Prozess gegen Rechtsextreme:
Notizen aus dem Amtsgericht Halberstadt

Am 1. und 6. April 2004 wurde vor dem Amtsgericht Halberstadt der Überfall von Rechtsextremen auf das linke, städtisch geförderte Kulturzentrum "Zora" verhandelt. Der Angriff erfolgte am 16. August 2003, dem Vorabend des rechtsextremen Rudolf-Hess-Gedenkmarsches. Einer der Besucher des im Zentrum stattfindenden Konzerts war dabei schwer verletzt worden....

Karen Sander


Vor dem Amtgericht Halberstadt waren sechs zwischen 16 und 31 Jahre alte Männer – Peter K., Steven M., Sören R., Stefan R., Lutz St. und Patrick Sch. – wegen gefährlicher Körperverletzung und schwerem Landfriedensbruch angeklagt, einige von ihnen einschlägig vorbestraft. In den auf den Überfall folgenden Ermittlungen war in der Wohnung Peter K.s, bekannt als der Sänger der rechtsextremen Band SSA – Skinheads Sachsen Anhalt, rechtsextremes Material beschlagnahmt worden. In Folgedurchsuchungen bei mutmaßlichen weiteren Mitgliedern der SSA wurden Neonazi-CDs, Hitlerfiguren und größere Mengen rechtsextremen Propagandamaterials sichergestellt. Peter K. verweigerte jede Aussage und das Verfahren gegen ihn wurde gleich zu Beginn des Prozesses abgetrennt. Verhandelt wurde gegen die fünf Verbleibenden, deren Verteidiger die Einlassungsbereitschaft ihrer Mandanten erklärten.

16. August 2003: Gewaltexzesse, zwei Schwerverletzte, fast ein Toter

Als erster ließ sich der bisher einzige nicht vorbestrafte Angeklagte Steven M. ein und lieferte seine Version des Tathergangs. Die Eckdaten der Aussage stimmten mit den in der Anklageschrift verlesenen Ereignissen überein: Nach einem City-Konzert habe die Gruppe sich auf einem Aldi-Parkplatz getroffen und verabredet, zu einem linken Wohnprojekt in der Stadt zu fahren, um „Streit anzufangen“. Nach vergeblichen Versuchen der mit Zaunlatten bewaffneten Männer in das Haus einzudringen, sei man abgezogen zu der Wohnung eines Bekannten. Auf dem Weg dorthin soll Peter K. auf einen Passanten eingeschlagen haben. Als dieser nicht zu Boden ging, sondern sich seines Angreifers erwehren konnte, zog Steven M. dem Flüchtenden kurzerhand eine Bierflasche über den Kopf. Dem Opfer gelang die Flucht. In der Wohnung des Bekannten sei der Angriff auf das linke Kulturprojekt „Zora“ besprochen worden. Man habe sich in Kleingruppen auf den Weg gemacht. Die entsprechende Bewaffnung – Latten, Stöcke, Steine, Bierflaschen – wurde unterwegs gesammelt. Steven M. belastete sich und sagte aus, den ersten Schlag auf das Opfer in der „Zora“ getätigt zu haben, nachdem die Gruppe in das Projekt eingedrungen war …

Ein junger Mann und eine junge Frau, zwei Besucher des Konzerts, das im Rahmen eines internationalen antirassistischen Workcamps im Kulturzentrum stattfand, saßen zu diesem Zeitpunkt auf einem Zaun im Innengelände des Kulturprojektes. Auf diese trafen die eindringenden Männer zuerst und schlugen ihr männliches Opfer mit Bierflaschen zu Boden, dann folgten Tritte in das Gesicht und auf den Kopf, wieder und wieder. Der Frau gelang es, durch die Reihe der Angreifer hindurch zum Gebäude zu gelangen, um Hilfe zu holen. Ein Ruf aus der angreifenden Gruppe „Halt, der hat genug!“ soll den Angriff gestoppt haben. Das Opfer wurde von einem der Angreifer auf die Straße geschleppt. Ein Krankenwagen kam rechtzeitig. Schädel- und Gesichtsfrakturen, Schnittwunden am Kopf und im Gesicht. S. V. hat den Angriff überlebt und stellte im Gerichtsverfahren die Nebenklage.

Relativierungen und Verharmlosungen vor Gericht

Lediglich der Angeklagte Sören R. sprach davon, dass ihm Leid tue, was in dieser Nacht passiert sei. Dass er an dem Überfall beteiligt war, stand außer Frage, es gab Blutspuren an seinen Turnschuhen. Alle weiteren Angeklagten relativierten in ihren Einlassungen die schon gemachten Aussagen in den polizeilichen und staatsanwaltlichen Vernehmungen, mit denen sie in der gerichtlichen Befragung konfrontiert wurden. Während Steven M. von einem „Wahn“ sprach, in den er gefallen sei, behaupteten die anderen, es sei eben so gekommen, eben so passiert, oder man habe einfach mal gucken wollen, was in den linken Projekt so los sei. Sie wussten nichts mehr von Verabredungen, nichts mehr von Gesprächen.

So offensichtlich reduziert diese Aussagen erschienen, so dumpf und anteilslos wurden sie vorgebracht. In eine rechtsextreme Szene sei man nicht involviert, rechts angehaucht vielleicht oder auch neutral, suchten sie sich einzuordnen, und erinnern könne man sich auch nicht mehr, wer, wann, wo … und warum. Wenn das Schweigen auf der Anklagebank allzu lähmend wurde und Fragen zur politischen Gesinnung der Angeklagten im Raum standen, kam Unterstützung aus der Riege der Verteidiger: Fragen der Orientierung stünden hier nicht zur Debatte.

Die redlichen Versuche des Richters Balko, sich ein Bild der Geschehnisse und der Motivation dieser Männer zu verschaffen, versackten mehr und mehr vor der Mauer von Stumpfheit und angeblichem Erinnerungsverlust. Der jugendliche Angeklagte Patrick Sch. etwa leitete seine Einlassung damit ein, dass alle seine Aussagen in den vorhergehenden Vernehmungen falsch gewesen seien. Er wollte nun von gar nichts mehr wissen, auch nicht, dass es darum gegangen sei, in dem Kulturzentrum Zora „Streit zu suchen“. Er habe zu seiner Großmutter gewollt und habe seine Kumpels lediglich begleitet auf diesem Weg. Irgendwie sei er dann dort gelandet. Das Verfahren gegen ihn wurde schließlich abgekoppelt, da eine DNA-Analyse seiner Turnschuhe abgewartet werden soll. Symptomatisch, dass er auch vergessen hatte, was er in seinem Rucksack bei sich trug: in diesem hatten sich einige CDs befunden, wegen denen ein eigenständiges Verfahren wegen verfassungsfeindlicher Inhalte und Volksverhetzung ansteht.

Die Perspektive der Opfer

L.-M. P., Schülerin, hatte vor den fast tödlichen Angriffen mit auf dem Zaun gesessen und dann Hilfe geholt. In der Folge des Angriffs hatte sie ein Phantombild eines Täters angefertigt, den sie in der zuerst angreifenden Gruppe erkannt hatte. In einer Lichtbilddatei identifizierte sie diesen Schläger vor Gericht als Peter K.. Der Student S. V. rekonstruierte in seiner Aussage als Nebenkläger den Angriff, die ersten Schläge zweier Bierflaschen, die ihn am Kopf trafen und zu Boden gehen ließen. Dann nur noch Tritte auf Tritte in den Kopfbereich, vor denen es keine Schutzmöglichkeiten mehr gegeben habe. Als er aus der Gruppe weggezogen worden sei, sei ihm Gedanken gekommen, ob das nun das Ende sei oder sei er vielleicht noch einmal davongekommen? Das traumatische Erlebnis sprach aus seinen Worten: die absolute Sinnlosigkeit dieses Geschehens, die sich jedem Verstehen verschließt und sein Leben verändert hat. Unterstützung fanden die Beiden durch ihre zahlreich vertretenen FreundInnen in und vor dem Gerichtssaal.

Während der Aussagen Dumpfsinn auf der Anklagebank, keine Regung.

Verurteilungen

In den Plädoyers der Verteidigung wurde wiederholt betont, dass von rechten Hintergründen der Angeklagten nicht die Rede sein könne. Links und rechts, das sei heute eine Modefrage. Die an beiden Prozesstagen reichlich vertretene Skinhead-Unterstützung der Angeklagten im Gerichtssaal trug diese „Mode“ dann auch offensiv zur Schau: T-Shirt, vorne „pro violence“, auf dem Rücken die „88“.

Das Gericht verurteilte die Angeklagten Steven M. und Stefan R. zu Freiheitsstrafen (15 und 12 Monate), die anderen erhielten Bewährungsstrafen. Eine Vertreterin der Nebenklage beurteilte diese Strafen generell als niedrig angesichts des gemeinsamen Tatplans und der gemeinsamen Aktion der Angreifer. Ungewöhnlich sei allerdings, dass der zum Tatzeitpunkt 18jährige Steven M. als Erwachsener verurteilt worden sei, so seien die Strafen einerseits hart, andererseits nicht. 

Exkurs: Neonaziszene

Beobachtungen des Verfassungsschutzes hielten Ende März unvermindert starke Zuläufe von Jugendlichen in die rechte Skinheadszene fest. Vor allem die Rekrutierung eher subkulturell geprägter und lose organisierter Skinheads in gewaltbereite Nazigruppen sei deutlich angestiegen. (Berliner Zeitung 29.3.2004)

Fast zeitgleich mit dem Erscheinen der Informationen des Verfassungsschutzes wurde am 29. März in Halberstadt ein 43-jähriger Asylbewerber aus Eritrea von vier Männern überfallen, geschlagen und verletzt. (taz, 1.4.2004) Das Opfer musste mit Platzwunden und Prellungen im Gesicht medizinisch behandelt werden. Einer der Tatverdächtigen wurde festgenommen. Der heute 19-Jährige hatte bereits 2002 einen Asylbewerber aus Indien angegriffen. Er gelte in diesem jüngsten Fall als der Haupttäter, so ein Pressesprecher der Polizei, nach seinen drei Komplizen werde gefahndet.

Seit Beginn der 90er Jahre ist die Halberstädter Neonazi-Szene aktiv. Im September 1992 wurde gemeinsam mit Neonazis aus Quedlinburg tagelang ein Flüchtlingsheim angegriffen. Das 1990 gegründete soziokulturelle Zentrum „Zora“, das vorwiegend von alternativen und linken Jugendlichen genutzt wird, war mehrmals Ziel von Angriffen mit Baseballschlägern, Rauchgas und Brandflaschen. Die Mobile Opferberatung Sachsen Anhalt recherchierte 2003, dass im Zeitraum September bis November 1999 sechs rechtsextreme Jugendliche mehrmals Menschen mit Stahlrohren und Baseballschlägern zusammengeschlagen hatten. Die wahllos ausgesuchten Opfer trugen teilweise schwere Verletzungen mit erheblichen Spätfolgen davon.

 

gs / tacheles-reden.de / 2004-04-08