Antisemitismus im Alltag:
Abgestempelt: Judenfeindliche Postkarten

Genese und Entfaltung des modernen Antisemitismus gespiegelt auf Postkarten der Jahrhundertwende...

Tanja Kinzel, gs - tacheles reden

[Abbildungen]

Über 1000 Postkarten mit judenfeindlichen Motiven hat der Berliner Sammler Wolfgang Haney zusammengetragen. Diese Sammlung dokumentiert den Übergang von der christlichen Judenfeindschaft zum modernen rassistischen Antisemitismus des wilhelminischen Kaiserreiches hinein in die Weimarer Republik, der schließlich in den Vernichtungsantisemitismus des Nationalsozialismus mündete. Das Jüdische Museum Frankfurt hat auf dieser Grundlage in Kooperation mit dem Museum für Kommunikation und der „Arbeitsgemeinschaft Antisemitismus und Rassismus in visuellen Medien“ eine Ausstellung konzipiert, die die Fülle antisemitischer Motive in ihrer Alltagsverwendung aufzeigt und ihre Verbreitung über das neue Massenmedium der Jahrhundertwende, die Postkarte, abbildet. Bis zum 15. Februar war die Ausstellung zuletzt in Berlin zu sehen. Sie wird jetzt leider nicht weiter wandern und in die Privatsammlung reintegriert. Es bleibt der anläßlich der Ausstellung erschienene Katalog: Abgestempelt. Judenfeindliche Postkarten, Frankfurt a. Main 1999, eine umfangreiche Text- und Bilddokumentation der Ausstellung.

Die Dokumentation der Postkarten ist gerade deshalb so aufschlussreich, weil die antisemitischen Stereotype über die zu dieser Zeit rasch sich verbreitenden technischen Multiplikationsmittel, wie Plakate, Zeitungen, Postkarten und das Radio massenwirksam Einfluss auf das Denken der Bevölkerungsmehrheit gewinnen konnten. Im Kaiserreich erfolgte die offizielle Zulassung von Bildpostkarten 1885, nachdem „Correspondenz-Karten“ bereits 1870 eingeführt worden waren. Um die Jahrhundertwende war Deutschland in Produktion und Nutzung von Postkarten führend. Fast drei Millionen Postkarten wurden täglich verschickt. Dieser Zeitpunkt korrespondiert mit dem Aufkommen antisemitischer Bewegungen in den Jahren nach der Reichsgründung von 1871. Die Emanzipation der Juden, d.h. die rechtliche und politische Gleichstellung, war angesichts der demokratischen, liberalen und säkularen Gesellschaftsordnung durchgesetzt worden. Vor diesem Hintergrund schuf der moderne Antisemitismus mit der Verlagerung weg von der religiös begründeten Judenfeindschaft in der Konstruktion der jüdischen „Rasse“, also der Zuschreibung von körperlichen und charakterlichen Merkmalen, eine neue Grundlage für Ausgrenzung.

Neben der Gründung von Parteien, in denen sich AntisemitInnen sammeln konnten, zeugt insbesondere die Vermittlung einer theoretisch-wissenschaftlich begründeten Fundierung des Antisemitismus von der neuen Qualität der Judenfeindschaft. 1879 gründete Wilhelm Marr die Partei „Antisemiten-Liga“, in der sich all diejenigen Sichtweisen des aufgeklärten und demokratischen Bürgertums treffen konnten, die mit der Judenemanzipation nicht einverstanden waren. Die antisemitischen Ressentiments in der Arbeiterklasse sammelte bereits der Hofprediger Adolf Stoecker in seiner „Christlich-Sozialen Arbeiterpartei“ um sich. Respektable Persönlichkeiten wie der Historiker und Parlamentarier Heinrich von Treitschke ebneten dem Antisemitismus über die Verbreitung pseudowissenschaftlicher Traktate den Weg aus einer akademischen Diskussion in breite Schichten der Gesellschaft. Diese Allianz zwischen gehobenem Bürgertum und klein- und spießbürgerlichen Gesellschaftsschichten bis hinein in die Arbeiterklasse trug erst wirksam dazu bei Antisemitismus „salonfähig“ zu machen.

