"Die Protokolle der Weisen von Zion":
Die "Protokolle" in der Forschungsliteratur

"Die Protokolle der Weisen von Zion" sind die erfolgreichste Fälschung in der (politischen) Literatur und bis heute wirksam. Im Folgenden stellen wir drei Bücher vor, die sich mit der Entstehung, der Geschichte und der Wirkung dieses antisemitischen Klassikers auseinandersetzen....

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Vor über hundert Jahren erschien in verschiedenen europäischen Ländern ein Buch, das für großes Aufsehen sorgte und rasch weltweite Verbreitung fand: „Die Protokolle der Weisen von Zion“. Sein Inhalt ist der zwischen Buchdeckeln gepresste Glaube an eine jüdische Weltverschwörung. Obwohl das Buch mehrfach als plumpe Fälschung enttarnt werden konnte, fand es weltweit seine ideologischen Anhänger und Verbreiter. Zu diesen zählte neben Adolf Hitler auch der amerikanische Automobilhersteller Henry Ford. Die Entstehungsgeschichte dieses Dokuments erinnert an einen absurden Kriminalroman. Der Geheimdienst des zaristischen Russlands, Schundliteraten, religiöse Fanatiker, Hochstapler, Okkultisten und NS-Ideologen sind nur einige der Hauptfiguren in der Geschichte der „Protokolle“. Doch da die „Protokolle“ noch heute verlegt werden und gerade im arabischen Raum eine weite Verbreitung finden, kann man sie nicht als ein Relikt der Geschichte verbuchen. Auch der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann bezog sich in seiner Rede zum „Tag der deutschen Einheit“ indirekt auf die „Protokolle“. (1) Grund genug auf die seriöse Literatur zu verweisen, welche die unheilvolle der Geschichte der erfolgreichsten antisemitischen Fälschung, der „Protokolle der Weisen von Zion“ nachzeichnet.

Das wohl empfehlenswerteste Buch zum Thema lautet „Die Protokolle der Weisen von Zion – Der Mythos von der jüdischen Weltverschwörung“ von Norman Cohn aus dem Verlag Kiepenheuer & Witsch. Der Titel der englischen Originalausgabe lautet „Warrant for Genocide“. Der Autor (geb. 1915 in London) war Professor an der Universität von Sussex und Direktor des Forschungszentrums für kollektive Psychopathologie in London. Dementsprechend entwirrt er nicht nur mit bewundernswerter Sachkenntnis und Quellensicherheit die verschlungenen Wege der „Protokolle“, sondern geht auch den Ursprüngen des Mythos der jüdischen Weltverschwörung nach und liefert Einblicke in das Themenfeld der kollektiven Wahnvorstellungen. In seinem Vorwort (1966) wird die Stoßrichtung seines Buches deutlich: „Wie ich es sehe, hat die tödlichste Form von Antisemitismus, die zu Massakern und zu versuchtem Völkermord führt, kaum mit realen Interessenskonflikten zwischen lebenden Menschen und auch wenig mit Rassenvorurteilen als solchen zu tun. Das Herzstück dieses Antisemitismus ist der Glaube, dass die Juden – alle Juden an allen Orten – Mitglieder einer Verschwörung seien, die das Ziel habe, die übrigen Menschheit ins Verderben zu stürzen, um sie dann zu beherrschen.“ (2) In zwölf Kapiteln und auf 321 Seiten legt Norman Cohn in gut lesbarer Weise die Entstehungsgeschichte der Fälschung, die politischen Hintergründe der Fälscher, die Interessen der Akteure und die Quellen der Fälschung dar. Er beschreibt die Wege der „Protokolle“ von Russland, nach Deutschland und um die Welt. Er analysiert ihre Rolle in der deutschen Rassenideologie und in der Nazi-Propaganda. Sein letztes Kapitel widmet sich der „Protokolle“ in der Sicht der kollektiven Psychopathologie. Im Anhang I und II werden die Vorläufer und Quellen widergegeben aus deren Plagiaten die Protokolle gefälscht wurden: Die „Rede des Rabbiners“ und einige der Parallelstellen der „Protokolle“ und des „Dialogue aux Enfers“. Im Anhang III werden einige der Stellen widergegeben die selbst gefälscht wurden und einen Einblick in die geistige Welt russischer Antisemiten gegen Ende des 19 Jahrhunderts geben. Im Anhang IV findet sich ein Auszug aus „Die Ankunft des Antichrist“, der zeigt wie eng die „Protokolle“ in der Tradition der apokalyptischen Legende vom Antichristen stehen. Ausführliche bibliographische Hinweise und ein komplettes Register runden das leider nur noch schwer erhältliche Buch von Norman Cohn in befriedigender Weise ab.

