OR - Online gegen Rechts
Bildung gegen Antisemitismus

[Graphische Version][Ergebnisbericht 2002]
Diese Broschüre erscheint im Rahmen des Projekts »Or = Licht. Bildung gegen Antisemitismus«, das von »entimon - gemeinsam gegen Gewalt und Rechtsextremismus« und dem Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Rahmen des Aktionsprogramms »Jugend für Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus« gefördert wird.

Ziele und Schwerpunkte

Antisemitismus ist das Bindeglied unterschiedlichster rechtsextremer Bewegungen und das charakteristische Merkmal nazistischer Ideologien. Die Bekämpfung des Antisemitismus ist daher in der Bekämpfung des Nazismus von allergrößter Wichtigkeit. Seit 1995 ist es haGalil online gelungen, die Dominanz nazistischer Propaganda im Internet im Bereich des Antisemitismus zurückzudrängen. Ziel des Projektes »OR - Licht. Bildung gegen Antisemitismus« ist daher die Sicherstellung und Ausweitung des breitenwirksamen Bildungsangebots von haGalil onLine und die Förderung der Plattformen interkultureller Auseinandersetzung in haGalil onLine.

Online-Bildung
gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus

Mit der wachsenden Bedeutung des Internets als Informations- und Kommunikationsmedium hat auch die nazistische Propaganda im Internet massiv zugenommen. Neonazistische Gruppen und Kameradschaften haben bereits frühzeitig die Chancen des neuen Mediums, über das Internet wesentlich breitere Bevölkerungsgruppen anzusprechen als dies beispielsweise durch Flugblätter oder Lokalveranstaltungen möglich ist, erkannt. Charakteristisch ist dabei vor allem die Möglichkeit, Zielgruppen stichwortbezogen anzusprechen und auf diese Weise mit nazistischem Gedankengut bekannt zu machen. In Zusammenarbeit mit haGalil online hat sich OR zur Aufgabe gemacht, dieser Gefahr durch die Erarbeitung und Verbreiterung authentischer Information und Wissen zu jüdischem Leben, Kultur und Geschichte sowie gegen Antisemitismus, AntiJudaismus, Rassismus und Rechtsextremismus entgegen zu wirken.

haGalil online ist heute die wichtigste Informationsquelle für nichtjüdische und jüdische deutschsprachige Menschen zu Religion, Kultur, Geschichte und zur aktuellen Situation von Jüdinnen und Juden, zum Friedensprozess im Nahen Osten und zur Entwicklung neonazistischer und revanchistischer Aktivitäten.

Jüdische Geschichte und Gegenwart

Jeden Monat informieren sich 140.000 Userinnen (Stand 10-2002) über jüdische Geschichte und Gegenwart. Untersuchungen zu Antisemitismus unter Jugendlichen wie zum Beispiel die Studie von Sturzbecher/Freytag: Antisemitismus unter Jugendlichen (Göttingen, Bern, Toronto, Seattle 2000) bestätigen, dass Vorurteile gerade dort am ausgeprägtesten sind, wo die Möglichkeit, das »Fremde« kennen zu lernen, am geringsten ist.

An diesem Punkt bietet das Internet mit seinen neuen Kommunikationsformen enorme Chancen, die haGalil onLine mit seinen interaktiven Foren und Chaträumen aufgegriffen hat. Durch die Möglichkeit der direkten Kontaktaufnahme und Fragestellung kann hier der Dialog so direkt und unverkrampft stattfinden, wie die deutsch-jüdischen Verhältnisse es eben zulassen.

Täglich machen davon Dutzende von Lehrerinnen, Schülerinnen, Journalistinnen und andere Interessierte per Email oder Telefon
Gebrauch. Innerhalb der Vielfalt des Angebotes von haGalil onLine konzentriert sich die Arbeit von OR auf die Domains »juden-in-europa.de«, »jiddisch.org« und »zionismus.info«.