Dem Antisemitismus kamen dabei mehre sich überlagernde Funktionen zu: Vor dem Hintergrund der als Bedrohung erfahrenen Universalisierung der kapitalistischen Warenvergesellschaftung und der damit einhergehenden Umbrüche der gesellschaftlichen Beziehungen und Herrschaftsverhältnisse hatte er den Charakter einer Weltanschauung: er bot ein Erklärungsmodell für die nicht verstandenen Entwicklungstendenzen der bürgerlichen Gesellschaft an und damit zugleich Lösungsmöglichkeiten für wirtschaftliche, politische und kulturelle Krisen. Der Schlachtruf Heinrich von Treitschkes „Die Juden sind unser Unglück“ gab eine allumfassende Antwort auf  politische und soziale Fragen. Von einem nationalen Standpunkt aus trug Antisemitismus als Abwertung der Anderen, der „Feinde innerhalb der eigenen Gesellschaft“ zur Identitätsfindung der gerade erst vereinten wirtschaftlich und politisch aufstrebenden deutschen Nation bei. Das Selbstbild definierte sich über die Ausgrenzung und Abwertung all dessen, was als jüdisch konnotiert wurde.

Judenfeindliche Motive im Alltag

Auch wenn der Anteil antisemitischer Motive auf Bildpostkarten  im Gesamtdurchschnitt eher gering war und zudem weniger als die Hälfte der von Haney gesammelten Postkarten beschrieben waren bzw. verschickt wurden, d.h. viele davon in den Händen von Sammlern kursierten, so macht doch gerade die Zwischenposition der Postkarten als halbprivates, halböffentliches Medium ihren Aussagewert aus: sie wanderten über Druck und Verkauf hinweg durch eine ganze Reihe von Händen. Antisemitische Spottkarten müssen deshalb in den Kontext der gängigen Kommunikationsmittel eingeordnet werden. Gerade die alltägliche, private Nutzung der Postkarten in ihrer Funktion zur Übermittlung von Grüßen, bilden die gesellschaftliche Akzeptanz judenfeindlicher Stereotype und das Ausmaß der Verbreitung antisemitischen Denkens in seiner Alltäglichkeit ab. Nicht immer wurde von den VerfasserInnen der Karten ein Bezug zu den Bildmotiven hergestellt, so dienten die Karten zum Schreiben von Liebesgedichten, ebenso wie zur Versendung von Kurznachrichten oder einfachen Grüßen. Es gibt aber auch Beispiele der Distanzierung „...Verzeih bitte die nicht ganz passende antisemitische Karte…“, ebenso wie des klaren Bezuges. Aussagen wie: „…Hoffentlich trägt diese (Karte) zur Zierde ihrer Sammlung mit bei….“, lassen recht eindeutig auf die Geisteshaltung von Verfasser und Empfänger schließen.  

Gerade die Tatsache, dass ein inhaltlicher Bezug zur Abbildung nicht immer gegeben war, zeigt den hohen Alltagswert der judenfeindlichen Postkarten. Die Postkarten stehen für die Verbreitung des antisemitischen Bildensembles, das in der Karikatur seinen Ausdruck findet. Die Karikaturen, „der Witz“, also die Art und Weise wie Juden und Jüdinnen dargestellt werden, verdeutlicht, wie sich der vorgestellte nationale Volkskörper über die Abwertung und Ausgrenzung des „Anderen“, der Antithese schlechthin, also des Jüdischen konstituiert. In der Abwertung werden die Vorstellungen dessen, was Deutschsein im Kaiserreich ausmachen sollte, deutlich ohne notwendig sichtbar werden zu müssen (auch wenn sie dies bisweilen tun).

Die rund 400 ausgewählten Postkarten bilden eine Vielfalt unterschiedlichster Themen ab: Motive der traditionell christlichen Judenfeindschaft gehen in Motive des modernen rassistisch und national begründeten Antisemitismus über. Die Versuche körperliche Merkmale ästhetisch zu bewerten und durch wissenschaftliche Messungen des Schädels bestimmte Zuschreibungen zu legitimieren, die unter anderem auf den Schweizer Theologen Johann Caspar Lavater (1741 – 1801) zurückgehen, stellen, wie es in der Ausstellung heißt, gleichsam die „Wiege des modernen Antisemitismus“ dar. Die, auf die Verbindung des Judentums mit dem Teufel zurückgeführte und aus dem frühen Mittelalter stammende, physiognomische Kennzeichnung der Juden durch die Teufelsnase, fand mit dem seit der 1848er Revolution sich verstärkenden judenfeindlichen Tendenzen in Zusammenhang mit dem rassistischen Denken in zahlreichen Karikaturen ihren Niederschlag. Den Assimilierungs- und Emanzipationsbestrebungen wurde eine rassistisch begründete Unverrückbarkeit des angeblichen Andersseins in seinem physiognomischen Ausdruck als scheinbar absolute Tatsache gegenübergestellt.

