Originalbericht von Adolf Frankl
Der schwere Weg
Am 28. September 1944,
in der Nacht nach Jom Kippur, dem langen Fastentag, schreckten wir auf. Wir
hörten Tritte von genagelten Schuhen, und schon schlugen Gewehrkolben gegen die
Tür unserer Wohnung. Meine Frau schrie: "Sie kommen, sie kommen!" Ich ging zur
Tür und sah einige slowakische faschistische Gardisten und Soldaten in deutscher
Uniform mit Gewehren in der Hand. Sie befahlen uns, die Kinder zu nehmen und
ohne Gepäck mitzukommen, denn "Sie kommen ja bald wieder zurück", sagten sie. In
der Eile nahm ich ein Stückchen Salami vom Küchentisch und ein Päckchen
Zigaretten an mich. Die Kinder hatten schon geschlafen, wir durften sie nicht
anziehen, sie kamen im Pyjama und Mantel mit uns. Wir wurden durch das
nächtliche Preßburg in die Zentrale der jüdischen Gemeinde geführt.

Deportation
Am Morgen wurden wir in Fünferreihen durch die
Stadt zum kleinen Güterbahnhof gebracht. Dort wurde ich von meiner Familie
getrennt, in einen Eisenbahnwaggon gestoßen und zum Durchgangslager Sered, in
der Slowakei, verfrachtet. Meiner Frau und den Kindern gelang es später durch
einen Trick vom Bahnhofsgelände zu fliehen. Aufgrund falscher Angaben konnte ich
mich im Sammellager Sered bis Anfang November 1944 halten. Eines Tages wurden
meine Schwiegereltern dort eingeliefert und ich wurde zur Kommandatur gerufen,
wo man mich mit ihnen konfrontierte. Nun wurde mein Trick durchschaut; und zwar
hatte ich mich als "Mischehe" ausgegeben, um nicht von Sered abtransportiert zu
werden. Meine künstlich aufgebaute Mischehe flog also auf und der Kommandant
sagte mir: "Du gehst mit einer besonderen Empfehlung nach Auschwitz."

Nach Auschwitz-Birkenau
Am nächsten Tag wurden wir in einen
gepanzerten Viehwaggon verladen und es begann die fürchterlichste Reise meines
Lebens - nach Auschwitz-Birkenau. Im Waggon konnten wir nur stehen, wir waren
dicht gedrängt und halb verrückt vor Angst, einige starben bereits auf diesem
Transport. Einige von uns sprachen leise über einen Ausbruchsversuch. Plötzlich
sagte einer, er würde uns sofort bei der Zugwache melden, die mit Gewehren auf
dem Dach eines jeden Waggons saßen. Er war ein eingeschleuster Spitzel. Nach
einer unendlich langen Reise ohne Wasser und Lebensmittel kam der Zug in
Birkenau an. Man jagte uns mit Gebrüll aus den Waggons: "Raus, raus!" Danach
wurden wir selektiert. Zuerst kamen wir in das Zigeunerlager, von wo aus die
Zigeuner selbst sofort ins Krematorium geschickt wurden. Ich kam in die
Strafbaracke Nummer 11, wo wir Tag und Nacht turnen mußten. Nach einiger Zeit
gelang es mir, zum Kommando "Weberei" zu kommen, was den Vorteil hatte, nicht
Appell stehen zu müssen und wo wir auch einmal mehr zu essen bekamen.
Nr.: 7, 8
Lagerleben
Ich hatte in großer Kälte Näharbeiten zu
verrichten und sehr oft klebte mir die Nadel am Finger und ich konnte kaum
arbeiten und hatte das einzige Ziel zu überleben und mein Geist war hellwach. Zu
allen Arbeiten habe ich mich gemeldet; so wurde ich Tischler, Friseur,
Textilarbeiter und vieles mehr.
Die Arbeit war sehr schwer und das Essen wurde
immer weniger. Der Hunger wurde unerträglich, ich wurde geschlagen, geohrfeigt
und getreten. Nach einer Weile taumelte ich vor Schwäche, aber der Gedanke ans
Überleben für meine Familie gab mir ungeheuere seelische Kraft. Alles was ich im
Lager erlebt und gesehen habe meißelten meine Gedanken zu einem großen
schrecklichen Zeichenblock zusammen.

Unsere Körper waren geschwächt von Arbeit, Prügel und Hunger.
Unsere Gedanken drehten sich nur noch um Essen, Trinken, und Überleben. Der
leere Magen machte uns bei der Essensverteilung zu Tieren.

