Aufstand in Warschau 1944:
Denkwürdiges Gedenken

In Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung richtete der Bund der Vertriebenen (BdV) in der Französischen Kirche in Berlin unter dem Motto "Empathie - der Weg zum Miteinander" am 19. Juli 2004 eine Gedenkveranstaltung zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstands 1944 aus...

Gudrun Schroeter

 

Schon im Vorfeld hatte die Veranstaltung zu harscher Kritik vor allem in den polnischen Medien geführt. Wladyslaw Bartoszewski, Teilnehmer am Aufstand 1944, Auschwitz-Überlebender, einstiger polnischer Außenminister und Historiker, hatte seine Kritik an der Veranstaltung geäußert: „Der Warschauer Aufstand ist uns heilig. Wir wollen nicht, dass gerade diese Organisation an dieses Ereignis erinnert.“ (Welt am Sonntag, 18. Juli 2004) Eine sehr verständliche Distanzierung von der Initiative des BdV angesichts der Turbulenzen der letzten Jahre, an denen auch die Schirmherrin der Veranstaltung und Präsidentin des BdV Frau Erika Steinbach maßgeblich beteiligt war.

 

Einige Hintergründe der politischen Spannungen im Vorfeld

 

Das seit 1999 von Frau Steinbach protegierte „Zentrum für Vertreibungen“ fand wenig Zustimmung in Polen, und auch die Initiativen des Vizepräsidenten des BdV, Hans Günther Parplies, trugen nicht unbedingt dazu bei, die Integrität des BdV zur Ausrichtung dieser Gedenkveranstaltung zu fördern. Parplies fungiert auch als Vize-Aufsichtsrat-Vorsitzender der im Jahr 2000 gegründeten „Preußischen Treuhand GmbH & Co. Kommanditgesellschaft auf Aktien. Prussian Claims Society". Die GmbH, mit Sitz in Düsseldorf und unter der Adresse der Landsmannschaft Ostpreußen angesiedelt, ist eine Sammlungsbewegung, die sich die Durchsetzung der Eigentumsansprüche von Vertriebenen zum Ziel gesetzt hat. Der aus „pommerschem“ Adelgeschlecht stammende, um sein Schloss kämpfende Alexander von Waldow, ebenfalls stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der „Preußischen Treuhand“, beschreibt die Situation bezüglich der Eigentumsverhältnisse in einem Interview folgendermaßen: „Der polnische Staat hat deutsches Eigentum widerrechtlich konfisziert. Das kommt einem Raub gleich. Geraubtes Gut kann nicht Eigentum anderer werden. …“ (Der Republikaner. Zeit für Protest, 3-4/04) An gleicher Stelle verdeutlicht er seine Position bezüglich Entschädigung oder Rückkehr: „Es geht uns - ich spreche bewusst im Plural - im Grunde nicht um Entschädigung, sondern in erster Linie darum, dass wir die Verpflichtung haben, unser Eigentum wieder aufzubauen. …“ (ebd.)

Auch wenn sich der BdV von den Initiativen der „Treuhand“ öffentlich distanziert hat, ist die Erklärung der BdV-Generalsekretärin Michaela Hriberski nicht in allen Punkten schlüssig: „ … Grundlage der Distanzierung ist ein einstimmig gefasster Beschluss des BdV-Präsidiums vom 22. November 2003. Darin erklärt das BdV-Präsidium, dass der BdV keine personellen, inhaltlichen oder strukturellen Kontakte und Verbindungen zur Preußischen Treuhand hat und auch nicht haben will. …“ (1) War Hans Günther Parplies, der Vize-Aufsichtsrat-Vorsitzender der „Preußische Treuhand GmBH & Co. Kommanditgesellschaft auf Aktien. Prussian Claims Society" personell vielleicht bei dieser Sitzung nicht anwesend?

Derartige Aktivitäten jedoch sorgten für Turbulenzen nicht nur im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt Polens, der damit einhergehenden Verschiebungen der juristischen Zuständigkeiten, sondern auch in den deutsch-polnischen Verhältnissen. Wieder und wieder hatte Frau Steinbach in ihren Reden darauf aufmerksam gemacht, dass in einigen Beitrittsländern gravierende politische und rechtliche Defizite bezüglich der Menschenrechte zu verzeichnen seien, gemeint waren die Rechte von zwangsumgesiedelten Deutschen.

Die konkrete Offensive der „Preußischen Treuhand“ und derartige politische Attacken hatten in Polen zu ersten praktischen Reaktionen geführt, die als „eine Antwort auf bestimmte Erscheinungen in Deutschland“ gesehen wurden. (Die Welt, 28. Januar 2004) Der Warschauer Oberbürgermeister Lech Kaczynski hielt die vorläufigen Schätzungen der Kriegsschäden in Warschau von 31,5 Milliarden Dollar – die Stadt war zu neunzig Prozent zerstört worden – für entschieden zu niedrig.

Gespannte Lage im Vorfeld der Veranstaltung in der Französischen Friedenskirche: Auch der polnische Botschafter in Berlin hatte die BdV-Präsidentin Erika Steinbach darauf hingewiesen, dass dieses Gedenken bei großen Teilen der polnischen Öffentlichkeit als Provokation aufgefasst werde. (Die Welt, 16. Juli 2004) Doch die Veranstaltung fand statt. Als Redner waren neben der BdV-Präsidentin Erika Steinbach Karl Kardinal Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, Professor Hans Maier, Bayrischer Staatsminister a.D. und Historiker, der Schriftsteller Ralf Giordano und der polnische Historiker Dr. Bogdan Musial geladen.

 

 

Umstrittene Veranstaltung

 

Die im Vorfeld geäußerten Befürchtungen Frau Steinbach werde ihr Podium nutzen, um das Zentrum gegen Vertreibungen zu lancieren, bestätigten sich nicht. Sie sprach keine der politischen Kontroversen an, stellte ihre Bewunderung für die Unbeirrbarkeit des polnischen Volkes heraus und benannte „(D)as Grauen der Hitlerdiktatur, dessen schlimmste Auswüchse unter den Staaten Polen zu erleiden hatte.“ Ungewohnte Worte aus dem Mund einer Funktionärin der Vertriebenen, und wenn diese Formulierung eine extrem funktionalistische Sichtweise auf die Zeit des Nationalsozialismus nahe legen kann, stellt sich die Frage nach Rolle und Involviertheit der deutschen Mehrheitsgesellschaft in dieser Zeit und die eigentlich wichtige der daraus resultierenden Verantwortung. Frau Steinbach sprach über die selbst gestellte Aufgabe des BdV, „in öffentlichen Veranstaltungen am Schicksal anderer Völker und ihrer Menschen Anteil zu nehmen und aufzuklären … das Wissen über die Schicksale unserer Nachbarn zu vertiefen … Der BdV will helfen, Wissen über den Warschauer Aufstand, Wissen über polnische Schicksale zu vermitteln.“

 

Es heißt allgemein, gesprochene Sprache benötige einen gewissen Anteil an Redundanz, vor allem, um das Wesentliche zu vermitteln. Sehr wesentlich schien hier in dieser Rede der Begriff Schicksal, der sich eigentlich wie kein anderer nicht zum Schlüsselbegriff eignet, weder im konkreten historischen Kontext der Veranstaltung noch generell für jegliches Geschichtsverständnis. Gedacht wurde des Aufstands der Armia Krajowa in Warschau 1944, den die deutsche Wehrmacht, SS und Polizeieinheiten zerschlugen, die dabei um die 200.000 Menschen ermordeten und weite Teile Warschaus in Schutt und Asche legten.

 

Das Schicksal jedoch spielt auch eine bedeutende Rolle in der Charta der Heimatvertriebenen vom August 1950: so wendeten sich diese an die „Völker der Welt“, ihre „Mitverantwortung am Schicksal der Heimatvertriebenen als der vom Leid der Zeit am schwersten Betroffenen“ zu empfinden. Frau Steinbach bezieht sich in ihren Reden beizeiten auf den Passus 1 dieser Charta, der den „heiligen und ernsten Beschluss“ der Vertriebenen benennt: „Wir verzichten auf Rache und Vergeltung“. Das ist heute in gleicher Weise wie 1950 anmaßend.

 

Ralph Giordano setzte sich vor vier Jahren mit diesem Dokument deutscher Nachkriegsgeschichte auseinander, bezeichnete die Charta als „ein Lehrstück tabuisierter Nationalgeschichte“ und stellte zu eben diesem Passus die Fragen:„… Da darf doch wohl gefragt werden: Wem gegenüber denn? Etwa der polnischen Bevölkerung, die ein Sechstel ihres Bestandes während der deutschen Besetzung verloren hat, darunter an die drei Millionen Juden? Oder gegenüber den Völkern der Sowjetunion, die der Krieg der Waffen und der Vernichtungskrieg zwanzig Millionen Leben oder mehr kostete? … Man mag es nicht glauben, aber so steht sie da - die Verwandlung der Opfer deutscher Aggression in Schuldner der Geschichte, der Angehörigen der Täternation aber in Gläubiger. Von allem Fatalen des Dokuments ist dieser stets im Brustton großmütigen Verzeihens vorgetragene Kernsatz das Fatalste, noch hinaus über das unausgesprochene hier ist Gleiches mit Gleichem vergolten worden.“ (taz, 2. September 2000)

 

Ralph Giordano, der in seiner Rede in der Französischen Kirche eine ausführliche Würdigung des Aufstand in Warschau erbracht hatte, schloss daran einen „notwendigen Epilog“, mit dem er sein Auftreten auf dieser Veranstaltung erkläre – gegen den Rat oder das inständige Bitten ihm eng verbundener Kreise, es nicht zu tun; „ein persönliches Wort gerichtet an beide Seiten, Veranstalter wie ihre Gegner, darunter besonders meine polnischen Freunde, und gestellt unter das Codewort dieses Tages: Empathie – also Anteilnahme am Schicksal des jeweils andern.“

 

Der im vergangenen Jahr mit dem „Franz-Werfel-Menschenrechtspreis“ der Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“ Ausgezeichnete wandte sich explizit an: „Polen und Tschechen,und besonders meine Freunde dort, sich ihrerseits in der Dialektik der Empathie … zu üben, und nicht da zurückzuzucken, wo die eigene Geschichte verdunkelt worden ist durch Untaten und Menschenrechtsverletzungen.“

 

Er sprach seine Einschätzung aus, dass sich nach seiner Wahrnehmung das Empathieverhalten der BdV-Führung geändert habe, in Richtung „einer Öffnung hin zu den der Vertreibung vorangegangenen deutsch verursachten Opfern“. Während die „Charta der Heimatvertriebenen“ allein auf das deutsche Leid fixiert war, in der weder fremdes Leid, noch Auschwitz, noch Hitler eine Erwähnung fanden, seien heute Sätze zu hören wie: „Es war Hitler, der die Büchse der Pandora geöffnet hat.“ Solche Worte aus dem Munde Frau Steinbachs deutete er derart, dass unter der Ägide dieser Präsidentin eine Änderung begonnen habe und dass seine eigenen Erfahrungen in den letzten Jahren mit ihr kontrastierten mit der „öffentlichen Dämonisierung“.

 

Worte und Taten des BdV der letzten Monate, Jahre lassen dieser Analyse nicht recht folgen. Das Gedenken an den Aufstand in Warschau blieb mehr als denkwürdig. Frau Steinbach demonstrierte mit ihrer Rede durchausansatzweise die von Ralph Giordano wahrgenommene Veränderung. An diesem Tag bezog sie sich nicht auf das heute noch als Grundsatz geltende Dokument, die „Charta der Heimatvertriebenen“. An diesem Tag kam die „Preußische Treuhand“ ihres Vize nicht zur Sprache, die allein schon an einem Sinneswandel in der BdV-Führung zweifeln lässt. All das spricht vollkommen gegen die Integrität dieses Verbandes zur Ausrichtung einer solchen Veranstaltung. Frau Steinbach bringt einen Tenor in die Debatte, indem sie von „Hitlerdiktatur“ spricht. Die Thematisierung der deutschen (Leidens-) “Schicksale“ ist nicht neu, ebenso wenig die Selbstwahrnehmung weiter Teile dieser Gesellschaft als Opfer. Schicksale eignen sich jedoch weder für eine historische Auseinandersetzung mit Geschichte noch für eine glaubhafte politische Standortbestimmung. „Empathie braucht unabdingbar … die Kenntnis übereinander. Das Wissen um das Schicksal des Anderen und das Hineindenken in seine Empfindungen kann Herzen öffnen.“ Diese von Frau Steinbach formulierten, hehren Absichten auf dem Weg zu einer Begegning hat sie selber gründlich verletzt, setzten sie doch voraus, dass der/die Andere überhaupt erst einmal gehört wird. Die Sätze Wladyslaw Bartoszewskis sind nach dieser Veranstaltung um so eindringlicher zu verstehen.

 

(1) Die "Charta der Heimatvertriebenen" sowie die Reden der BdV-Präsidentin sind auf der Website des Bundes einzusehen.

 

DG / tacheles-reden.de / 2004-07-21