Wucherer, Bankier und Fremder

Auch eines der wohl ältesten Stereotype, das Bild vom geldgierigen Juden, das „Gespenst des jüdischen Wucherers“, das auf das mittelalterliche Zunftverbot für Juden, sowie das Verbot des Zinsverleih für Christen zurückgeht, ein Beruf, in dem Juden dann häufig eine der wenigen Möglichkeiten des Auskommens fanden, wird in seiner Naturalisierung und Festschreibung als unveränderlicher „jüdisch-materialistischer“ Gesinnung sichtbar. In dem Bild der Münzverschlechterung, der „Beschneidung der Dukaten“, findet sich zugleich ein christlich motivierter Angriff auf das jüdische Ritual der Beschneidung wieder. Mit der Aufklärung und der Emanzipation der Juden im 19.Jahrhundert gewann das Bild des Juden als Bankier und Börsianer, obwohl es jeglicher gesellschaftsanalytischer Einbettung entbehrte, zunehmende Beliebtheit in der antisemitischen Propaganda. Der sich darin äußernde Antimodernismus, war insbesondere in jenen Bevölkerungsgruppen verbreitet, die zu den Verlierern der sozialen und politischen Veränderungen des 19. Jahrhunderts zählten: Kleinbürgern, Handwerken und Bauern.

Dieses Motiv taucht in den Postkartenserien über den Aufstieg der Ostjuden in Verbindung mit der Kennzeichnung der Juden als „Fremde“ und „Schädlinge innerhalb der eigenen Gesellschaft“ wieder auf. Hintergrund für dieses Motiv ist die Auswanderung osteuropäischer Juden nach Berlin, Leipzig, Frankfurt oder in andere deutsche Städte. Während sich die westeuropäischen Juden weitgehend assimiliert hatten, herrschte bei den Juden aus Osteuropa eine orthodox geprägte Religiosität vor. Auch wenn viele der Zuziehenden aus assimilierten und relativ wohlhabenden Familien stammten, bot die traditionelle Kleidung orthodoxer Juden, bestehend aus Kaftan, Schäfenlocken (Pejes) und schwarzen Hüten, den Antisemiten einen willkommenen Anlass zur Überzeichnung zu einem scheußlichen Stereotyp. Dieses sollte zugleich die besondere Unreinlichkeit, Gefährlichkeit und Verschlagenheit „der Juden“ zum Ausdruck bringen, die sich im Bild des Hausierers zu Eigenschaften des „jüdischen Volkes“ in toto verknüpften. Der „Ostjude“ wurde gleichsam rückwirkend zum Sinnbild des noch nicht assimilierten „Westjuden“, dessen Unsichtbarkeit in der Darstellung durch physiognomische Merkmale, nicht aber durch religiöse Attribute aufgehoben werden konnte. Auf den Postkarten, die die Erfolgsgeschichte vom Aufstieg des „dreckigen Ostjuden“ zum „wohlhabenden Westjuden“ suggerieren, kommt die von Sozialneid geprägte Angst vor deren wirtschaftlicher Etablierung zum Ausdruck. Ein zentrales Motiv in der charakterlichen Zuschreibung an „Ostjuden“ bildet das des Betruges und der Überredung – des Schönredens/Schmeichelns. Inhaltlich gegensätzlich, dennoch nicht unvereinbar, ist das Bild des Wandels vom „fremden Händler“ zum „Revolutionär“, das dazu diente, die Emanzipationsidee zu diskreditieren. Das Gegensatzpaar Ost- und Westjude wurde zugleich genutzt, um die Unmöglichkeit jüdischer Assimilation zu behaupten.

Verknüpfung sexistischer und antisemitischer Motive

Die Behauptung der Unmöglichkeit der Assimilation spiegelt sich auch in den Grußkarten aus verschiedenen deutschen Kurorten. Kuraufenthalte erfreuten sich in der Kaiserzeit zunehmender Beliebtheit, für die gehobenen Gesellschaftsschichten gehörte ein Kuraufenthalt zum guten Ton. Zum Publikum gehörten sowohl assimilierte deutsche, als auch wohlhabende osteuropäische Juden und Jüdinnen. Auf zahlreichen Postkarten werden Juden oder Jüdinnen als Teil einer größeren Gesamtgruppe karikativ überzeichnet dargestellt, neben Angehörigen anderer Nationalitäten oder bestimmter Berufsgruppen. Explizit antisemitische Postkarten, die es ganz offensichtlich in den Kurorten zu kaufen gab und die mit Grüssen aus Marienbad oder Karlsbad versehen waren, malen in besonders drastischer Weise eine unterstellte körperliche Missgestaltung und mangelnde Hygiene von Juden aus.   