Nr.: 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 16a, 17,
17a, 18, 18a, 19, 20, 20a, 21, 22, 23, 25,
Todesmarsch
Am 18. Januar 1945, kurz nach einem
Luftangriff auf das Lager, wurde meine Tätowierungs-nummer B 14395 aufgerufen
und ich mußte mit ca. 2000 anderen Häftlingen Richtung Gleiwitz marschieren. Wir
gingen pausenlos von in der Früh bis in die späte Nacht mit Holzschuhen durch
meterhohen Schnee. Neben mir ging ein polnischer Arzt, der mir sagte, daß dies
ein Todesmarsch sei, und wir niemals ankommen werden.
Er beschwor mich, bei erster Gelegenheit zu
flüchten, er selbst konnte es nicht mehr. In der ersten Nacht nach diesem
pausenlosen Marsch mußten wir wegen Luftangriffen rasten. Viele fielen aus
Erschöpfung und Müdigkeit in den Schnee. Wer nicht mehr weiter konnte, wurde
liegengelassen. Ich suchte nach einer Fluchtmöglichkeit.
Plötzlich hieß es "Kranke melden!". Trotz
Warnung, dies nicht zu tun, meldete ich mich und über-redete dazu auch einen
Mithäftling. Mit etwa zwanzig anderen Häftlingen und zwei Wachsoldaten blieben
wir, im Schnee liegend, bis zum Morgengrauen zurück. Als ich es wagte, unter dem
Schnee hervorzuschauen, sah ich noch andere, die es ebenso gemacht hatten, wie
ich. Wir waren alle grün und blau und halb erfroren. Die Wachen waren
verschwunden.
Wir gingen seitwärts durch den Wald und kamen
zu einem verlassenen Lager. Bald stellten wir fest, daß es sich dabei um das
Typhuslager "Althammer/Stara Kuznia" handelte. Dort erfuhren wir, daß alle
unsere Mithäftlinge vom Trupp Todesmarsch erschossen wurden. In diesem Lager
befanden sich noch Schwerkranke. Es gab nichts zu trinken und nichts zu essen,
nur menschliche Überreste und überall Kot.

Nr.: 25, 26, 27,
Befreiung
Von benachbarten, polnischen Dorfbewohnern
herbeigerufene, deutsche Soldaten mit Maschinen-gewehren kamen plötzlich auf uns
zu, umzingelten uns und legten die Gewehre an. Ich dachte, "Das ist das Ende".
Nach einigen Minuten kam ein Offizier der Wehrmacht und gab Befehl zum Rückzug.
Man sagte uns, wir sollten in die Baracken gehen. Ich aber witterte Gefahr und
eine Falle. Ich suchte mir ein Versteck und fand einen Berg alter Schachteln und
Gerümpel, unter dem ich mich verkroch. Plötzlich hörte ich, daß man zum Appell
rief: "Alle raus!". Soldaten holten alle, so wie sie waren, aus den Baracken.
Halbnackt und ohne Schuhe wurden sie weggeführt. Ich blieb in meinem Versteck
und rührte mich nicht. Ich sah die Stiefel der Soldaten vor mir, als sie in die
Baracke kamen, und die Angst lähmte mich. Nach einer Weile hörte ich Schüsse.
Alle, die sie weggeführt hatten, wurden erschossen. Nach einer Weile stieß
jemand gegen mein Versteck und ich hörte wie er sagte: "Komm raus, wir sind
gerettet, die Hunde bellen nicht mehr!" Ich dachte, dies wäre der nächste
Morgen, aber der Häftling sagte mir, alles hätte sich bereits vor drei Tagen
abgespielt. So wurde mir klar, daß ich drei Tage lang bewußtlos war.
Nr.: 27a, 29
Heimkehr
Da ich so schwach war, konnte ich nur noch
kriechen. In der Mistgrube fand ich ein paar Kartoffelschalen, tote Katzen und
Schnee. Das war unser Essen. Nach zwei Tagen kam die Rote Armee und zog weiter
nach Westen. Auch ich verließ das Lager und fand in der Nähe ein französisches
Arbeitslager, wo ich fasziniert sah, daß dort Leute aus Porzellantellern
dampfende Suppe aßen. Ich ging auf einen der Essenden zu und schaute ihn so an,
daß er mir sofort die Suppe gab. Der Aufenthalt in diesem Lager war nur ganz
kurz. Ich mußte versuchen, auf dem Weg in die Heimat weiter voranzukommen. Nach
einigen Tagen erkrankte ich an Fieber und ein russischer LKW, den ich
aufgehalten hatte, nahm mich mit nach Krakau. Nach einem Aufenthalt in Krakau,
wo ich für einen Monat verschiedene Arbeiten verrichtet hatte, ging es mir auch
gesundheitlich wieder etwas besser und ich machte mich weiter auf den Weg in die
Heimat, nach Preßburg.
Ich hatte erfahren, daß Preßburg befreit war,
und versuchte nun, teilweise auch mit Pferdefuhrwerk und mit der Bahn
voranzukommen. Ich erreichte Preßburg im April 1945 und habe mit
unbeschreiblichem Glück meine Familie wiedergefunden. Sie waren am Leben und
gesund.

Nr.: 29, 30, 31, 31a
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