Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste:
Der Architekt Erich Mendelsohn – Wanderer zwischen den Welten

Lange Zeit wurde das Werk Erich Mendelsohns nicht adäquat wahrgenommen, so die These der VeranstalterInnen – jetzt fügt die Ausstellung „Erich Mendelsohn. Dynamik und Funktion“ in der Berliner Akademie der Künste anlässlich des 50. Todestages Mendelsohns erstmals verschiedene thematische Bereiche aus dem Leben und Werk des Visionärs und Kosmopoliten zu einer umfassenden Darstellung zusammen. ...

Tanja Kinzel - tacheles reden

Das Leben Erich Mendelsohns war stark von den politischen und gesellschaftlichen Ereignissen seiner Zeit geprägt: seine Wohnorte waren über die Welt verstreut, sein stark kontextbezogenes Oevre, dessen Handschrift er in sieben Ländern hinterließ, war dem „Genius Loci“ verpflichtet, wie es in der Ausstellungsankündigung heißt. Der „Orientale aus Ostpreußen“, so die Worte der Mendelsohn Forscherin Ita Heinze-Greenberg auf dem Eröffnungssymposium in der Akademie der Künste, verband zwei Empfindungskreise: eine atavistische Verbindung zu Jerusalem, wo er zwischen 1934 und 1941 lebte und seine ostpreußische Herkunft. Seine Bauten in Berlin und anderen deutschen Städten zählen zu den Ikonen der Moderne. Beispielhaft für eine expressionistische Ausdrucksweise waren seine ersten viel beachteten Umsetzungen: der Einsteinturm in Potsdam, - Observatorium und astrophysikalisches Institut -, der Umbau des Mosse Verlagshauses in der Berliner Schützenstrasse und der Woga Komplex am Kurfürstendamm (die heutige Schaubühne).

Erich Mendelsohn wurde 1887 in der ostpreußischen Stadt Allenstein als Sohn einer kinderreichen assimilierten jüdischen Familie geboren. Sein Vater war Lederwarenhändler, die Mutter Modistin. Er studierte zunächst in Berlin-Charlottenburg, später in München bei Theodor Fischer Architektur. Expressionistische Künstler, die zu den Gruppen „Blaue Reiter“ und „Brücke“ gehörten, zählten zu seinen Freunden und beeinflussten seinen Stil. Seine ersten Zeichnungen waren phantastische Visionen in Stahl und Glas. Sein Schaffensdrang wurde jedoch durch den Ausbruch des ersten Weltkrieges vorerst verhindert. Obwohl er sich in den Verwaltungsdienst versetzen lassen wollte und sich zum Krankenpfleger hatte ausbilden lassen, wurde er an der Ost- und Westfront eingesetzt. Als er schließlich mehrfach verwundet und traumatisiert vom Frontdienst zurückkehrte, beteiligte er sich in der aufgeheizten Atmosphäre der Nachkriegszeit an der Gründung zweier Künstlergruppen: der „Novembergruppe“ um Künstler wie Max Pechstein und Rudolf Belling und dem „Arbeitsrat für Kunst“, in dem sich namhafte Architekten versammelten. 1918 eröffnete er sein erstes eigenes Büro, er besaß zwar ein Diplom, aber keine Berufserfahrung. Mit Hilfe von Kontakten seiner Frau Luise Maas, die er 1915 geheiratet hatte und die in vielfacher Hinsicht seine Stütze und Muse war, gelang es ihm mit Vorträgen im Salon von Molly Philippson seine ersten Auftraggeber zu gewinnen. 1924 rief er zusammen mit Ludwig Mies van der Rohe und Walter Gropius den Berliner „Ring“ ins Leben, der zur führenden Vereinigung progressiver Architekten wurde.

