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Judentum und Israel
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'Alijath haNo'ar:
Recha Freier und Testimonium

Mein Herz ist wach

Von Shalheveth Freier (Teil 2)

FreierDie männlichen Angehörigen der Familie Freier gingen zwischen 1937 und 1939 von Berlin nach London. Recha Freier entschied sich jedoch dafür, zusammen mit ihrer kleinen Tochter Ma'ayan so lange zu bleiben, wie es noch eine Chance gab, Juden zu retten, jung oder alt.

1941, anderthalb Jahre nach Kriegsbeginn, gelang es ihr und ihrer Tochter, über die grüne Grenze nach Jugoslawien zu entkommen, und Mutter sorgte noch dafür, dass 150 junge Leute auf die gleiche Weise flüchten konnten.

Als sie in Jerusalem anlangte, war die Jugendaliya zu einem wichtigen Teil der Jewish Agency geworden. Man wollte deren Gründerin in der Vergangenheit leben lassen und sie am glatten Funktionieren der Organisation nicht beteiligen. Recha Freier vergoß, was immer sie darüber dachte, keine Tränen. Es gab genug Elend in den Straßen Jerusalems, wo gesunde Kinder sich und ihre Familien als Schuhputzer oder Bettler durchbrachten, und sie machte sich daran, mit den Gemeinschaften, die damals den Aufbau Israels symbolisierten, den Kibbuzim und den Genossenschaftsdörfern, Vereinbarungen über Adoption und Erziehung der Kinder in die Wege zu leiten. Wieder mußte sie sich gegen Eltern und Organisationen durchsetzen und mit Hilfe von Spendern das erforderliche Geld selbst auftreiben. 1941 konnte die Unternehmung mit dem Namen Zentrum für die Ausbildung der Kinder Palästinas (später Israels) registriert werden. Wie die Jugendaliya gehört auch diese Organisation, die bis heute, voll durch öffentliche Mittel finanziert wird, zum Establishment. Im Gegensatz zur Jugendaliya blieb Recha Freier hier Vorsitzende und treibende Kraft bis zu ihrem Tod (1984).

Als Einstein die Jugendaliya für den Friedensnobelpreis vorschlug, die letzte derartige Empfehlung vor seinem Tod (1955), schrieb er: "Ich habe die Ehre, für den nächsten Friedensnobelpreis die internationale Organisation vorzuschlagen, die als Jugendaliya bekannt ist. Durch sie wurden Kinder aus 72 Ländern gerettet und in Israel eingegliedert." Das Nobel-Komitee entschied anders.

Auf dem Weg zu Testimonium

1958 rief Recha Freier die Stiftung für israelische Komponisten ins Leben. Sie war sich bewusst, dass viele von ihnen, deren Fähigkeiten sie hoch schätzte, erhebliche Schwierigkeiten hatten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Wie bei ihren früheren Initiativen wurde die systematische Unterstützung israelischer Komponisten später von den Behörden, in diesem Fall vom Erziehungsministerium, übernommen.

Im Rückblick wird deutlich, daß sie seit langem bereit für das war, was dann Testimonium werden sollte. Sie hatte viele Bindungen zur zeitgenössischen Musik entwickelt. Sie hatte Gedichte geschrieben, einige auf hebräisch, die meisten auf deutsch. Von den in zwei Bänden in Deutschland veröffentlichten Gedichten waren einige vertont worden. Schon vor Testimonium hatte sie eine Operette geschrieben. Die Entscheidung des Ministers für Tourismus, Moshe Kol, früher Direktor der Jugendaliya, und des Jerusalemer Bürgermeisters Teddy Kollek, einen Teil des Hinnom-Tals zur Schaffung eines ebenen Stückes Land für die spätere Künstlerkolonie Chuzoth haJozer aufzufüllen, hatte sie amüsiert. Da das Hinnom-Tal dem am nächsten kommt, was die Juden unter der Hölle verstehen, musste Recha Freier daran denken, dass Ein- und Abgang zu und aus der Hölle durch die Initiative des Ministers und Bürgermeisters behindert würden. Sie machte dieses verwickelte Problem zum Gegenstand ihres Librettos. Die Operette wurde dann in diesem Künstlerquartier als Freilichtaufführung auf einer von Kollek gestifteten Bühne inszeniert. Ich erinnere mich an das Ereignis.