Gegen Rechtsextremismus im Internet

Das in den vergangenen Jahren in Politik und Medien immer wieder diskutierte Thema »Rechtsextremismus im Internet« hat keineswegs an Brisanz verloren. Im Gegenteil, eine Druckschrift des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom Oktober 2002 stellt sowohl einen quantitativen als auch qualitativen Anstieg rechtsextremer Präsenz im Internet fest.

Während viele rechtsextreme Internetseiten auf Server in den USA verlegt wurden, um in Deutschland der Strafverfolgung zu entgehen, wird eine Zunahme nazistischer Seiten im Jahr 2002 in Deutschland vermerkt (Bundesamt für Verfassungsschutz: Rechtsextremismus im Internet, Köln 2002).

haGalil onLine begegnet der steigenden Präsenz von rechtsextremer Propaganda und Naziseiten im Internet auf drei strategischen Ebenen.

  1. An erster Stelle steht dabei das Prinzip der inhaltlichen Gegensteuerung - nach dem Motto »auf eine Seite voll Lüge und Hass, hundert Seiten Wahrheit«. Dadurch wird das Erscheinen der rechten Websites auf den ersten Rängen der Suchmaschinen verhindert und die Chance, dass einE Schülerin bei Recherchen nach stichwortbezogenen Informationen auf einer Nazi-Seite landet, enorm vermindert.
    http://www.nazis-im-internet.de/aktion-gegen-rechts/hass.htm
    »Erfolgreich gegen Nazi-Propaganda im Internet:
    Seite um Seite - Wahrheit gegen Lüge und Hass«.
      
  2. An zweiter Stelle steht das bereits angesprochene Prinzip der Ansprechbarkeit und Kommunikationsplattform.
    http://www.hagalil.com/archiv/2001/07/medienforum.htm
    »Beste Voraussetzungen für Verständigung:
    Begegnung und Information«.
      
  3. In Folge massiver Angriffe entwickelte haGalil als dritte Komponente juristische Gegenmaßnahmen. Seit 1997 steht in haGalil onLine ein interaktives Formular zur Meldung rechtsextremer Propagandadelikte zur Verfügung. Etwa 50 % der sanktionierten Delikte in Bezug auf rechtsextreme Seiten im Internet in Deutschland wurden bisher über das Meldeformular in haGalil onLine zur Anzeige gebracht und strafrechtlich verfolgt.
    http://www.nazis-im-internet.de/aktion-gegen-rechts/aktion.htm
    »Erfolgreich gegen Nazi-Propaganda im Internet:
    Meldeformular hat sich bewährt«.

Antisemitismus aus der Mitte

OR nahm seine Arbeit Mitte Mai 2002 auf. Zu dieser Zeit steuerte der antisemitische Diskurs des Jahres 2002 in Deutschland auf seinen ersten Höhepunkt zu: ein neues Buch Martin Walsers wurde von dem Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Frank Schirrmacher im Vorfeld seines Erscheinens als antisemitisch charakterisiert. Zur gleichen Zeit wurden innerhalb der FDP erste Stimmen laut, die den Juden als einem vermeintlichen Kollektiv die Schuld an der Kriegssituation im Nahen Osten zuschreiben wollen.

Der Konflikt im Nahen Osten wurde von Teilen der FDP, im offensichtlichen Bemühen um ihre Wählerpotentiale, auf den bundesdeutschen Boden geholt. Dass dabei uralte antisemitische Vorurteile bemüht und antizionistische Formulierungen über die Grenze des Existenzrechts Israel hinaus ausgereizt wurden, war bisher rechtsextremen Kreisen vorbehalten und stellte in dieser Form von medialer Öffentlichkeit ein Novum dar. Es wurde offensichtlich, dass die Gesellschaft weiterhin eine differenzierte Auseinandersetzung mit antisemitischen Vorurteilen und Klischees braucht.