Bauten für die Großstadt

Seine längste und bedeutendste Schaffensperiode ist mit Berlin verbunden, hier lebte und arbeitete er seit 1914. „Die Stadt ist die kompakteste und anregendste Schöpfung der modernen Kunst“, war eine seiner Aussagen im Rahmen seiner Vorträge bei Molly Philippson, dementsprechend zentral bewertet Regina Stephan, Kuratorin der Ausstellung in der Akademie der Künste, seine Bauten für die Großstadt. Gerade die schwierigsten Aufgaben, in städtebaulich unattraktiven Lagen, so ihre These, haben ihn zu seinen großartigsten Werken inspiriert. Die Auseinandersetzung mit der vorhandenen Baumasse diente ihm als Stimulanz für seine Entwürfe, mit seinen zahlreichen Umgestaltungen und Erweiterungen von Warenhäusern schuf er eine jeweils individuelle und für ihn charakteristische Note. In der Verbindung von alt und neu folgte er der Lehre Theodor Fischers „Einordnen ohne Unterzuordnen“ und entwarf Bauten von funktionaler Dynamik. Poetische Leichtigkeit und weit geschwungene Proportionen führten zu einer Ausgewogenheit der Kräfte, seine Bauten sind, so Regina Stephan, „keine unbeteiligten Zuschauer im Straßenbild, sondern Bestandteil von dessen Dynamik“. In dieser Zeit, da sein Büro um die 40 MitarbeiterInnen zählte, entwarf er mehrere große Kaufhausbauten für die Firma Schocken, in Nürnberg, Stuttgart und Chemnitz und für andere Firmen in ganz Deutschland, die zugleich zum Signier für die jeweilige Firma wurden.

Seine architektonischen Kompositionen waren dabei häufig von der musikalischen inspiriert. Viele seiner Skizzen waren, so berichtet Frank Michael Bayer, von der Musik, insbesondere den harmonischen und kontrapunktischen Fugen Bachs begleitet, die sich in der Architektur in den horizontalen und vertikalen Führungen wieder finden. Dennoch bleibt der Bezug zwischen Bild und musikalischem Werk nicht unmittelbar nachvollziehbar, gelänge es, diese Verbindung zu klären, wären wir dem Geheimnis des schöpferischen Prozesses auf die Schliche gekommen, betont Frank Michael Bayer. Was bleibt, ist die Inspiration, so entstand zum Beispiel die Skizze für die Umgestaltung des Verlagshauses Rudolf Mosse zu Bachs Matthäus Passion.

Intermezzo in Palästina

1933 nach mehreren Attacken der nationalsozialistischen Führung auf die progressiven Kräfte in der Akademie der Künste und dem Ausschluss der jüdischen KünstlerInnen, sah Mendelsohn sich zusammen mit seiner Frau Luise zur Emigration gezwungen. Der Weg führte sie erst nach Amsterdam, dann über Frankreich weiter nach England, bis sie schließlich nach Palästina kamen, wo sie 7 Jahre lang bleiben sollten. In Jerusalem, von dessen mystisch orientalischer Tradition Mendelsohn sich angezogen fühlte, mietete er eine alte arabische Windmühle mit Nebengebäude aus dem 18. Jahrhundert, in deren Turmzimmer er seinen Arbeitsraum einrichtete. Palästina betrachtete er, so Ita Heinze-Greenberg als Insel, mit der er die Rückkehr ins Land seiner Väter und Begriffe von nationaler Zugehörigkeit und Identität verband. Bereits zu seiner Studienzeit in Deutschland hatte sich Mendelsohn der zionistischen Bewegung angeschlossen, in Palästina suchte er nun nach Teilen eines kollektiven jüdischen Vermächtnisses.

Den Import europäisch diasporischer Kultur, den viele Juden praktizierten, lehnte er ab und setzte dem ein intensives Kennenlernen der örtlichen Gegebenheiten durch das Bereisen des Landes und der Nachbarländer entgegen. Dementsprechend veränderte sich auch seine Bauweise. Hatte er in England hohe sonnendurchlässige Fenster und eine gewisse Leichtigkeit präferiert, suchte er in Palästina nach einer schattenspendenden kühleren und strengeren Baustruktur. Seine Suche nach einem orientalisch-jüdischen Baustil, realisierte er in Entwürfen großer sandsteinfarbener Gebäude mit kleinen Fenstern, die im Gegensatz zu seinem früheren, expressiven Stil, eher introvertiert erscheinen. Gabriel Eppstein, der zu dieser Zeit bei Mendelsohn in die Lehre ging, erinnert sich an dessen Kompromisslosigkeit in ästhetischen Fragen: bei einem Ausflug nach Haifa, der dazu diente, den Bau des von ihm entworfenen Krankenhauses zu inspizieren, verfügte Mendelsohn allen Aufwandes zum Trotz, nach einem Blick vom Meer auf das Gebäude, dass 25 cm einer Mauer abgenommen werden sollten… - da half keine Diskussion. Gabriel Eppstein erinnert auch Mendelsohns Großzügigkeit und Großmut sowie sein Interesse an Auseinandersetzung. Wenn Gabriel Eppstein nachts aus dem Turmzimmer die Brandenburgischen Konzerte erklingen hörte, wusste er dass Mendelsohn am nächsten Morgen mit seiner Wolljacke und der Tonpfeife im Mund die Turmtreppe herunterkommen würde, um die Entwürfe mit seinen MitarbeiterInnen zu diskutieren.