Es war bezeichnend, dass eine der Enkelinnen die Kulissen malte, andere Enkel an der Kasse saßen und dass Recha Freier, fast blind vom grauen Star (von dem sie später befreit wurde), einen Tag vor der Premiere die Regie übernahm, da sie mit dem von ihr eingestellten Regisseur nicht zufrieden war.

Testimonium

1966 hörte Recha Freier Musik des in Wien lebenden Komponisten Haubenstock-Ramati. Sie gefiel ihr. Sie hatte gerade ein Drama geschrieben, und sie meinte, daß Haubenstock es vielleicht vertonen könnte. Dieser schlug eine Begegnung vor, und sie flog stracks nach Wien. So war es ihre Art. Nachdem Haubenstock sie zwei Tage in Wien herumgefahren hatte, ohne viel zu reden, lud er sie am Abend vor ihrer Rückreise in ein Café ein. Sie wusste, daß er ihr etwas eröffnen würde, das ihn stark bewegte. Er erzählte, daß er schon seit vielen Jahren darüber nachdenke, wie die Passion des jüdischen Volkes in der Diaspora musikalisch gestaltet werden könne, und dass viele - jüdische und nichtjüdische - Komponisten begeistert ihre Mitwirkung zugesagt hätten. Doch gebe es bisher niemanden, der den Traum verwirkliche. Recha Freier antwortete sofort, sie werde es tun. Doch schon auf dem Rückflug war sie sich darüber im klaren, dass die jüdische Geschichte in der Diaspora nicht nur durch Leiden gekennzeichnet sei, wie es der Ausdruck Passion nahelegt, sondern auch durch den Glauben an die Erlösung, durch Vision, Heldenmut und dichterische Kreativität. Was sie auch tat oder bedachte - niemals würde sie hinnehmen, dass es gegen individuelle oder geschichtliche Bedrängnis kein Heilmittel gab. Und auf dem Rückflug von Wien konzipierte sie die Bezeichnung "Testimonium" für dieses neue Vorhaben - nicht Passion, sondern Testimonium. Als sie Präsident Shazar von ihren Plänen erzählte, regte er das Wort "Edud" als hebräisches Äquivalent für Testimonium an, was ihre Zustimmung fand.

Recha Freier pflichtete auch einem anderen Vorschlag Shazars bei. Das erste der Testimonia war für 1968 geplant, ein Jahr nachdem die Altstadt Jerusalems befreit worden war, und Shazar meinte, es müsse Jerusalem gewidmet sein, womit sie einverstanden war.

Sie nahm nun alles sogleich in Angriff. Sie begann Themen zu bestimmen und Texte zu schreiben oder auszusuchen, wobei sie gelegentlich Phantasie walten ließ, wenn die Geschichte keine eindeutigen Maßstäbe setzte. Sie korrespondierte mit Komponisten, die sie einlud, die Texte zu vertonen. Sie verhandelte mit dem Jerusalemer Symphonischen Orchester, das dann die meisten der sechs Testimonium-Konzerte in Jerusalem und Tel Aviv aufführte. Und sie sammelte Geld, von Freunden der Familie bis zu Knessetmitgliedern, Ministern und Präsidenten.

Sie besaß getreue Freunde, die sie in thematischen und organisatorischen Fragen um Rat fragen konnte, doch sie tat, was immer sie tat, strikt selbst. An einem kleinen Schreibtisch, nicht größer als hundert mal fünfzig Zentimeter, meist in Langschrift und unterstützt von einer Sekretärin, die täglich kam und schrieb und einordnete, was es zu schreiben und einzuordnen gab. Besonders faszinierend war ihre Korrespondenz mit Komponisten über Texte und Musik. Bezeichnenderweise vermochte keiner ihren Appellen zu widerstehen, und in ihrem Austausch mit ihnen wird deutlich, wieviel Inspiration von ihrer Persönlichkeit ausging.

Professor Josef Tal beschreibt in seiner Autobiographie das Zusammentreffen mit Recha Freier und fährt fort: "Sie wird von nun an wie ein Planet am Himmel meines Lebens stehen. Dieser Planet brachte große Bereicherung, brachte Konflikte, kreiste und schuf immer neue Konstellationen, bis er von Gott ins All zurückgerufen wurde. Ich aber spüre ihn auch weiterhin um mich kreisen, denn er misst nicht nah und fern."

In einem Kapitel betitelt "Von meiner Sonate über Jerusalem" schreibt Professor Alexander Goehr aus Cambridge: "Bei diesem Konzert stellte mich Bertini Frau Freier vor. Sie war keine besonders stattliche Frau, doch war ich sogleich beeindruckt, wenn nicht überwältigt von ihrer Ausstrahlung. Damals vielleicht in ihren frühen Siebzigern, hatte sie die eindringlichen Züge, die man bei deutschen Juden häufig findet, schön und stark, Entschlusskraft und Gelassenheit ausströmend. Sie trug, wie stets, ein sackartiges, farbloses Kleid, das lose bis an die Knöchel reichte. Man erläuterte mir, sie sei eine Dichterin, habe die Jugendaliya aus Deutschland begründet und bis mitten in die Nazizeit geleitet und habe Deutschland erst im allerletzten Augenblick verlassen."
Das ganze Kapitel ist dem Briefwechsel und den Begegnungen mit Recha Freier über ihr ursprüngliches Konzept und dann die Entwicklung von Goehrs Komposition gewidmet. Zu einigen der materiellen Probleme heißt es: "In dieser Zeit (und ich erwähne es, weil es ein bezeichnendes Licht auf ihre Arbeitsweise wirft) beglich sie mein Honorar in kleinen Raten. Denn Testimonium war nicht nur ihr geistiges Kind, sondern sie musste es auch mit Zuwendungen von Freunden und Gönnern aus aller Welt ernähren. Ich schämte mich etwas, von ihr Geld anzunehmen, doch benötigte ich es damals dringend..." Und gegen Schluss des Kapitels schreibt er: "Am nächsten Tag schickte sie mir etwas Seltsames, ein Stück Karton, auf dem sie in Gold gemalt hatte. Sie meinte dazu, das bringe ihre Reaktion auf meine Musik zum Ausdruck. Sie war nun eine sehr alte Dame, aber immer noch voller Ideen und vor allem Enthusiasmus, Gefühlsstärke und Gleichmut gegenüber Nebensächlichkeiten. Das hat sie befähigt, ihr Leben so zu führen, wie sie es tat. Es ist wohlbekannt, was sie für die deutschen jüdischen Kinder vollbrachte, die sie zu retten half. Vermutlich schenkte sie nicht nur diesem Komponisten, den sie mit ihren Projekten begeisterte, etwas Besonderes, Eigenes. Eines ihrer kurzen Gedichte lautet:

Ich fühle mich wie reifes Korn,
- nun mahle mich,
und iß mich,
Herr!"

Insgesamt fanden sechs Testimonium-Konzerte statt, das letzte ein Jahr vor Recha Freiers Tod. Für Testimonium I über "Jerusalem" hatte Teddy Kollek den Hof des Davidturms zur Verfügung gestellt. Die meisten der folgenden Testimonia wurden im Jerusalem-Theater und im Tel Aviv-Museum aufgeführt. Sobald eine genügende Anzahl von Kompositionen erwartet werden konnte, wurden Termine - meist - mit dem Jerusalemer Symphonieorchester festgelegt, Verhandlungen mit den Dirigenten (hauptsächlich Juan Pablo Isquierdo) und, entsprechend den Erfordernissen der Kompositionen, zusätzlichen Instrumentalisten und Sängern gepflogen und all das in die Wege geleitet, was es bei Konzerten (meist an zwei aufeinanderfolgenden Abenden in Jerusalem und Tel Aviv) zu bedenken gibt.

Niemanden störte es, dass Recha Freier ihre Konzerte auf so ungewöhnliche Weise vorbereitete. Jedes Testimonium stand unter einer eigenen Thematik, doch schufen alle Komponisten ihre Beiträge unabhängig voneinander. Zwar erörterte man die Dauer der Stücke, die Zusammenstellung der Instrumente und Stimmen sowie die Reihenfolge der Darbietungen, alle - oder die meisten - Kompositionen wurden jedoch eigens für Testimonium und ohne vorherige Abstimmung darüber erarbeitet, wie sie mit den anderen zusammenpassen würden. Und es klappte. Ein gemeinsames Thema erwies sich als ebenso guter Maßstab für die Zusammenstellung eines Konzerts wie irgendwelche anderen. Alle Komponisten, ob in- oder ausländisch, trafen anläßlich der Erstaufführung in Israel zusammen. Regelmäßig kamen Musikkritiker aus Deutschland, England und Frankreich, zu denen sich gelegentlich solche aus anderen Ländern gesellten. Bei der Lektüre ihrer Besprechungen bin ich wieder beeindruckt davon, daß keiner über Testimonium zu schreiben vermochte, ohne auch über Recha Freier zu schreiben.

Eine eingehende Geschichte über Testimonium läse sich so dramatisch wie alles andere auch, was Recha Freier unternahm. Wenn ein deutscher Chor mit einem hebräischen Text nicht zurechtkam, den man ihm in Umschrift und auf Band zugeleitet hatte, flog Recha Freier nach Hamburg, um zu helfen. Wenn sie zum Treffen mit dem so schwer erreichbaren Komponisten Xenakis in die Umgebung von Paris kam, lehnte sie, zu bescheiden, das Angebot des israelischen Botschafters Ben-Nathan ab, sie zu fahren. Indessen war dieser so besorgt, dass er ihrem Taxi mit dem eigenen Wagen folgte, um ihrer guten Ankunft sicher zu sein. Solche Geschichten, von denen es die Fülle gab, stellten eine ständige Sorge für die Familie dar, doch war ansonsten niemand wirklich beunruhigt. Besonders bemerkenswert war ihr Verhältnis zu den Komponisten, das ich bereits angesprochen habe. Als ich nach Mutters Tod bei Stockhausen und einigen ihrer Freunde vorfühlte, ob ich nicht Testimonium, das zu einem Begriff in der zeitgenössischen Musikwelt geworden war, fortzuführen versuchen sollte, reagierten sie im wesentlichen mit dem Bemerken: "Was glauben Sie, wer Sie sind? Für Ihre Mutter gibt es keinen Ersatz."

Ihre Beziehung zu den Komponisten zeichnete sich durch eigentümliche Unmittelbarkeit aus. Beispielhaft sei berichtet: Als Xenakis ihr von seiner Musik vorspielte und sie eine Zeitlang zugehört hatte, kam sie zu der Auffassung, dass ein mystisches Thema sich gut für ihn eignen würde. Sie schlug als Handlung Moses' Himmelfahrt vor, die der Teufel heftig zu verhindern suchte. Xenakis reagierte mit der Forderung nach "beaucoup plus de diable". Recha Freier war nicht bereit, den Zusammenhang mit Moses ganz aufzugeben, doch überlegte sie, wie der Teufel gleichwohl eine stärkere und erfolgreichere Rolle spielen könnte. Sie erinnerte sich an die Geschichte von Joseph della Reina, den Helden einer kabbalistischen Sage, der versuchte, des Teufels Macht zu brechen und die Welt zu erlösen. Joseph vertat sich, als er vor dem Teufel Weihrauch abbrennen wollte. Das war sein Ruin. Er wurde des Teufels Gefährte und Liliths, der Dämonenkönigin Buhle, und er brachte sich schließlich um. Da echter Selbstmord mit der surrealistischen Geschichte schlecht vereinbar war, änderte Recha Freier den Schluß: Jetzt wusste Joseph um das geheime, enge Tor, das aus unserer Welt herausführt. Und weg war er. "Sch'ar" (Tor) benannte denn auch Xenakis sein Werk.

Ich möchte mit einer kleinen Vignette über Testimonium VI schließen, das 1983 stattfand. Recha Freier war damals, ein Jahr vor ihrem Tod, 91 Jahre alt. Für dieses Ereignis hatte sie Neuland beschritten und das Libretto für eine ganze Oper, "Süßkind von Trimberg" geschrieben, der einzige deutsche Minnesänger des 12. Jahrhunderts, der als jüdisch gilt. Außer den Gedichten, die er hinterließ, weiß man wenig, wenn überhaupt etwas von ihm. Die Gesänge preisen die Tugenden der Familie anstatt die Tapferkeit des Schlossherrn oder die Anmut seiner Dame, was denen als Argument dient, die Süßkind von Trimberg für einen Juden halten. Der Schriftsteller Friedrich Torberg war fasziniert von dieser Theorie und hatte über den Helden eine Novelle geschrieben. Recha Freier war ebenfalls fasziniert, doch stellte sie den Minnesänger in den Rahmen des jüdischen Schicksals im mittelalterlichen Deutschland. Sie wies dem Teufel und dem großen rostigen Schlüssel zum Tor der Erlösung in dem Drama die von ihr erdachten Rollen zu. Das Libretto wurde von Mark Kopytman vertont und als voll kostümierte Oper im Jerusalemer Theater aufgeführt. Nach der ersten Aufführung veranlaßte Recha Freier mit unfehlbarer Intuition Änderungen in der Regie für den folgenden Abend, welche die Bewunderung sogar der Rezensenten erregten.

Ein unpersönlicher Bericht über Testimonium würde einen typischen Abend im Hause von Recha Freier vor der Aufführung nicht schildern. Sie saß dort an ihrem kleinen Schreibtisch beim Ofen. Neben ihr kniete der Regisseur, der ihr eine Zusammenfassung des Librettos vorlas, die er für das Programmheft verfasst hatte. Ein paar Komponisten und ihre Frauen waren im weißen Zimmer, dessen eine Ecke als Küche diente, damit beschäftigt, für Essen zu sorgen. Ein Freund stellte das ganze Programmheft auf Hebräisch zusammen, und ich übersetzte Kommentare deutscher Komponisten über ihre Werke ins Englische. Der Bühnenbildner erschien, um Recha Freiers Placet zur Dekorierung der Szene mit dem "Großen Schlüssel" einzuholen. Und die Direktoren des Theaters und des Jerusalemer Symphonieorchesters präsentierten Rechnungen - beunruhigt, dass für ihre Ausgaben kein Geld bleibe, nachdem ihnen das Erziehungsministerium klargemacht hatte, es gebe keine Mittel mehr, um den vom Minister Recha Freier zugesagten Zuschuss auszuzahlen. Es war eine verwirrende Fülle von Problemen, die da, alle auf einmal, Tag um Tag auf Recha Freier zukamen, und es bedurfte ihrer gelassenen, unerschütterlichen Besonnenheit, um jedermann zu beschwichtigen.

Es liegt mir daran zu berichten, daß sie einmal zu einer ihrer Enkelinnen bemerkte: "Ich bin der arme alte Caliban." Damit war wohl der alte, verunstaltete Sklave Caliban aus Shakespeares "Sturm" gemeint, der sich immer wieder dagegen auflehnte, ihn zum alten Eisen zu werfen. Einige Tage vor ihrem Tod, als sie, geschlossenen Auges und unfähig zu sprechen, mit dem Atem rang, fragte dieselbe Enkelin sie: "Bist Du immer noch der arme alte Caliban?" Und Recha Freier, bereits verzehrt vom Todeskampf, nahm ihre letzte Kraft zusammen und nickte zustimmend. Dieses Mal rebellierte sie gegen den Tod, in ihrer Meinung auch nur wieder Teil des Establishments.

Testimonium gehört nicht zum Establishment, obwohl das Israel Festival es gerne weiterführen würde. Es war Recha Freiers Werk. Da ich das fortlaufende Interesse an ihren verschiedenen Unternehmungen spüre und sehe, wie ihre Familie bei dessen Befriedigung hilft, scheint mir, dass wir recht daran taten, auf ihren Grabstein einen Vers aus dem Buch der Lieder (5,2) zu setzen:
"Ich schlafe, aber mein Herz ist wach."

Dieser Essay wurde ursprünglich für die Akten des Israelischen Musikinstituts geschrieben. Deutsche Komponisten wie Kagel und Stockhausen wirkten an Testimonium mit, und die unvergleichliche Unternehmung wurde mit deutschen Mitteln gefördert. Ihr Erfolg beruhte auch auf der engagierten und wirksamen Unterstützung durch mehrere deutsche Botschafter. Zu ihnen gehörte Niels Hansen, der mit Recha Freier noch korrespondiert hat und der sie, wie ich weiß, sehr verehrte. Unter seinen deutschen Kollegen in Israel war er, so viel mir bekannt, mit seiner Querflöte der einzige aktive Musiker, und ich erinnere mich gut an die Überraschung und Begeisterung einer jüdisch-jemenitischen Hörerschaft, als er für sie ihre Musik spielte. Wie gerne zähle ich ihn und seine Frau zu meinen Freunden.

Quelle: "Festschrift aus Israel", herausgegeben 1994 von Shmuel Bahagon, zum 70. Geburtstag von Niels Hansen, ehemals deutscher Botschafter in Israel: Recht und Wahrheit bringen Frieden.

hagalil.com 20-03-2008


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