Die Verknüpfung sexistischer und antisemitischer Motive findet sich sowohl im Stereotyp von der jüdischen Matrone, die durch besondere Beleibtheit und Hässlichkeit gekennzeichnet ist, als auch im Motiv jüdischer Männer als Spielball selbstbewusster Frauen. Im antisemitischen Vorurteilsensemble existieren die stereotypen Gegensätze jüdischer Männer als weibisch – auf den Bäderpostkarten durch besondere Schwächlichkeit und Ängstlichkeit jüdischer Männer dargestellt, die unter der Obhut einer sehr mannhaft gezeichneten jüdischen Matrone stehen - wie auch als hypersexuell und verführend nebeneinander. Den Stereotypen, die sich um das „jüdische Mannweib“, den „weibischen Juden“ und den „lächerlichen Verführer“ ranken, ist gemeinsam, dass eine normative geschlechtliche Ordnung verkehrt wird, um die Emanzipationsbestrebungen und die Vorstellung einer gleichberechtigten Platzes in der Gesellschaft zurückzuweisen.

Militär & Männlichkeit versus Intellektualität

Um diese Zurückweisung geht es auch in den zahlreichen ausgestellten Musterungskarten. Wohl keine andere Institution symbolisiert den vorgestellten Zusammenhang von Nationalismus, Männlichkeit und Stärke besser als das Militär. Dementsprechend umstritten waren Ein- und Aufstiegsfragen jüdischer Wehrpflichtiger. Die Diskriminierungspolitik der Armeeführung stand dabei im Kontrast zum Patriotismus vieler deutscher Juden, die dem Burgfrieden von 1914 folgten und begeistert in den ersten Weltkrieg zogen. Vor dem ersten Weltkrieg (zwischen 1890 und 1914) gab es für Juden jedoch keinerlei Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb des Militärs. Die antisemitischen Argumentationen, mit denen ein Ausschluss der Juden vom Militärdienst gefordert wurde, unterstellten bestimmte charakterliche Eigenschaften und körperliche Mängel, die Juden als ungeeignet einstufen sollten. Auf den Musterungskarten schlägt sich dieses Stereotyp in der Darstellung des kleinen Cohn in der Musterung, eines um die Jahrhundertwende beliebten jüdischen Spottbildes nieder, das darauf abzielt, Cohn als zu klein und zu schwächlich für die Militärdienst, und damit für die Verteidigung des „Vaterlandes“, auszuweisen.

Die Bildpolemiken gegenüber Juden, in denen sie als Journalisten, Rechtsanwälte und Ärzte dargestellt werden, stehen mit dieser Annahme in enger Verbindung. Juden und Jüdinnen werden hier mit Intellektualität, also geistiger Ausbildung, und der Sphäre der Vermittlung, also den Medien, in Verbindung gebracht. Körperliche Stärke wird ihnen abgesprochen, ihre Gefährlichkeit wird vielmehr damit begründet, dass sie aus den einflussreichen freien Berufen heraus ihre manipulative Macht entfalten würden. Anhand dieser Postkarten wird wiederum der antimodernistische Affekt besonders deutlich: alle modernen Phänomene, die Misstrauen und Angst auslösen, wie Neuentwicklungen in der Medizin, Veränderungen des Rechtswesens, sowie ungewohnte ästhetische und wissenschaftliche Konzepte wurden kurzerhand als jüdisch gekennzeichnet, wodurch simple Erklärungsmuster für unverständliche Entwicklungen gefunden waren.

Die Lösung der „Judenfrage“ und Gegenwehr

Für das kolportierte Problem „die Judenfrage“ boten wiederum andere Postkarten verschiedene Lösungsmöglichkeiten an: entweder die Rücknahme der Gleichberechtigung oder die Auswanderung – symbolisiert durch einen Fußtritt oder andere Gewalttätigkeiten. Auf diesen Postkarten zeigt häufig ein Wegweiser nach Palästina, dem Ziel der vorgestellten Vertreibungen, ein germanischer Recke, ein Kleinstadtidyll oder ein Bauer auf seinem Feld bleiben im Hintergrund zurück. Gerade dieser Spannungsgegensatz symbolisiert die dahinter stehende Auffassung, dass zur Wiederherstellung der Ordnung und des Friedens, zur Entfernung der „störenden“, hier jüdischen Elemente, Gewalt ein legitimes Mittel sei. Die Sehnsucht nach Idylle und Ordnung und Gewalt gehören bereits auf diesen Bildern zusammen und deuten so die Geisteshaltung an, die in den Vernichtungsantisemitismus münden sollte.

Zur Abwehr judenfeindlicher Postkarten wurde 1908 der Verein zur „Abwehr des Antisemitismus“ gegründet, der unter anderem gegen die antisemitischen Bäderkarten vorging. 16 Hotels und Pensionen wurden als judenfeindlich eingestuft. Das Hotel „Kölner Hof“ in Frankfurt warb unter dem Besitzer Hermann Laass bereits ab 1892 damit, dass der Kölner Hof „judenfrei“ sei. Seine Erfolgsgeschichte zeigt, dass sich Antisemitismus geschäftlich durchaus lohnte. Erfolgreich war das Vorgehen der jüdischen Selbstverteidigungsorganisation „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ gegen die Verbreitung und Hetze antijüdischer Postkarten, die von der Ferieninsel Borkum aus in alle Welt verschickt wurden. Der spektakuläre Beleidigungsprozess von 1928 gegen die Verunglimpfung von Juden und Jüdinnen in dem antisemitischen, nach 1918 auf zahlreichen Postkarten abgedruckten Borkumlied wurde zwar nicht direkt gegen den verantwortlichen evangelisch-lutherischen Pastor Münchmeyer geführt, dieser trat –jedoch erst nachdem im Prozess sein Sexualverhalten zur Sprache kam- vom Amt zurück. Er wurde später Reichsredner der nationalsozialistischen Partei.  

Übergang zur völkischen Propaganda

Nach dem 1.Weltkrieg nahm die Produktion von Postkarten ab, auch die Zahl der antisemitischen Postkarten ging zurück. Mehrheitlich tauchten antisemitische Postkarten nun als Bestandteil völkischer Propaganda auf. In diesem Zusammenhang war es völlig unproblematisch, Juden als verantwortlich für so widersprüchliche Erscheinungen wie den Kommunismus und den Kapitalismus zu kennzeichnen. „Jüdische Drahtzieher“ wurden sowohl hinter der militärischen Niederlage des 1. Weltkrieges (Dolchstoßlegende) als auch hinter der Weltwirtschaftskrise von 1929 vermutet und für Inflation und steigende Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht. Die Dolchstoßlegende basiert – aller historischen Tatsachen zum Trotz - auf dem Vorwurf, dass erst die Revolution von 1918 die militärische Niederlage heraufbeschworen habe. Als Verantwortliche für diese Revolution werden die –von Juden unterwanderten – kommunistischen und sozialistischen Parteien des Vaterlandsverrates bezichtigt. Zahlreiche Karikaturen aus dieser Zeit bilden dieses Motiv ab: meist wird ein im Schützengraben kämpfender deutscher Soldat von einem als jüdisch konnotierten Revolutionär hinterrücks erstochen. Zugleich tauchten auf dem infolge der Inflation nach dem 1. Weltkrieg gedruckten Notgeld antisemitische Motive auf, die Juden als Gefahr für die deutsche Wirtschaft und die deutschen Bürger ausgaben. Von den Gegnern der Weimarer Republik wurden Juden zudem hinter den als korrupt bezeichneten demokratischen Parteien, insbesondere der SPD vermutet.

Mit der Wahl Hitlers und der NSDAP 1933 tauchten zunehmend Fotopostkarten auf, die die Überlegenheit der „deutschen Rasse“ oder die erfolgreiche Bekämpfung des jüdischen Feindes dokumentieren sollten. Vermutlichen wurde der Druck dieser Karten von einzelnen SA und SS Ortsverbänden in Auftrag gegeben. Ab 1936 trat dann das nationalsozialistische Propagandaministerium mit antisemitischen Ausstellungen, wie „Der ewige Jude“ und „Entartete Kunst“ in Aktion. Insbesondere seit dem Überfall auf Polen 1939 eskalierte die antisemitische Propaganda, die sich jedoch vorwiegend auf die Medien Zeitung und Film konzentrierte und dazu diente den Krieg, mit Verweis auf das international agierende Judentum als Drahtzieher hinter den Kriegsgegnern, zu legitimieren. Zudem implizierten Filme, die die Juden mit Krankheit und Ungeziefer gleichsetzten, deren Entmenschlichung und verwiesen auf die so genannte „Lösung der Judenfrage“ durch „Ausrottung“ und „Vernichtung“, die in der Folgezeit mit der Shoah schreckliche Realität werden sollte.

gs / tacheles-reden.de / 2004-02-24