Die Debatte nahm für viele der hier lebenden Jüdinnen und Juden bedrohliche Ausmaße an. In der haGalil-Redaktion nahm die Diskussion um diese Entwicklung genauso wie ihre Dokumentation einen breiten Raum ein: Kontakte zu kritischen Journalistinnen und Autorinnen wurden hergestellt, deutsche und internationale Presseberichte ausgewertet und gemeinsam mit eigenen Artikeln in den Domains »klick-nach-rechts.de« und »antisemitismus.net« veröffentlicht.

Parallel wurde die Hintergrundberichterstattung in haGalil onLine zum Konflikt im Nahen Osten intensiviert, den Positionen der Friedensbewegung wurde und wird eine wichtige Bedeutung beigemessen: die Mitarbeiterinnen von OR werteten israelische Presseberichte aus und arbeiteten so der Redaktion haGalil onLine zu. Im Rahmen des Projektes OR entstand ein Kooperationsprojekt zwischen Tacheles-reden! e.V., dem »Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin e.V.« (http://www.apabiz.de) und haGalil onLine.

Ziel dieser Zusammenarbeit ist die regelmäßig aktualisierte Zusammenfassung von Hintergrundberichten, Kommentaren und Meldungen zu revisionistischen und neonazistischen Aktivitäten im deutschsprachigen Raum. Interessierte, aber nicht auf diesen Themenbereich spezialisierte Nutzerinnen und Nutzer von »haGalil onLine« sollen sich einen Überblick über Entwicklungen und Aktionen im rechten Lager verschaffen können. Der Schwerpunkt liegt nicht nur in der Darstellung des rechtsextremistischen Randes, sondern es wird antisemitischen und rassistischen Strömungen in der Mitte der Gesellschaft nachgegangen.

Grundlagentexte des Zionismus

Die Diskussionen des vergangenen Jahres zeigen, dass die politischen und geschichtlichen Hintergründe des Konfliktes im Nahen Osten nur unzureichend bekannt sind. Daraus resultiert unter anderem der undifferenzierte Gebrauch von Begriffen wie »Zionismus« und »Antizionismus«. OR rief das Projekt »Grundlagentexte des Zionismus« ins Leben, das die Idee des Zionismus anhand ursprünglicher Quellen verdeutlicht. Kernstück des Projektes sind die Publikationen von Theodor Herzl, Begründer des politischen Zionismus. Neben seinem programmatischen Manifest »Der Judenstaat«, das seine Vorstellung zu Gründung und Aufbau eines jüdischen Staates als Lösung der antisemitischen Bedrohung für Europas Juden enthält, wurde sein utopischer Roman »Altneuland« veröffentlicht.

Alle diese Grundlagentexte stehen mittlerweile als Bildungs- und Forschungsmaterial online kostenlos zur Verfügung. Der Roman »Altneuland« ist in Deutschland im Buchhandel nicht mehr erhältlich und nur nach monatelangen Wartezeiten in den öffentlichen Bibliotheken zu bekommen. Die Aufbereitung der Texte im Internet wird die Bemühungen, die Texte in Buchform zu veröffentlichen, erleichtern, da eine Grundlage und Vorarbeit zur Drucklegung bereits geschehen ist.

Beratung zu einem Schulkinoprojekt

Der israelische Dokumentarfilm »Promises -Versprechen« war die Grundlage für ein gemeinsames Schulkinoprojekt mit der EYZ Kino GbR. Es wurden Lehrerinnenhandreichungen erstellt und Aufführungen des Filmes vor Schulklassen begleitet. Über haGalil onLine sollen weitere Schulen und Bildungseinrichtungen zur Kooperation angeregt werden.

