Bürgerkrieg in Jerusalem:
Die Eiferer bekämpfen einander
Marcus Licinius Crassus Mucianus, Generalgouverneur von Syrien,
drängt Vespasian zum Angriff auf Jerusalem...
Lion Feuchtwanger,
Der jüdische
Krieg Bd. I, pp. 192
Marcus Licinius Crassus Mucianus, Generalgouverneur von
Syrien, lief nervös durch die weiten Räume seines Palais in Antiochia. Er
war überzeugt gewesen, diesmal werde Vespasian keine Ausrede mehr finden,
den Feldzug länger hinzuzögern.
Nachdem der Terror der "Rächer Israels" die Gemäßigten in Jerusalem ausgemerzt
hatte, wüteten die Meuterer unter sich. Bürgerkrieg war in Jerusalem, die
Nachrichten waren klar und zuverlässig. Es war sinnlos, diese Chance
ungenützt vorbeigehen zu lassen. Jetzt endlich musste Vespasian vor die
Stadt rücken, sie nehmen, den Krieg beenden. Mit brennender Spannung hatte
Mucian den Bericht über den Kriegsrat erwartet, der jetzt zu Winterende die
Richtlinien für die Frühjahrskampagne festlegen sollte. Nun lag er vor ihm,
der Bericht. Die weitaus meisten Herren des Kriegsrats, selbst der Sohn des
Vespasian, der junge General Titus, waren der Meinung gewesen, man müsse
unverzüglich gegen Jerusalem marschieren. Aber der Spediteur, der
unverschämte, plumpe Pferdeäpfelbauer, hatte einen neuen Dreh gefunden. Der
innere Zwist der Juden, hatte er ausgeführt, werde die Stadt in absehbarer
Zeit reif machen, mit sehr viel weniger Opfern genommen zu werden als jetzt.
Jetzt vor Jerusalem zu marschieren hieße das Blut guter römischer Legionäre
verschwenden, das man sparen könne. Er sei dafür, zuzuwarten, vornächst den
bisher nicht besetzten Süden zu okkupieren. Er war schlau, dieser Vespasian.
So filzig er war, mit Ausreden war er nicht filzig. Der würde sein Kommando
nicht so bald abgeben.
Der schmächtige Mucian, den Stock hinterm Rücken, den hagern Kopf schräg
vorgestreckt, lief wütend hin und her. Er war nicht mehr jung, er hatte die
Fünfzig hinter sich, ein Leben voll von herrlichen, nie bereuten Lastern,
voll von Studien über die nie erschöpfte Fülle der Merkwürdigkeiten der
Natur, ein Leben voll von Macht und Absturz, von Reichtum und Niederbruch.
Nun, gerade noch im Besitz seiner ganzen Kraft, war er Herr in diesem tief
erregenden, uralten Asien geworden, und er kochte vor Wut, daß der
abgefeimte junge Kaiser ihn den großartigen Bissen gerade mit diesem
widerwärtigen Bauern teilen hieß. Fast ein ganzes Jahr hatte er den
verschmitzten Spediteur als Gleichgestellten neben sich dulden müssen. Aber
jetzt war es genug. Er durchschaute natürlich die Absichten des Marschalls
ebensogut wie die des Kaisers. Der Bursche durfte ihm nicht länger im Weg
stehen. Er mußte fort aus seinem Asien, er musste, musste! mit diesem
läppischen Judenkrieg endlich Schluß machen.
In Eile und großem Zorn diktierte Mucian ein ganzes Bündel von Briefen, an den
Kaiser, an die Minister, an befreundete Senatoren. Es sei unverständlich,
warum der Feldherr auch zu Beginn dieses Sommers nach soviel Vorbereitungen
und nachdem der Gegner durch innere Zwistigkeiten geschwächt sei, die Stadt
Jerusalem noch immer nicht für sturmreif halte. Er wolle nicht bittere
Meditationen darüber anstellen, wie sehr diese wenig energische Kriegführung
die Pläne des Alexanderzugs gefährdet habe. Aber so viel sei gewiss, dass,
wenn die Strategie des Zögerns fortgesetzt werde, das Prestige des Kaisers,
des Senats und der Armee im ganzen Osten auf dem Spiel stehe.
Der Zeitpunkt, zu dem diese Briefe in Rom eintrafen, war für die Absichten des
Mucian recht ungünstig. Die Westprovinzen hatten nämlich soeben viel
wichtigere und unangenehmere Dinge gemeldet. Der Gouverneur von Lyon, ein
gewisser Vindex, meuterte, er schien die Sympathien ganz Galliens und
Spaniens zu haben. Die Depeschen klangen bedenklich. Wirkliche, volle
Anteilnahme fand unter diesen Umständen der Bericht des Mucian nur an einer
einzigen Stelle, bei dem Minister Talaß. Der alte Herr hielt es für einen
ihm persönlich angetanen Tort des Generals Vespasian, dass der die
Zerstörung Jerusalems so lange hinauszögerte. Er antwortete dem Mucian
verständnisvoll, von ganzem Herzen zustimmend.
Der Generalgouverneur, diese Antwort in Händen, beschloß, den Spediteur selber
zu stellen, fuhr ins Hauptquartier Vespasians nach Cäsarea.
Der Marschall empfing ihn schmunzelnd, sichtlich erfreut. Man lag bei Tische,
zu dreien, Vespasian, Titus, Mucian, unter herzlichen Gesprächen. Langsam,
beim Nachtisch, glitt man ins Politische. Mucian betonte, wie fern es ihm
liege, sich in die Dinge des andern zu mengen; es sei Rom, es seien die
römischen Minister, die auf Beendigung des Feldzugs drängten. Er für sein
Teil begreife durchaus die Motive des Marschalls, aber anderseits erscheine
ihm der Wunsch Roms so wichtig, dass er bereit sei, aus seinen eigenen
syrischen Legionen Truppen abzugeben, falls nur Vespasian vor Jerusalem
rücke. Der junge General Titus, begierig, seine soldatischen Qualitäten
endlich zu zeigen, pflichtete stürmisch bei: "Tu es, Vater, tu es! Meine
Offiziere brennen darauf, die ganze Armee brennt darauf, Jerusalem
niederzuschlagen."
Vespasian sah mit Vergnügen, wie in dem gescheiten, von Lüsten, Geldgier und
Ehrgeiz verwüsteten Gesicht des Mucian ein großes Gefallen an seinem Sohn
Titus aufstieg...
Aus
"Der jüdische
Krieg" von Lion Feuchtwanger
In
der
Josefus Trilogie sind beim Aufbau Verlag drei Romane Lion
Feuchtwangers: "Der jüdische Krieg", "Die Söhne" und "Der Tag wird kommen"
verlegt worden.
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