Zu einem Standardwerk zum Thema „Protokolle“ hat sich das Buch „Die Protokolle der Weisen von Zion – Anatomie einer Fälschung“ von Hadassa Ben-Itto aus dem Aufbau-Verlag entwickelt. Der Titel des Originalmanuskripts lautet „The Lie That Wouldn’t Die“. Die Autorin emigrierte als geborene Jüdin vor dem Zweiten Weltkrieg aus Polen in das damalige Palästina. Fast alle Mitglieder ihrer großen Familie kamen in der Shoa um. Hadassa Ben-Itto kämpfte als Offizierin in der israelischen Armee im Unabhängigkeitskrieg. Sie arbeitete 31 Jahre als Richterin am Obersten Gerichtshof von Israel und vertrat Israel als Botschafterin bei den Vereinten Nationen und der UNESCO. Seit 1988 ist sie Präsidentin der Internationalen Vereinigung jüdischer Anwälte und Juristen.

Die juristische Auseinandersetzung mit den Protokollen stellt den Schwerpunkt ihres Buches dar. Detailliert berichtet sie über einen Prozess der 1934 gegen einige Verbreiter der „Protokolle“ in Bern stattfand. Anhand der Geschichte dieses Prozesses zeichnet sie die Entstehungs – bzw. Fälschungsgeschichte der „Protokolle“ ausführlich nach. In ihrem Vorwort (1998) erklärt sie: „Sechs Jahre habe ich damit verbracht, die Fakten zu recherchieren, zahllose Bücher zu lesen, überlebende Augenzeugen zu interviewen, öffentliche und private Archive in mehreren Ländern zu durchforsten und Tausende von Dokumenten zu studieren. Wenn dieses Buch aufklären kann und die Lüge über die jüdischen Weltverschwörung und die Protokolle der Weisen von Zion Einhalt gebieten kann, dann hat sich diese Arbeit gelohnt.“ (3) Andere Kapitel ihres 419 Seiten starken Buches handeln über das Entstehungsmilieu der Protokolle in der Romanow-Dynastie in Russland und über einen Prozess gegen die „Protokolle“ in Südafrika 1934. Das letzte Kapitel „Die Lüge stirbt nicht aus“ berichtet über die jüngere Verbreitung der „Protokolle“ und ihre moslemische Version. Gerade der persönliche Schreibstil von Ben-Itto und die gut lesbare Aufarbeitung der bis dahin unbekannten juristischen Quellen machen das Buch beachtenswert. Eine Auswahlbibliographie und ein Personenregister sind ebenfalls vorhanden.

