich gegen einen Trägerwechsel sprechen, obwohl auch er inzwischen einsehen musste, dass eine erfolgreiche Fortsetzung des Projekts nur durch den Trägerwechsel möglich ist.

In seinem letzten Schreiben an uns bemängelte Dr. Obst plötzlich, die Perspektive des Projekts sei im Ergebnisbericht 2004 nicht ausreichend belegt. Dieser Bericht wurde von „Tacheles Reden!“ verfasst und liegt uns leider nicht vor. Sein Inhalt ist uns auch nicht bekannt, da „Tacheles Reden!“ uns jeden Einblick verweigert, da man dort nicht bereit ist, Auskunft darüber zu geben, welche Leistungen im Sinne der Projektbeschreibung der Kooperationspartner „Tacheles Reden!“ für die von ihm einbehaltene Hälfte der Fördermittel geleistet bzw. zu seinen Gunsten angeführt hat.

Dr. Obst vermisst nun den Nachweis von Drittmitteln. Dieser Nachweis fehlt in der Tat. HaGalil e.V. hat dies aber stets offen kommuniziert und als neuer Verein und neuer Träger betont, dass die restliche Laufzeit des Projekts „Or“ auch zur Einwerbung eben dieser Mittel dienen müsse.
Es sollte nicht alle Verantwortung für eine erfolgreiche Fortführung dem neuen Träger haGalil e.V. alleine zugeschoben werden. Während die meisten der inzwischen geförderten Initiativen überhaupt erst entstanden sind, nachdem über den „Aufstand der Anständigen“ Bundesmittel in Aussicht gestellt worden waren, hat sich haGalil von Anfang, seit 1995, unabhängig von „Schwankungen in der Betroffenheitskonjunktur“ entwickelt.
Die interkulturelle und politische Bildungsarbeit und der Kampf gegen Antisemitismus und Rassenhass im Internet wurden irgendwann aber einmal als gesamtgesellschaftliche Aufgabe beschrieben und es bestand Konsens darüber, dass die nachhaltige Wirksamkeit der in den letzten Jahren geleisteten Aufbauarbeit nur möglich ist, wenn das entstandene Angebot weiterhin kostenlos und rund um die Uhr im Internet zur Verfügung steht.
So informierte die Servicestelle (gsub) noch vor wenigen Monaten, man könne, sollten die Drittmittel nicht vorliegen, die Förderleistung von entimon entsprechend kürzen. Nun wird aber der Eindruck erweckt, als sei haGalil e.V. der einzige Antragsteller, der hier keine gute Bilanz vorweisen könne, dabei liegt es in der Natur der Sache, dass es für fast alle geförderten Initiativen problematisch ist, hohe Eigenmittel beizusteuern. (Siehe beispielsweise Bericht aus der Frankfurter Rundschau vom 11.02.2003, s. Anl.b.).
Soll haGalil Informationen zu jüdischen Feiertagen etwa kostenpflichtig anbieten, während Horst Mahler und andere Antisemiten „Information“ zu denselben Feiertagen gratis anbieten? Immerhin brachte haGalil bereits die Vorarbeit mehrerer Jahre in das Projekt ein und ermöglichte, auch während der Laufzeit von „haOr“, den Fortbestand über Förderpausen und Lücken hinweg. Hierzu gehören auch erhebliche Mittel, die haGalil regelmäßig aufwenden muss, um zahlreiche Klagen und einstweilige Verfügungen von NPD- und ähnlichen Anwälten abzuwenden.


Da seine bisher vorgebrachten Begründungen wenig überzeugen, möchte Dr. Obst nun am liebsten das Projekt insgesamt umdeuten. Es gehe hier doch auch um die „Vermittlung und Durchführung von Seminaren, Vorträgen und Workshops für Schulen, Bildungsträger und Verbände“. Setzt man die Betonung auf „auch“, mag er damit sogar recht haben. Es ist aber durch die Projektbeschreibung mehr als klar, dass dies ein deutlich untergeordneter Punkt in der Gesamtkonzeption des Projekts „haOr“ ist.

