Lieber Schorsch, über Deine Antwort habe ich mich sehr gefreut. Dass
ich erst jetzt antworte, hat folgenden Grund: Wir wollten den
endgültigen Bescheid abwarten und ich wollte mit David Gall von haGalil
auch persönlich sprechen. Dazu hatte ich an diesem Wochenende
Gelegenheit.
Hagalil hat inzwischen den Ablehnungsbescheid erhalten. (Anlage 1)
Wir haben daraufhin recherchiert, welche Projekte gefördert werden und
welche nicht (Anlage 2).
Nachdem die Begründung schon mehrfach gewechselt hat (siehe
nachstehende Auflistung), jetzt also wieder eine neue.
Das Ministerium (Dr. Obst) hat eine Weiter-Förderung des Projekts "haOr"
nacheinander aus folgenden "Gründen" für "nicht möglich" erklärt:
- Ein von "Tacheles reden e.V.", dem alten Träger, und "Hagalil
e.V.", dem neuen Träger, einvernehmlich und gemeinsam
beantragter und befürworteter Trägerwechsel (von "Tacheles reden e.V."
zu "Hagalil e.V.) wurde vom BMFSFJ abgelehnt.
Dabei hatte Dr. Obst
vorher ausdrücklich erklärt, ein Trägerwechsel sei "keine große
Angelegenheit", als Frau Eva Ehrlich, Vorsitzende des haGalil e.V.,
einen Gesprächstermin im BMFSFJ anregte, um die näheren Gründe zu
erläutern und das weitere Vorgehen abzustimmen. Ein solches Treffen
sei nicht nötig, ein Trägerwechsel sei eine "durchaus gängige
Sache", nichts ungewöhnliches und kein Problem, so Dr. Sven-Olaf Obst
damals.
Danach (ohne vorherige Information) kam
dann aber seine angeblich "grundsätzliche Weisung", keine Trägerwechsel mehr zu akzeptieren.
- Die Restlaufzeit von neun Monaten sei zu kurz, um einen
Trägerwechsel durchzuführen.
Diese Argument mutet etwas eigenartig an, bei einer Gesamtlaufzeit
von ohnehin nur 3 Jahren, die zudem immer wieder unterbrochen wurden
durch Haushaltsschwierigkeiten der Bundesregierung. Die Fördersumme für
diesen Zeitraum lag bei über 35% der Gesamtsumme, also sicher kein
vernachlässigbarer Teil des Ganzen.
- Das Verhalten des alten Trägers scheint auch für Dr. Obst undurchsichtig. Zumindest
würde er sich vom Verein Tacheles Reden! einmal wünschen, "dass man dort
einmal Tacheles reden würde".
Dr. Obst scheint zu befürchten, dass nach einem Wechsel
der Trägerschaft weg von Tacheles reden! e.V. Unregelmäßigkeiten
transparent werden könnten. Nur so lässt sich das sture Festhalten am
alten Träger erklären. Dr. Obst scheint im weiteren Verlauf den alten Träger geradezu
dahingehend zu drängen, den pro-forma befürworteten Trägerwechsel doch noch scheitern
zu lassen.
- Neue Anträge:
In der
Monitorsendung vom Februar 2004 ist die einzige Begründung die
Peter Ruhenstroth-Bauer, Staatssekretär im BMFSFJ, für das Scheitern des
Projekts "Or" anführt, ein angeblich nicht gestellter Antrag des haGalil
e.V.
Zwar reagiert der Reporter vor Ort direkt und fügt an "was der
Staatssekretär verschweigt ist, dass haGalil einen solchen Antrag
garnicht stellen konnte, da ein zuvor beantragter Trägerwechsels vom
Ministrium abgelehnt wurde". Dass der Staatssekretär hier aber nicht nur
etwas verschweigt, sondern ganz klar die Unwahrheit sagt, wird in der
Eile nicht ausreichend klar.
haGalil brauchte gar keinen Neuantrag zu stellen. Der Antrag zur
Fortsetzung des Projekts "Or" lag bereits im BMFSFJ vor und das
notwendige Pozedere (Drittmittel etc.) war bereits besprochen. Strittig
ist im vorliegenden Fall noch immer und einzig und allein die plötzliche
und unverhersehbare Weigerung des BMFSFJ den zuvor als "durchaus
unproblematisch durchführbar" dargestellten Trägerwechsel von Tacheles
auf haGalil zu genehmigen.
Widersprüchlich zum Stichwort Neuantrag sind auch die Aussagen des
Referatsleiters Obst. Er ist es, der haGalil e.V. ausdrücklich darauf
hinweist, dass für 2005 kein Antrag gestellt werden kann, da ein
Interessebekundungsverfahren abgeschlossen sei. Erst für 2006 sei ein
Neuantrag möglich.
Gleichzeitig empfiehlt er aber dem alten Träger einen Neuantrag für
2005 zu stellen. Dabei muss er wohl wissen, dass er diesen niemals
genehmigen darf, da das Projekt "Or" zwar ohne den alten Träger "Tacheles
Reden!" e.V., nicht aber ohne haGalil durchgeführt werden kann.
Selbstverständlich liegen Unterlagen vor, die den Eingang der Anträge
auf Trägerwechsel, als auch die weiteren Aussagen belegen.
- In einem als Verschluss-Sache markierten Schreiben behauptet Dr.
Obst gegenüber Abgeordneten, der aktuelle Antrag des haGalil e.V. für
2006, sei bereits im Herbst 2005 "ablehnend votiert" worden, da er auf
eine "institutionelle Förderung" abgezielt habe.
Dies ist nachweislich nicht wahr. Interessant ist in diesem
Zusammenhang, dass Dr. Obst diese (unwahre) Behauptung zwar im Bundestag
(mit Sperrvermerk) zirkulieren lässt, den antragstellenden haGalil e.V.
von diesem "Vorwurf" aber, auch auf Nachfrage von Frau Lefin, der zweiten
Vorsitzenden des haGalil e.V., weder im Januar, noch im März 2006 in
Kenntnis setzt. Eine Bitte um Klärung dieser Widersprüche am 07-05-2006
blieb von Dr. Obst bis heute unbeantwortet.
Im unterdessen vorliegenden offiziellen Ablehnungsbescheid, der in
München am 18.Mai einging, ist von einer "institutionellen Förderung"
jedenfalls keinerlei Rede.
- Die Ablehnung wird stattdessen damit begründet, haGalil sei
weniger geeignet als andere Programme, um die Zielsetzungen der
Bundesregierung zu erreichen. Insbesondere wird darauf hingewiesen, ein
Projekt benötige Kontakt zu Jugendlichen, müsse öffentlich wahrnehmbar
sein.
Alles Eigenschaften die sich gerade haGalil ganz bestimmt nicht
absprechen lassen - im Gegenteil, kein
anderes Projekt erreicht
mehr Jugendliche als Hagalil Online. Und über breite öffentliche
Wirksamkeit hat doch gerade Dr. Obst immer wieder geklagt - für seinen
Geschmack ist haGalil nämlich nicht zu wenig, sondern zu viel bekannt.
Diese (noch nicht einmal vollständige) Übersicht zeigt deutlich: Sobald ein Ablehnungsgrund widerlegt
ist, kommt ein anderer.
Das begründet doch erhebliche Zweifel, ob hier korrekt gearbeitet wurde.
Wie wichtig das Projekt Hagalil Online ist, zeigen auch die Reaktionen
auf die Äußerung
von Uwe Karsten Heye: Das Internet als Plattform für Neonazis wird als
Problem nicht
wahrgenommen. Erörtert werden soziale Benachteiligung, Arbeitslosigkeit
usw., alles richtig.
Das Internet kam in allen Analysen und Berichten, die mir zugänglich
sind, nicht vor. Offenbar
macht man sich immer noch nicht klar, welche Bedeutung das Internet
insbesondere für
Jugendliche hat.
Darüber hinaus zeigt der geschilderte Vorgang auch ein grundsätzliches
Problem: Nicht die
gewählten Abgeordneten entscheiden, sondern die Verwaltung. Schwingt der
Diener sich
hier zum Herrn auf? Zwar habe ich schon im Studium gelernt, dass die
Regierung mit ihrer
Ministerialbürokratie gegenüber dem Parlament strukturell im Vorteil und
die Lehrbuch-Funktion der Kontrolle der Exekutive durch die Legislative eher
theoretisch ist. Dass aber ein
Ministerialbeamter derart schamlos (und folgenlos?) Abgeordnete (es gab
ja mehrere
Anfragen) belügen kann, hätte ich nicht für möglich gehalten. Als Bürger
und ehemaliger
Politik-Lehrer fühle ich mich verpflichtet, einen Beitrag zur Aufklärung
zu leisten.
Ich bitte Euch sehr, kritisch nachzufassen und alle Möglichkeiten der
parlamentarischen
Kontrolle auszuschöpfen. Durch kontinuierliche Fehlinformationen ist es offenbar
gelungen, Anfragen von
Abgeordneten, darunter auch Sozialdemokraten auflaufen zu lassen.
Mit solidarischen Grüßen
Peter Krauss
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