Veranstaltungen

Im Mai wurde im Gymnasium in Oberhaching, Landkreis München, ein Vortrag mit anschließender Diskussion zu »Rechtsextremismus im Internet« gehalten.
Im Juli 2002 fand eine weitere Veranstaltung zum Thema »Aktueller Antisemitismus« im Rahmen der Ausstellung »Anschläge« in der Stiftung »Topographie des Terrors« statt mit einer nachfolgenden Präsentation von haGalil onLine und OR - Licht. Bildung gegen Antisemitismus.
Im selben Monat wurden im Rahmen der Veranstaltung »Man wird ja wohl noch ... Aktueller Antisemitismus in Deutschland« von Tacheles reden! e.V. die Konzepte von haGalil onLine gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus im Internet vorgestellt und diskutiert.
Auf dem »Antifaschistischen Ratschlag« in Weimar im November 2002 wurde ein Praxisseminar »Rechtsextremismus im Internet« abgehalten und die Projekte haGalil onLine und OR vorgestellt.
Im Dezember fandt im Rahmen eines deutschpolnischen Jugendtreffens in Berlin-Pankow ein Workshop zu »Rechtsextremismus im Internet und Gegenstrategien« statt.

Erfahrungen und Ergebnisse

Reaktionen auf die tägliche Arbeit erfahren wir einmal über die steigende Zahl der Userinnen, in den interaktiven Bereichen des Internets und bei öffentlichen Veranstaltungen. Als ein Ergebnis können wir festhalten, dass ein großes Informationsdefizit insbesondere zu den Themenbereichen jüdisches Leben, Kultur und Geschichte und ein ebenso großes Informationsbedürfnis besteht.

In der Auseinandersetzung um den virulenten Antisemitismus wurde deutlich, dass vor allem Jugendlichen in Regionen rechter Hegemonie Argumentationshilfen fehlen, um den gängigen antisemitischen Stereotypen entgegen treten zu können. In der konkreten Arbeit gegen Rechtsextremismus im Internet zeigte sich, dass vor allem Multiplikatorinnen die Dimensionen rechtsextremer Propaganda im Netz gar nicht bekannt waren.- Die Konzepte von haGalil onLine als Gegenmaßnahme zu rechtsextremer Propaganda im Internet eröffneten und eröffnen Diskussionen um die Möglichkeiten und Notwendigkeit von online-Bildungsarbeit.

Gender Mainstreaming

In der direkten Zusammenarbeit mit den Zielgruppen (Email, Foren, Veranstaltungen) berücksichtigen wir geschlechtsspezifische Kriterien. Die Teilnahme von Mädchen und Jungen ist ausgeglichen. Genderpolitik wird im Gesamtprojekt als Querschnittsaufgabe verstanden. Bei der Planung der Aktiwtäten gelten gleiche Chancen für Frauen und Männer.
Es werden wöchentlich Artikel und Berichte von Bet Debora (bet-debora.de) veröffentlicht, um feministischen Aspekten innerhalb des Judentums Raum zu geben. In der Domain berlin-judentum.de wird großer Wert darauf gelegt, weibliche Persönlichkeiten der jüdischen Geschichte vorzustellen, die ansonsten in Vergessenheit geraten.

Perspektiven

Der in diesem Jahr öffentlich geführte Diskurs über Antisemitismus und die daran anschließende Debatte haben die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Arbeit zu diesem Thema erneut deutlich gemacht. Die tiefe Verwurzelung antisemitischer Stereotype ist erschreckend und weit verbreitet. Dem Mord von rechtsextremen Tätern an einem Jugendlichen in der Uckermark, der am 18. November 2002 bekannt wurde, ging die Stigmatisierung des Opfers als »Jude« voraus (http://www.klick-nach-rechts.de/gegen-rechts/2002/11/nazimord.htm).

Die Erfahrungen, die »OR - Licht. Bildung gegen Antisemitismus« in der kurzen Phase machen konnte, zeigen den weiteren dringenden Handlungsbedarf auf.

Gefördert im Rahmen des Aktionsprogramms »Jugend für Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus«