Der "Fall Wecker" ist kein Einzelfall:
Halberstadt ist überall
Nicht nur in Halberstadt geht man der
Auseinandersetzung mit Nazis lieber aus dem Weg. Dort gab es
immerhin schon klar formulierte Drohungen, andernorts dürften solche
Drohungen gar nicht erst nötig sein. Im bayerischen Bad Reichenhall
beispielsweise, sucht man das Heil lieber gleich im vorauseilenden
Gehorsam.
Die ständigen Versuche Rechts und Links
gleichzusetzen und den Nazismus mit anderen totalitären Ideologien
in einen Topf zu werfen, haben dazu geführt politisches Engagement
zu diskreditieren und durch beständiges Relativieren zu
neutralisieren.
Die "Political Correctness" hat längst auch die Nazis
als Spezies, auf deren Gefühle man Rücksicht nehmen muss, entdeckt.
Und nicht erst seit dem "Karikaturenstreit" setzen sich neben
Ex-Generalbundesanwalt Alexander von Stahl auch
zahlreiche weitere prominente Fürsprecher für die "Meinungsfreiheit"
eines Blattes wie der "Jungen Freiheit" ein. Selbst die "Süddeutsche
Zeitung" findet nichts dabei, regelmäßig großformatige Anzeigen des
Flagschiffs der "Nationalisten in Nadelstreifen" abzudrucken.
Doch zurück ins schöne Bad Reichenhall. Hier wollte
die Gruppe Critica Social am 11. März im Haus der Jugend eine
Vortragsveranstaltung "zur Genese des modernen Antisemitismus"
durchführen. Diese Veranstaltung wurde von der Stadtverwaltung Bad
Reichenhall, namentlich Oberbürgermeister Heitmeier, verboten.
Laut Michael Gaul, dem Referenten der geplanten
Veranstaltung, war die Begründung exakt dieselbe wie im Falle der
Absage des Wecker-Konzertes in Halberstadt: Lässt man
antifaschistische Arbeit, gemeint ist ein Vortrag über
Antisemitismus, in einem öffentlichen Raum zu, so könne man auch
rechtsextremen Gruppierungen diesen Raum nicht vorenthalten, sollten
diese darauf einen Anspruch erheben. Wer eine politische
Veranstaltung erlaubt, kann schwer eine andere verbieten, so die
Argumentation.
OB Heitmeier will also "nicht erpressbar sein und deshalb stehen
diese öffentlichen Räume für politische Gruppen nicht offen".
Klar, dass Michael Gaul Parallelen zu Halberstadt sieht:
"Veranstaltungen gegen Nazismus bzw. Antisemitismus werden mit
derselben Argumentation und letztlich aus Angst vor der Reaktion von
Nazis verboten. In Bad Reichenhall brauchte es nicht einmal den
Druck von NPD oder anderen Nazis – allein die Angst vor einer
potentiellen Reaktion, dass also eine rechtsextreme Gruppierung
ebenfalls Anspruch auf das Haus der Jugend melden könnte, war Grund
genug. Die Stadtverwaltung in Bad Reichenhall handelte – überspitzt
formuliert – in einer Art 'vorauseilendem Gehorsam'. Das Verbot der
Behörden fiel in beiden Fällen keineswegs aus Sympathie für die
Antisemiten und Antidemokraten, sondern war ein – hilfloser –
Versuch deren Drohungen auszuweichen. Genau darin liegt das
eigentliche Versagen der Behörden".(1)
Die Gruppe Critica Social hält dies für politisch
fatal, "weil man der paradoxen Logik folgt, dass man faschistische
Aktivitäten nur verbieten kann, wenn man ausgerechnet auch
antifaschistische untersagt: Wieso um Himmels willen kann zwischen
Aufklärung gegen Antisemitismus und antisemitischer Hetze kein
Unterschied gemacht werden? Wo dieser Unterschied nicht gemacht
wird, wie in Halberstadt oder Bad Reichenhall, ist der Kampf gegen
Antisemiten verloren, ehe er begonnen hat. Wer aus Angst vor Nazis
eine Auseinandersetzung mit Antisemitismus verbietet, der schützt
sich nicht vor Erpressung, sondern hat sich bereits erpressen
lassen". Michael Gaul findet es
überdeutlich, dass Ansätze die Politiker auf Bundesebene
parteiübergreifend immer wieder fordern – nämlich den Aufstand der
Anständigen, Zivilcourage, etc. – auf der Ebene der Kommunalpolitik
konsequent torpediert wird. Während
Bundespräsident Horst
Köhler am 2. Februar 2005 in der Knesset in Jerusalem
gefordert hat: "Wir müssen die politische Auseinandersetzung mit
Rechtsextremismus und Antisemitismus suchen, und wir müssen sie
offensiv führen, und wir werden das auch tun", haben bisher weder
die SPD noch Kommunalpolitiker anderer Parteien Interesse gezeigt,
zum Verbot der Veranstaltung in irgendeiner Weise Stellung zu
beziehen. Offensichtlich benötigt es selbst zu solch demokratischer
Selbstverständlichkeit öffentlichen Druck.
Die Gruppe Critica Social wandte sich deshalb an
"haGalil", da ihr, im Gegensatz zum Fall Halberstadt, die
Öffentlichkeit fehle.
Der Fall Wecker ist offensichtlich kein Einzelfall.
Was haGalil - - von der Politik immerhin selbst oft genug und immer
wieder im Stich gelassen - - tun kann, wollen wir tun. Wieviel das -
trotz aller Rückschläge und Angriffe - noch sein kann, werden wir
sehen. Wie immer brauchen wir dazu die Mitarbeit unserer Leser.
[FORUM]
Zur weiteren Information: Ein Artikel aus dem
"Reichenhaller Tagblatt".
Im Gegensatz zum Fall Tamm
hat hier immerhin eine Lokalzeitung berichtet. In Berlin war das
damals nicht der Fall, als der Inhaber eines koscheren
Lebensmittelgeschäfts von Nazis und Islamisten terrorisiert und von
Behörden schikaniert oder alleingelassen schließlich das Geschäft
aufgab und Deutschland verlies.
Reichenhaller Tagblatt vom Mittwoch, 8. März 2006
Haus der Jugend soll unpolitisch bleiben
Stadt Reichenhall lässt Vortrag zum Thema
Antisemitismus nicht zu
Bad Reichenhall (rl) – Es ist eine kleine
Gruppe junger Leute aus dem Landkreis, die sich selbst
gesellschaftskritisch nennen. Als Veranstalter wollte „Critica
Social“ einen Vortrag samt Diskussion „Zur Genese des modernen
Antisemitismus“ anbieten. Doch das Haus der Jugend steht den jungen
Menschen für dieses Vorhaben nicht offen. Die Stadt will ein
„unpolitisches Haus der Jugend“ wie Oberbürgermeister Wolfgang
Heitmeier betont.
Ihn treibt die Sorge: „Wenn man damit anfängt, kommt die
Deutsche Volksunion (DVU) und möchte auch da hinein. Und genau das
will ich nicht.“ Heitmeier erinnert an das „schlimmste Beispiel“
Nibelungenhalle in Passau, als sich die Rechtspartei DVU eine
Großveranstaltung vor Gericht erstritten hat.
Michael Gaul aus Bayerisch Gmain ist einer der Sprecher von „Critica
Social“ und hält die Argumentation der Stadtverwaltung „für
konstruiert und vorgeschoben“. Die Gruppe hat Zweifel, dass die
formaljuristischen Gründe hier greifen. Gaul: „Es wäre ohne weiteres
möglich, die Hausordnung zu ändern, und zwar dahingehend, dass
Gruppen mit antisemitischem, rassistischem oder rechtsextremen
Hintergrund die Nutzung der Räumlichkeiten untersagt wird.“
Ganz so einfach betrachtet dies Oberbürgermeister Heitmeier nicht.
Er hat ein persönliches Gespräch mit Gruppenmitgliedern geführt und
dabei dargelegt, dass es problematisch ist, mit einem Federstrich
quasi ein Ausschlussverfahren einzuführen.
Heitmeier: „Ein Wirt hat das als Hausherr in der Hand. Das liegt bei
einer Stadt, die ein mit Steuergeldern arbeitender Monopolist ist,
deutlich anders. Wir wollen einfach nicht riskieren, dass eine
Veranstaltung eingeklagt wird.“
Die Gruppe „Critica Social“ ärgert sich, „weil die Stadt
formalrechtlich keinen Unterschied macht zwischen einem Vortrag
gegen Antisemitismus und nationalem Gedankengut.“ „Das ist blanker
Unsinn“, meint Gaul, der anfügt: „Unsere Einschätzung ist,
Hintergrund des Verbots ist die Sorge, Ruhe in der Stadt zu haben
und sich nicht unnötig Probleme zu schaffen.“
Fakt ist: Michael Gaul kann nicht wie geplant am Samstag, 11. März,
ab 19 Uhr im Haus der Jugend der Frage nachgehen, ob Antisemitismus
bloß eine Spielart von „Fremdenhass“ oder ein eigenständiges
Phänomen ist. Auch wollte er in der Diskussion erörtern, was
„Ressentiments gegen die USA, Spekulanten oder Großkonzerne mit der
antisemitischen Denkform gemeinsam haben“. Das Haus der Jugend
jedenfalls wird nicht Schauplatz dieser Debatte.
Die Aktivitäten von „Critica Social“ werden unterstützt von zwei
Überlebenden des Holocaust. Hans Taschner, ehemals gefangen im
Konzentrationslager Dachau, und Martin Löwenberg, Zwangsarbeiter des
Konzentrationslagers Flossenbürg, sind entrüstet über das Vorgehen
der Stadt. Der in München lebende Martin Löwenberg unterstreicht:
„Wenn offizielle Institutionen den Aufstand der Anständigen fordern,
kann es nicht sein, dass gleichzeitig die Arbeit antifaschistischer
Jugendlicher derart behindert wird.“
Der Stadtchef macht deutlich: „Ich wehre mich überhaupt nicht gegen
einen Vortrag zum Thema Antisemitismus. Ich habe viele Kontakte zu
Vertretern der jüdischen Kultusgemeinden, und in Bad Reichenhall hat
es immer wieder Gespräche zu dieser Themenlage gegeben.“ So hofft
Heitmeier, dass den Jugendlichen ein Nebenzimmer in einer Gaststätte
offen steht, damit sie ihr Programm durchziehen können.
Einmal schon war die Gruppe zu Gast im Haus der Jugend. Im
vergangenen Jahr diskutierte sie mit Gästen über Karl Marx. Noch
heute gibt es bei „Critica Social“ marxistische Lesekreise. Die
Mitglieder verstehen sich durchaus als ein politischer Zirkel, der
aber nicht parteilich gebunden ist.
Wolfgang Heitmeier räumt ein: „Ich habe diese damalige Veranstaltung
zu spät mitbekommen. Danach haben wir aber angeregt, weitere
politische Diskussion im Haus der Jugend vorher mit der Verwaltung
abzustimmen.“
Für den Oberbürgermeister steht außer Zweifel, dass alle jungen
Menschen im Haus der Jugend willkommen sind. Jedoch macht er
unmissverständlich klar: „Wir wollen nicht erpressbar sein und
deshalb stehen diese öffentlichen Räume für politische Gruppen nicht
offen.“
1. Hilflos in Halberstadt; SZ, Nr. 58, vom Freitag,
10. März.
Stefan Kramer,
Generalsekretär des ZJD:
Die Entscheidung
von Halberstadt ist beschämend
In Halberstadt wurde ein Konzert des Münchner
Liedermachers Konstantin Wecker untersagt, nachdem die NPD dagegen
massiv Stimmung gemacht und gedroht hatte "aktiv an der
Veranstaltung teilzunehmen". Weckers Tournee durch Ostdeutschland
steht unter dem Motto 'Nazis raus aus dieser Stadt'. Mit den
Konzerten sollen örtliche Antifa-Gruppen unterstützt werden...
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