Was Tachles Reden! e.V. in diesem Bereich mit den Mitteln des Projekts „haOr“ im Laufe der letzten Jahre gemacht hat, ist uns, wie bereits gesagt, nicht bekannt. Im Internet hat sich die Arbeit des „Tacheles Reden! e.V.“ in den Jahren 2003 und 2004 in nur ca. 100 Artikeln niedergeschlagen (zum Vgl.: im selben Zeitraum erschienen unter hagalil.com insgesamt ca. 6000 Artikel). An den weiteren strategischen Ebenen (Kommunikation und Strafrecht) hat sich Tacheles garnicht beteiligt und aus Berlin liegen uns auch sonst keine Berichte zu wesentlichen Aktivitäten im Sinne des Projekts „haOr“ vor. Der neue Verein, haGalil e.V., hat in der kurzen Zeit seines Bestehens auch außerhalb der drei Kernbereiche einiges geleistet: Herausgabe der Print- und Onlinepublikation von Theodor Herzls „Altneuland“ zum 100. Todesjahr des Begründers des modernen Zionismus, Vorbereitung und Teilnahme an den OSZE-Konferenzen in Berlin (Antisemitismus) und Paris (Hass in den Medien), Vorträge u.a. an der Universität München u.a.. Trotzdem liegt unser Schwerpunkt im Bereich des neuen Mediums Internet, wie auch die Datenbank entimon die Strategien des Projekts „haOr“ beschreibt: 1. Authentische Informations- und Aufklärungsangebote, 2. Ansprechbarkeit in Kommunikationsplattformen und 3. Bereitstellung des Meldeformulars gegen nazistische Propaganda im Internet und Bearbeitung der eingegangenen Hinweise.

Wenn Dr. Obst neuerdings versucht dieses Gesamtkonzept – online und offline - als „bloße Zuarbeit“  zu einer x-beliebigen „Onlinezeitung“ abzuwerten, so ist dies nicht nachvollziehbar und nicht gerechtfertigt.

Die von Dr. Obst angesprochene „Vermittlung und Durchführung von Seminaren“ findet auch bei haGalil statt, derartiges wird allerdings bereits in vielfältiger Weise an zahlreichen anderen Stellen gefördert und neben zahlreichen anderen Initiativen betreibt auch der Verein „Tacheles reden! e.V.“ ein solches Projekt, welches unter dem Namen „Kein Bammel!“ ebenfalls von Entimon gefördert wird und Herrn Dr. Obst bekannt sein dürfte.

Auch vor diesem Hintergrund ist es erschreckend, wenn nun das größte jüdische Bildungsangebot im europäischen Internet zur Nebensächlichkeit erklärt wird - und dies in einem Projekt, zu dem es auch im Projektantrag 2004 unmissverständlich heißt: „Ziel des Projekts „OR - Licht. Bildung gegen Antisemitismus“ ist auch im Jahr 2004 die Sicherung und der Ausbau der redaktionellen Tätigkeit von haGalil onLine zu den Themen: Jüdisches Leben, jüdische Kultur und Geschichte sowie - vor dem Hintergrund wachsender antisemitischer und antizionistischer Tendenzen - zum Konflikt im Nahen Osten.“


Bezeichnenderweise erinnert Dr. Obst in diesem Zusammenhang an ein Gespräch im Sommer 2003, als er bereits ähnlich verfuhr. Auch damals versuchte er den Anteil von haGalil am Gesamtprojekt herunterzuspielen. Anlass war damals die anhaltende Kritik „deutsch-nationaler Kreise“, die die „Verschleuderung deutscher Werte und Steuermittel“ an ein „jüdisches Organ“ so aufbrachte, dass sie sich bis zu Dr. Obst, und damit an die Spitze des „Aufstands der Anständigen“ hocharbeiteten.

In diesen massiven Angriffen, sah Dr. Obst nicht etwa den Beweis für Reichweite und Effektivität von haGalil, und auch mit der Tatsache, dass einige Mails genau dieselben Vorwürfe erhoben wie ein zeitgleich im rechten Organ „Junge Freiheit“ erschienener Artikel, wollte er sich nicht auseinandersetzen. Dr. Obst klagte nur, ihm entstünde hier Arbeit.
Im Bemühen, sich selbst aus der Schusslinie zu ziehen, distanzierte sich Dr. Obst kurzerhand von uns und unserer Arbeit. Im Gespräch betonte er zwar, ihm sei bekannt, dass ein politischer Wille zur Unterstützung von haGalil klar formuliert wurde, dass diese Unterstützung aber indirekt erfolge. Darauf könne er sich in seinen Antworten auf die Beschwerden
deutscher Steuerzahler beziehen. Er müsse sich auf diese Position zurückziehen, denn von den ca. 3.500 im Rahmen des „Aufstands der Anständigen“ unterstützten Projekte werde keines so massiv und ausdauernd angegriffen, wie haGalil onLine. Er bat deshalb darum, Hinweise auf eine Förderung durch das Bundesministerium zu entfernen.
Wie Sie wissen, legt das Ministerium normalerweise bei allen direkt oder indirekt geförderten Initiativen großen Wert auf einen entsprechenden Hinweis. Im Falle des größten jüdischen Aufklärungsangebots im deutschsprachigen Internet schien es Dr. Obst aber opportun, sich lieber im Hintergrund zu halten.
Natürlich hätten wir uns schon damals vom Top-Zuständigen der Anständigen, die ja unter dem Motto „Zivilcourage zeigen“ aufgestanden waren, ein klein wenig mehr Rückhalt gewünscht, kamen seiner Bitte jedoch nach. Wir wollten
damals jede Auseinandersetzung vermeiden, die das Signal des „Aufstands“ in Frage gestellt hätte.

Sicherheitshalber möchte ich aber noch einmal betonen, dass ich in der Tatsache, dass sich die Nazis an Tausenden von Projekten, die mit Bundesmitteln von 100 bis 200 Millionen Euro (s.Anl.c.) unterstützt werden, kaum störten und statt dessen fast alle Angriffe gegen „haGalil“ richteten, das mit vergleichsweise sehr geringen Mitteln gefördert wurde, einen eindrucksvollen Beweis für die Effektivität (und Notwendigkeit) unserer Arbeit sehe.
Dass eine derart reichweitenstarke Initiative gegen Rechtsextremismus vom rechten Rand her angegriffen wird, sollte nicht überraschen. Das von Dr. Obst beschriebene Ausmaß der Angriffe spricht nicht gegen, sondern für unsere Arbeit. Dass man mit einem „Aufstand der Anständigen“, der doch die weitere Ausbreitung des Nazismus in die Schranken weisen sollte, nicht nur Zuspruch und Harmonie ernten würde, hätte allen Zuständigen 100% klar sein müssen.

Die bisherige Erfahrung legt die Vermutung leider nahe, dass man im Referat 503 noch nicht einmal begreift, welches Signal von solchen Distanzierungen des Ministeriums ausging, und so gibt man sich dort auch heute völlig unbeeindruckt von der zu erwartenden Genugtuung die viele am rechten Rand verspüren werden und vom absehbaren Auftrieb, den die Schließung von haGalil onLine und aller mit haGalil onLine verbundenen Aktivitäten für diese Szene bringen wird.

Nimmt man einfach eine bequeme Gelegenheit war um ein Projekt loszuwerden, das Antisemiten und Nationalisten nicht nur symbolisch, sondern tatsächlich stört? Versteht man nicht, dass haGalil gerade deshalb viel stärker angegriffen wird - und somit nicht ganz so still und harmonisch verwaltet werden kann, wie man es sich im Amt vielleicht wünschen würde?

Was auch immer die Gründe sein mögen, wir sind heute schlichtweg ratlos und bestürzt, dass ein solches Projekt so einfach fallengelassen wird, wurde uns doch immer wieder bestätigt, dass man haGalil für ausgesprochen wichtig halte. Auch „Nachhaltigkeit“ war immer ein wichtiger Begriff für Herrn Dr. Obst. Die Nachhaltigkeit auch der bisher geleisteten Arbeit wird nun aber fahrlässig und grundlos aufs Spiel gesetzt. Wir wissen nicht, ob wir haGalil unter den gegebenen Umständen überhaupt fortsetzen können. Die verbleibenden 9 Monate des Förderzeitraums innerhalb des Programms entimon sollten dazu dienen, Mittel aufzubringen, um auch nach Ablauf der entimon Förderung das Projekt erhalten und weiterführen zu können.

haGalil ist innerhalb von entimon die einzige Initiative, die sich mit Rassismus und Antisemitismus im Internet beschäftigt. Die Priorität dieser Frage sollte außer Zweifel stehen, nicht zuletzt wurden im vergangenen Jahr drei OSZE Konferenzen zu diesem Thema abgehalten (auf zwei von Ihnen konnte haGalil seine Arbeit vorstellen). Vorträge, Workshops und Seminare haben selbstverständlich ihre Berechtigung und spielen im Bildungsbereich zweifelsohne eine wichtige Rolle. Antisemitismus im Internet muss jedoch auf breitenwirksamer Ebene bekämpft werden. Das Angebot von haGalil onLine wird jeden Monat von durchschnittlich 300.000 Besuchern (!) wahrgenommen. Jeden Monat werden von unseren Servern (hagalil.com, klick-nach-rechts.de, nazis-im-internet.de, nahost-politik.de, friedensbewegung.zionismus.info, glbt.israel-live.de / juden.judentum.org / antisemitismus.net u.v.a.m.) 2.400.000 Informationsseiten abgerufen. Es steht tagtäglich und rund um die Uhr zur Verfügung.