Lebensabend in den USA

Mendelsohn konnte sich jedoch nicht in der von ihm erhofften Weise am Aufbau Palästinas beteiligen, sein Aufenthalt dort blieb ein Gastspiel. Seine Vision von Israel als integrales Element eines großen semitischen Staatenbündnisses, d.h. als Teil innerhalb der arabischen Staaten und der orientalischen Kultur, entsprach schon damals nicht den realen Verhältnissen und er fühlte sich seit 1936 mit dem Aufkommen der Konflikte um Palästina zunehmend eingeengt. Ihm fehlte der große Maßstab, so Ita Heinze-Greenberg, den er in den USA zu finden hoffte. Als 1941 die Bautätigkeit in Palästina aufgrund des zweiten Weltkrieges stagnierte und die deutschen Armeen vor Ägypten standen, wanderte er in die USA aus. In Palästina hinterließ er mehrere Privatvillen, u.a. die von Chaim Weizmann, dem späteren Präsidenten Israels, den Krankenhauskomplex der Hadassah-Hebrew Universität, die Anglo-Palestine Bank (heute Bank Leumi) in Jerusalem und den Masterplan für die Hebräische Universität Mount Scoupus.

In den USA veränderte er nicht nur seinen Stil ein weiteres Mal, sondern auch sein Schaffensfeld. Er wurde zum Architekten der jüdischen Gemeinde, zahlreiche Synagogen und Gemeindehäuser entstanden in dieser Zeit. In dieser Konzentration auf die eigene Gemeinde spiegelt sich der Versuch das zerstörte und zerbrochene europäische Judentum an einem anderen Ort wiederaufzubauen. Zugleich schlug er einen Bogen von seinen jüdischen Wurzeln zu panreligiösen Fragen des Seins. Damit schließt sich sein Lebenskreis - auch seine erste Bauaufgabe war ein sakrales Projekt. Was ihm jedoch nicht mehr gelang, war eine gesamtgesellschaftliche Vision zu entwickeln.

Was bleibt, ist, dass er überall fehl am Platz blieb. Der Architekt, der selbst Villen baute und überall zur Miete wohnte, saß, wie Ita Heinze-Greenberg sagt, „stets auf gepackten Koffern“. Das Manko der Heimatlosigkeit beschreibt sie zugleich als seine Stärke, denn er habe das Leben als „fließende Bewegung“ der sicheren Verortung und dem Begriff „Heimat“ vorgezogen. Die Ambivalenz von Distanz und Fokus offenbart sich zugleich als fließende Bewegung in der Architektur. In einem seiner Briefe an seine Frau Luise ist ein „Versuch über das Meer“ enthalten, darin heißt es, das wahre Leben sei im Unbekannten begrenzt durch das Unbegrenzte.

Architektur war für Mendelsohn kein intellektuelles Gedankenspiel: ihm ging es um den großen Kontext. Auf die Frage seiner Studenten in den USA, was es brauche, ein guter Architekt zu werden, antwortete er stets, man müsse ein ganzer Mensch werden. Dazu gehörte für ihn die Auseinandersetzung mit tagespolitischen, philosophischen, kulturellen, ästhetischen und religiösen Fragen.

Einen Versuch, das Bild dieses ganzen Menschen und seines Werkes einzufangen, unternimmt die Ausstellung „Erich Mendelsohn. Dynamik und Funktion“, die noch bis zum 2.Mai in der Akademie der Künste zu sehen sein wird. Neben zahlreichen frühen Skizzen und nachgebauten Modellen, vermittelt sie einen Einblick in die Biografien von Luise und Erich Mendelsohn und in ihr bewegtes Leben. Am Ende der Ausstellung steht die Frage, was aus Mendelsohns Bauten geworden ist.

DG / tacheles-reden.de / 2004-03-05