Ein relativ junges Buch zum Thema stellt die „Protokolle“ in ihren politischen Kontext. Das Buch „Ein Gerücht über die Juden – Die ‚Protokolle der Weisen von Zion’ und der alltägliche Antisemitismus“ von Stephen Eric Bronner aus dem Propyläen Verlag zeigt die Geschichte des politischen Antisemitismus im Zusammenhang mit den „Protokollen“ auf. Der amerikanische Professor für Politische Wissenschaften und Vergleichende Literaturwissenschaften beschreibt die Vorgeschichte, die Verbreitung und die Wirkung der „Protokolle“. Der Titel der amerikanischen Originalausgabe lautet „A Rumor about the Jews. Reflections on Antisemitism and the Protocols of the Learned Elders of Zion“ und bezieht sich auf das Zitat von Theodor W. Adorno: „Der Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden.“ Stephen Bronner weist am Beispiel der Protokolle nach, dass Antisemitismus weit mehr als ein antijüdischer Affekt ist. Für ihn stellt er einen Anschlag auf die Moderne, auf die aus der Aufklärung hervorgegangenen liberale Zivilisation dar. In seinem Vorwort (1999) erläutert er: „Antisemitismus war niemals lediglich ein unabhängiger Impuls. Er war immer Teil eines breiter angelegten Projekts, das sich gegen Zivilisation und Moderne richtete. Die Art und Weise zu erforschen, in der die Protokolle zu diesem Unternehmen beitragen, soll die Aufgabe dieses Buches sein.“ (4) Das Buch hat vier Schwerpunkte. Der Schwerpunkt „Der Text im Kontext“ untersucht die „Protokolle“ und die Formen des Antisemitismus. Anschließend wird „Die Geschichte einer Fälschung“ nachgezeichnet. Der dritte Schwerpunkt „Die Nachricht verbreitet sich“ beleuchtet den politischen Werdegang der „Protokolle“.  Hervorstechend an Bronners Buch ist der letzte Abschnitt „Das Erbe der Lüge“. Hier wird nicht nur auf „Die Protokolle und die Zukunft des Antisemitismus“ und auf „Die Protokolle in unserer Zeit“ eingegangen, sondern hier werden auch aktuelle politische Fragen aufgeworfen. In dem Kapitel „Die Verlierer“ geht Bronner u.a. auf das gesellschaftliche Klima ein, in dem antisemitische Verschwörungstheorien entstehen. Das letzte Kapitel „Der verschwindende Jude“ bietet Stoff für kontroverse Diskussionen. Bronner geht beispielsweise der provokanten Frage nach, ob das Verschwinden des Antisemitismus, nicht letztlich auch das Verschwinden des Judentums herbeiführen könnte. An anderer Stelle stellt er die These auf: „So gefährlich der Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarstaaten, der durch religiöses und nationalistisches Eiferertum noch verstärkt wird, für die Juden ist, so gefährlich ist die konstitutionelle Auseinandersetzung in Israel selbst zwischen den Verfechtern der religiösen Orthodoxie und jenen eines säkularen Lebens.“ Ein Buch also, das zumindest zum Ende hin über den historiographischen Blick und den Fokus auf die „Protokolle“ hinausgeht.

1.) „Meine Damen und Herren, es wird Sie überraschen, das der amerikanische Autokönig Henry Ford 1920 ein Buch mit dem Titel ‚The International Jew’ herausgegeben hat. Dieses Buch hat in den USA eine Auflage von 500.000 Exemplaren erlebt. Es wurde ein Weltbestseller und in 16 Sprachen übersetzt.“ Aus der Ansprache von Martin Hohmann vom 3. Oktober 2003. Dieses Buch von Henry Ford gilt als die amerikanische Variante der „Protokolle der Weisen von Zion“.
2.) N. Cohn, Die Protokolle der Weisen von Zion – Der Mythos von der jüdischen Weltverschwörung, S. 12, Kiepenheuer & Witsch, 1969.
3.) H. Ben-Itto, Die Protokolle der Weisen von Zion –Anatomie einer Fälschung, S. 10, Aufbau Verlag, 1998.
4.) Stephen E. Bronner, Ein Gerücht über die Juden – Die ‘Protokolle der Weisen von Zion’ und der alltägliche Antisemitismus, S. 10, Propyläen Verlag, 1999.

gs / tacheles-reden.de / 2004-03-01