Ein Seminar, ein Filmabend, ein Workshop wird antisemitische Hetze im Internet weder mindern noch verhindern, denn so wird nur immer wieder dasselbe Publikum angesprochen. haGalil onLine erhält jeden Monat zahlreiche Anfragen von Schülern, Lehrern und Studenten, die haGalil als einziges Medium der Vermittlung zu jüdischer Kultur und Religion wahrnehmen und kontaktieren können. Wir gingen davon aus, dass man im Ministerium die Bedeutung der Breitenwirksamkeit des Bildungsangebotes in haGalil begriffen und bewusst unterstützt hat. Nazistische Hetzpropaganda wird über das Internet in die ganze Welt verbreitet. Genauso sollten auch Aufklärung, Verständigung und Wahrheit verbreitet werden.

Es ist uns unverständlich, dass diese Grundsätze, in die über mehrere Jahre Bundesmittel geflossen sind, nun offenbar bedeutungslos geworden sind!

Sehr geehrter Herr Staatssekretär,
uns ist es auch weiterhin ein dringendes Anliegen, die redaktionelle und technische Arbeit von hagalil online mit dem bisherigen Engagement weiter auszubauen und zu sichern und damit das Projekt haOR zum Erfolg zu führen.
Erst gestern sprach ein Vertreter der IKG München davon, dass wir damit rechnen müssen, dass bald ganze Dämme brechen werden. Mit dem Einzug der NPD in den Bundestag ist zu rechnen. haGalil onLine wird auch in Zukunft auf Risse in den Dämmen hinweisen, dort wo es uns möglich ist werden wir den Schutzwall weiter aus- und aufbauen und selbstverständlich Präsenz und Ansprechbarkeit signalisieren.

Im Interesse einer aufgeklärten und sensiblen Gesellschaft, die sich gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus engagiert, sind wir für jede Unterstützung dankbar, in der Überzeugung, dass die Sache von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung ist.
Wir erinnern an die Verpflichtung der Bundesregierung, „allen antisemitischen Tendenzen entgegenzutreten und bestrebt zu sein, die gesellschaftlichen Kräfte zu fördern, die sich zur Aufgabe gemacht haben, die Wurzeln von Antisemitismus und Rassenhass zu beseitigen“.

Ob es jemals möglich sein wird diese Wurzeln ganz zu beseitigen, wissen wir nicht. Es ist aber keine Option, der wachsenden Bedrohung tatenlos zuzusehen, oder gar wegzusehen. Dass es möglich ist die Hassprediger zu behindern, beweist haGalil seit Jahren – jeden Tag.

Für Rückfragen stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung,
Tel. 089 / 20345922.

Mit freundlichen Grüßen,

Eva Ehrlich
1. Vorsitzende haGalil e. V.

Anlage:

a)       Datenbank des DJI zum Programm ENTIMON - http://213.133.108.158/cgi-bin/db/dbrecout.php?db=4&dbsuche=4&tabelle=db_stamm&rowid=1302

b)       Link zur Frankfurter Rundschau vom 11.02.2003 - http://edathy.de/print.php?aid=305

c)        Laut Roland Roth (Bürgernetzwerke gegen Rechts, Thesen, Perspektiven und Empfehlungen für die FES) wurden seit dem Sommer 2000 mehrere Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus aufgelegt:
• das Bündnis für Demokratie und Toleranz gegen Extremismus und Gewalt,
• das Aktionsprogramm „Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ mit den Programmteilen
-- Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Gewalt (2001, ab 2002 Entimon)
-- Xenos, Leben und Arbeiten in Vielfalt (seit 2001)
-- Civitas, Initiativen gegen Rechtsextremismus in den Neuen Bundesländern (seit 2001).
Ihr Gesamtvolumen liegt bei mehr als 200 Millionen Euro, die Zahl der damit geförderten Projekte liegt Ende 2002 bei ca. 3.700, die Anzahl der geförderten Einzelnahmen dürfte über Zehntausend betragen. Die Laufzeit der Programme reicht gegenwärtig von einem bis zu drei Jahren. Eine EU-Finanzierung von Xenos ist bis 2006 möglich, für Entimon und Civitas ist eine Verstetigung bis zum Ende der Legislaturperiode geplant.
Nach MdB Jutta Dümpe-Krüger (Bündnis90/Die Grünen) werden bis 2006 vom Bund für Entimon und Civitas 63,3 bzw. 44,1 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden.