Interview mit Robert Kuwalek:
Die Gedenkstätte Belzec

Robert Kuwalek ist der Direktor der neuen Gedenkstätte Belzec, die am 3. Juni 2004 eröffnet wurde....

tacheles reden - Tanja Kinzel, Gudrun Schroeter

Vor einigen Jahren gab es an dieser Stelle nichts als einen Grashügel mit einem Denkmal. Können Sie uns kurz die Geschichte der Gedenkstätte Belzec schildern?

Das erste Mahnmal, das alte Memorial wurde 1963 hier gebaut. Bis 1963 gab es keine spezielle Erinnerung an die Geschichte, es gab nichts, das auf die Vernichtung hinwies. Und das Mahnmal von 1963 war ein altes Mahnmal, es enthielt keine Informationen darüber, was hier geschehen war, wer hier ermordet wurde, die Anzahl der Opfer, usw. - es war lediglich ein rechteckiges Monument, das historisch wenig aussagte. Erst Ende der 80er Jahre begannen die Verwandten der Opfer offen darüber zusprechen, dass es notwendig sei, eine neue Gedenkstätte hier zu errichten, die ein angemessenes Gedenken ermögliche. Die erste Idee kam von Miles Lerman, einem der früheren Direktoren des Holocaust Museum in Washington D.C.: Er hatte seine gesamte Familie hier verloren und war einer der ersten, der sich für eine neue Gedenkstätte einsetzte. Er begann Geld für dieses Projekt zu sammeln.

Und schließlich, Anfang der 90er Jahre, 1993, wurde eine Vereinbarung zwischen der polnischen Regierung, dem Holocaust Museum in Washington und dem American Jewish Committee (AJC) über den Bau einer neuen Gedenkstätte unterschrieben. Die ersten Arbeiten waren die Ausschreibung eines Wettbewerbes für die Konzeption der Gedenkstätte – es ging um die grundsätzliche Frage, wie diese Gedenkstätte aussehen sollte - und die archäologischen Untersuchungen auf dem Gelände. Das war notwendig, denn man wusste nicht, wo die Menschen begraben waren und wie viele Massengräber es gab. Die zentrale Idee der Gedenkstätte war es, den Ort als Friedhof zu erhalten, doch zuvor mussten die ArchäologInnen die Massengräber finden. Mit Sonden und unter rabbinischer Kontrolle wurden nach drei Jahren, zwischen 1997 und 2000, nicht nur die Grundmauern der Baracken und Gebäude gefunden, sondern auch 33 Massengräber. Von diesem Moment an begannen die ersten Arbeiten auf dem Gelände, die mit der Errichtung der Gedenkstätte zu tun hatten und diese Arbeiten wurden dann sehr schnell ausgeführt – innerhalb von zwei Jahren war die gesamte Gedenkstätte zusammen mit dem Museumsgebäude errichtet.

Was war die generelle Idee des neuen Gedenkstättenkonzepts?

Die grundsätzliche Idee war es der Opfer zu gedenken, nicht des Geländes, nicht der Gaskammern, nicht der Baracken, sondern der Opfer. Über 500.000 Menschen wurden hier in einer Zeit von neun Monaten ermordet und an sie sollte auf eine angemessene Weise erinnert werden. Und deshalb sind die Massengräber auf dem Gelände der Gedenkstätte durch eine dunklere Farbe der Steine kenntlich und heben sich so aus dem Grau des Schlackefeldes hervor. Und deshalb ist das Feld von den Namen der Gemeinden umgeben, aus denen die Menschen hierher deportiert wurden – sie sind auch eine
Erinnerung an die Opfer, ebenso die Vornamen, die am Ende der symbolischen Schleuse, die zu den Gaskammern führte, in den Stein geschlagen sind.

Warum nur die Vornamen?

Da es keine Transportlisten aus den polnischen Gemeinden gab, wir aber auch etwas Persönliches darstellen, die persönlichen Geschichten nicht vergessen wollten, haben wir die Dokumentation aus den jeweiligen Archiven der Gemeinden, den einzelnen Schtetlech und Städten, aus denen es  Deportationen nach Belzec gab, genutzt. Da wir jedoch bei vielen nicht wussten, ob die Einzelnen oder die Familien, ob Herr Goldberg oder andere, wirklich deportiert wurden oder nicht, haben wir uns entschlossen, dass es besser ist, nur die Vornamen zu benutzen. Von den deutschen, tschechischen und österreichischen Transporten, gab es zwar Transportlisten, aber wir haben dennoch nur die Vornamen verwendet.

Zwischen den Schlackefeldern führt ein Weg zu den Namen und der Tafel des Gedenkens, hinein in den Hügel, in dem sich die Massengräber befinden - fast wie ein Tunnel. Was symbolisiert dieser Gang der Erinnerung?

Es sollte einen Moment, einen Ort in der Gedenkstätte geben, in dem man drinnen ist, drinnen zwischen den Massengräbern. Dieser Gang war die einzige Möglichkeit so einen Weg zu bauen – es war die ehemalige Schleuse, der Weg zu den Gaskammern – nur dort waren keine Massengräber und deshalb war es möglich den Erinnerungspfad zu errichten. Die Idee des Pfades: wenn du auf ihm gehst, fühlst du sehr viel mehr, du fühlst, dass du allein bist, allein mit der Geschichte und vielleicht kannst du einen Eindruck davon bekommen, wie allein die Deportierten waren. Ja, und die Steine, die den Boden dieser Schleuse pflastern sind auch ein Symbol – die Steine ein Symbol für die Marktplätze in den kleinen Orten, den Schtetlech, in denen die Menschen vor ihrer Deportation lebten.

In der Gedenkstätte gibt es ein Museum mit einer modernen Ausstellung, die über den Ort und seine Geschichte informiert. Welches ist das zentrale Anliegen der Ausstellung?

Sie ist sehr wichtig, weil der historische Ort nicht erhalten ist - die Gebäude wurden während der Liquidierung des Lagers von der SS zerstört. So ist die erste Aufgabe, die Geschichte dieses Ortes, die Geschichte des Vernichtungslagers zu zeigen. Aber wir konnten nicht nur das Vernichtungslager Belzec als Belzec zeigen, es war wichtig zu erklären, welches der Weg vom Beginn des Krieges hin zur Errichtung des Lagers war, welches die deutsche Politik gegen die Juden und Jüdinnen war, wie die Idee der stationären Gaskammer entstand – und auch von wem sie kam…

So ist ein Anliegen der Ausstellung die Verfolger und deren Ideen und Vorstellungen zu zeigen, aber auch den Rahmen um die Vernichtungsanlager, Leben und Tod im Ghetto, die Deportationen. Und besonders wichtig ist es, über die Opfer zu informieren, die verschiedenen Gruppen der Opfer, aus den unterschiedlichen Städten. Natürlich konnten wir nicht jede Gemeinde einzeln aufführen – und so entschieden wir uns für exemplarische Beschreibungen: die Gemeinde in Lemberg, die Krakauer Gemeinde, religiöse Juden – Chassidim, und eine Gemeinde aus Würzburg in Deutschland, über die wir eine sehr ausführliche Dokumentation besitzen, so dass wir einige Geschichten darstellen konnten. Aber jedes Foto und jedes Ausstellungsstück ist eng verbunden mit dem Vernichtungslager Belzec.

Wie ist die Resonanz auf die Gedenkstätte in den Orten der Umgebung, der polnischen Öffentlichkeit und von internationaler Seite?

Seit Beginn, seit der Eröffnung der neuen Gedenkstätte von Juni 2004 bis August 2004 gab es schon über 20.000 BesucherInnen. Das ist viel. Die meisten von ihnen kommen aus Polen, nicht etwa aus dem Ausland, viele aus dem Dorf Belzec und den umliegenden Dörfern. Und viele kommen, um uns etwas zu erzählen, einige Details aus der Zeit. Natürlich wissen wir, dass es in der lokalen Bevölkerung durchaus Leute gab, die gegen die Idee der Gedenkstätte waren. Aber für viele ist es auch ein angemessener Ort der Erinnerung. Sie sprechen darüber. Und natürlich, ich nehme an, dass es noch einige Ältere gibt, die Geschichten erzählen können über dieses Lager. Es gibt noch eine gewisse Distanz, aber wir haben z.B. Kontakt zu einer Person, die sprechen möchte und es kann sein, dass über diesen Menschen andere aus den Dörfern ermutigt werden ebenso über die Geschichte des Lagers zu sprechen. Sie sind ZeugInnen.

Wer arbeitete an der Konstruktion, der Realisierung der Gedenkstätte?

Die meisten der Arbeiter, die hier arbeiteten, kamen aus den umliegenden Dörfern. Sogar während der Arbeiten erzählten einige, was sie gehört hatten über das Lager. Sie sind aus der zweiten Generation und so konnten sie nur erzählen, was sie von ihren Eltern über diesen Ort gehört hatten. Es ist schwierig zu sagen, weil - ich habe nicht mit jedem Einzelnen hier Kontakt – was sie dachten, was sie mutmaßten oder ihre Meinung zu dem Komplex. Das ist schwierig zu sagen … Aber ich denke, es ist ein sehr richtiger Gedenkort.

Wer arbeitet heute in der Gedenkstätte?

Außer den zwei Historikern, die aus Tomaszow kommen, sind alle Angestellten – die Security, die Büro- und Reinigungskräfte aus Belzec. Es war wichtig, die Menschen, die hier leben, mit dem Ort zu verbinden, ihnen zu zeigen, dass es auch ihr Ort ist, Teil des lokalen Gedenkens und dass sie für diesen Ort verantwortlich sind. Es sollten keine Zugezogenen hier arbeiten. Nein, es ist besser, wenn Menschen aus der lokalen Bevölkerung sagen können: Ich arbeite hier, ich bin verantwortlich für den Ort und dieser Ort ist wichtig für mich … zum Beispiel, die Angestellten in der Security sind sehr, sehr verantwortlich für diesen Ort. Und ich erfahre viele Geschichten von ihnen, sie informieren uns über die Meinungen und Einstellungen der Leute hier, über die Diskussionen, darüber ob jemand etwas Interessantes zu Hause hat, etwas das uns weiterhelfen könnte….

Gab es um die Errichtung der neuen Gedenkstätte Debatten oder Diskussionen in Polen über die Region hinaus?

Es gab eigentlich keine Diskussionen, keine Öffentlichkeit bis auf einen Artikel, in welchem der Journalist – vielleicht wollte er einen Skandal finden – thematisiert, dass die Konstruktionsarbeiten von einer deutschen Firma übernommen worden seien. Der Artikel war überschrieben in etwa: von polnischem und jüdischem Geld bauen die Deutschen die Gedenkstätte, also, dass die Deutschen die Gedenkstätte bauen, aber nicht mit deutschen Geldern, sondern mit polnischen und jüdischen Geldern. Aber es war keine wirkliche Diskussion, nicht ansatzweise wie etwa die Debatten in Berlin um das Holocaust-Mahnmal.

Am Eröffnungstag der neuen Gedenkstätte wurde eine Gedenkzeremonie hier organisiert und die war vor allem – das war uns am wichtigsten - für die Angehörigen der Opfer - sie waren aus allen Teilen der Welt eingeladen. Die Veranstaltung war jedoch offen für alle. Natürlich kamen auch offizielle Gäste: der Präsident von Polen, der israelische Botschafter, Botschafter aus der USA, aus Deutschland, Tschechien und auch ein Delegierter der schwedischen Botschaft. Schweden ist in den letzten Jahren sehr involviert in die Holocaust-Education. Sie schicken viele Gruppen nach Belzec, der Ort ist in Schweden bekannt. In Schweden leben auch viele Überlebende und für sie ist dieser Ort wichtig. Nach der Gedenkveranstaltung kamen einige Anrufe von schwedischen Journalisten bei mir an und ich war sehr überrascht, wie informiert sie über das Lager waren und wie interessiert sie waren an immer neuen Details.

Wie war das Presseecho auf die Eröffnung?

Das war sehrt beeindruckend! Die ganze Zeremonie wurde über zwei Stunden im polnischen Fernsehen übertragen, an diesem Tag gab es verschiedene Dokumentarfilme über die Geschichte der Juden und Jüdinnen, die nach Belzec deportiert wurden. Das war sehr wichtig für uns und eine gute Information für die BesucherInnen über die Geschichte des Lagers und die Eröffnung der neuen Gedenkstätte. Vielleicht ist das mit ein Grund, dass so viele BesucherInnen hierher kommen. Auch in den Zeitungen, in allen Zeitungen gab es Artikel. Belzec ist die erste so große Gedenkstätte in Polen die während der letzten dreißig Jahre gebaut wurde – das war schon ein großes Ereignis in Polen.

Und die deutsche Presse?

Es gab einige kleine Beiträge und Veröffentlichungen, aber ich weiß, dass zumindest einige von ihnen von meinen Freunden geschrieben wurden. Sie waren informiert, weil sie es wissen wollten.

Aber es ist schade, dass dieser Ort in Deutschland ein fast unbekannter Ort ist, ein vergessener Ort, obwohl es das drittgrößte Vernichtungslager nach Auschwitz-Birkenau und Treblinka war – und so viele deutsche BürgerInnen hier getötet wurden. Eigentlich sollte der Ort auch für die deutsche Erinnerung wichtig sein und es sollte vielleicht mehr Interesse geben, aber …

Deutsche waren auch die Täter an diesem Ort - auch deshalb sollte es wichtig sein ihn zu erinnern.

Das ist nicht der Punkt. Die Deutschen waren die Täter in Auschwitz-Birkenau und Auschwitz Birkenau ist bekannt in Deutschland, es ist ein Symbol für die Vernichtung geworden - und auch Treblinka ist vielen bekannt, aber Belzec oder Sobibor?

 


 

gs / tacheles-reden.de / 2004-10-28