Rechtsextremer Parlamentarier verurteilt:
Erstmals Holocaust-Leugner im Gefängnis?
Von Bernhard Schmid, Paris
Der 65jährige Lyoner Regionalparlamentarier des
rechtsextremen Front National (FN), Georges Theil, könnte der erste Franzose
werden, der wegen eines Tatbestands im Zusammenhang mit der Verbreitung der
"Auschwitzlüge" ins Gefängnis muss. Am Dienstag, 3. Januar 06 wurde er – zum
wiederholten Male – wegen solcher Äußerungen verurteilt.
Theil hatte am 14. Oktober 2004 im Parlament der Region Rhône-Alpes, in
Lyon, auf dem Flur gegenüber einem lokalen Fernsehteam wörtlich erklärt, die
Gaskammern seien "abgeschottete Kammern zur Desinfektion" gewesen und: "Je
mehr Zyklon B die Deutschen benutzten, desto mehr Leben retteten sie" (sic).
Die Vergasung von Menschen sei "eine chemische und physikalische
Unmöglichkeit". Dafür erhielt er jetzt vor dem Strafgericht erster Instanz
in Lyon sechs Monate Haft ohne Bewährung plus 10.000 Euro Geldstrafe und
muss zusätzlich 33.000 Euro an elf Antirassismus- oder Menschenrechtsgruppen
(die alle als Nebenkläger aufgetreten waren) bezahlen.
Die Auslassungen des Abgeordneten des Front National erfolgten drei Tage,
nachdem dessen "Generalbeauftragter" (délégué général) Bruno Gollnisch –
"Nummer zwei" in der Parteihierarchie hinter dem "Chef" Jean-Marie Le Pen –
auf einer Pressekonferenz in Lyon erklärt hatte, ob und wie viele Menschen
in den NS-Vernichtungslagern gestorben seien, müsse Gegenstand einer "freien
Debatte unter Historikern" sein. Durch diese Äußerungen, für die er nicht
einmal irgendeinen "Anlass" hatte (die Pressekonferenz war eigens anberaumt
worden), wollte Gollnisch sicht mutmaßlich innerparteilich im Rennen um die
Nachfolge des alternden "Chefs" und Gründervaters Le Pen profilieren. Doch
für diese offene Anzweiflung des Holocaust, oder jedenfalls seiner realen
Dimensionen, wird Gollnisch selbst sich am 23. Mai dieses Jahres vor einem
Strafgericht in Lyon verantworten müssen. Bruno Gollnischs Immunität als
Angehöriger des Europaparlamentarier wurde in dieser Sache im Dezember 05
aufgehoben, und als Juraprofessor an der Universität Lyon-III erhielt
Gollnisch aufgrund derselben Angelegenheit vor einem Jahr ein fünfjähriges
Lehrverbot (faktisch bis zu seiner Pensionierung) bei Halbierung seines
Gehalts auferlegt. Sein (sicherlich erheblich primitiverer) "Parteifreund"
Georges Theil, der in seinen Äußerungen noch viel weiter ging als Gollnisch,
fühlte sich daraufhin durch die Ausfälle des Fraktionsvorsitzenden und
Juraprofessors offenkundig ermutigt.
Es handelt sich nicht um die Erstlingstat des rechtsextremen
Regionalpolitikers Georges Theil. Aufgrund ähnlicher Äußerungen ist er
bereits im Jahr 2001 zu einer dreimonatigen Bewährungsstrafe, und am 7.
Oktober 2005 im westfranzösischen Limoges zu einer Haftstrafe von sechs
Monaten (diesmal ohne Bewährung) verurteilt worden. Letztere Verurteilung
ist zur Zeit noch nicht rechtskräftig, da Theil Berufung eingelegt hat.
Sobald das letztinstanzliche Urteil in dieser Sache fällt und zusätzlich das
jetzt am 3. Januar ergangene Urteil bestätigt wird, dürfte Theil der erste
Holocaustleugner sein, der nicht nur verurteilt wird, sondern auch
tatsächlich im Gefängnis übernachten muss. Die beiden Urteile gegen ihn sind
die ersten, bei denen Haftstrafen im Zusammenhang mit dem Strafgesetz gegen
die "Leugnung oder Relativierung von Verbrechen gegen die Menschheit" von
1990 ohne Bewährung verhängt worden sind.
Das französische Strafgesetz gegen Holocaustleugnung
Die Holocaustleugnung steht in Frankreich seit der "Loi Gayssot" vom 13.
Juli 1990, einem Zusatzgesetz zum Antirassismus-Strafgesetz von 1972 (das
den Namen des damaligen KP-Parlamentariers und späteren Ministers
Jean-Claude Gayssot trägt), als spezifischer Tatbestand unter Strafe. Die
Verabschiedung dieses Gesetzestext war damals als Reaktion auf die Schändung
des jüdischen Friedhofs im südfranzösischen Carpentras vom 08. Mai 1990
erfolgt, die eine Welle von Mobilisierungen gegen Antisemitismus und
Negationismus (französischer Ausdruck für Geschichtsrevisionismus oder
Holocaustleugnung) auslöste. Allein in Paris hatten im Mai 1990 rund 200.000
Menschen demonstriert, unter Beteiligung aller Parteien mit Ausnahme des
Front National.
Die rechtsextreme Partei hatte in den Folgejahren versucht,
die Erinnerung daran zu ihrer Rehabilitierung zu nutzen, da die Täter
zunächst jahrelang nicht gefasst werden konnten und u.a. ein Teil der
Sensationspresse deswegen Zweifel an den tatsächlichen antisemitischen
Motiven hinter der Friedhofsschändung weckte. Die entsprechenden
Presseberichte tendierten im Nachhinein eher zu einer Tat "einer
satanistischen Sekte" oder einer seltsamen Mutprobe drogenberauschter
Jugendlicher. Dagegen sprach die extreme Rechte von Anfang an von einer
"Manipulation" gegen den Front National, beschuldigte "Moslems" oder
"Kommunisten".
Am 11. November 1995, die Täter waren noch ungefasst,
charterte der Front National eigens einen "Zug der Wahrheit" von Paris nach
Carpentras und demonstrierte dortselbst, um eine "Entschuldigung von Staats
wegen" zu fordern, da er in dieser Sache zu Unrecht an den Pranger gestellt
worden sei. Aber am 31. Juli 1996 stellte sich einer der Täter, ein
ehemaliger Neonazi, der mittlerweile zu Buddhismus und Gewaltlosigkeit
konvertiert war und die barbarische Schändung (bei ihr war die frisch
beerdigte Leiche des 83jährigen Félix Germon auf den Stil eines
Sonnenschirms aufgespießt worden) bereute. Daraufhin konnten die wirklichen
Täter gefasst werden, und vier (ehemalige) Neonazis wurden verurteilt –
keine Mitglieder des Front National zwar. Aber der reuige Urheber des
Geständnisses, das die Verhaftungen ausgelöst hatte, sprach sehr wohl von
Anfang an davon, er sei damals "durch den Diskurs des Front National
beeinflusst gewesen".
Der Lyoner Prozess
In dem jüngsten Prozess in Lyon, der mit dem Schuldspruch vom
3. Januar 06 zu Ende ging, wurde Georges Theil durch den berüchtigten
Negationisten-Anwalt (und ehemaligen Parlamentskandidaten, der 1997 nördlich
von Paris für den Front National kandidiert hatte) Eric Delcroix vertreten,
der selbst geschichtsrevisionistischen Thesen aktiv anhängt.
Zu seiner gerichtlichen Anhörung im Rahmen des Prozesses am 29. November 05
ließ Theil niemand anderen als den wohl prominentesten französischen
Auschwitzleugner laden, den ehemaligen Hochschullehrer Robert Faurisson.
Faurisson versuchte den Prozess in ein Tribunal gegen die angeblich erlogene
Existenz der Gaskammern umzukehren (vgl. dazu den ausführlichen Bericht in
Libération vom 30. 11. 2005). Aufgrund dessen wurde die Einstellung des
Gerichts aber nicht eben positiv für Theil beeinflusst, wohl eher im
Gegenteil.
Kurz vor Weihnachten, am 22. Dezember 05, versuchte der auf
Holocaustleugner-Prozesse spezialisierte Anwalt Eric Delcroix eine erneute
gerichtliche Anhörung seines Mandanten durchzusetzen. Dieses Mal berief der
Verteidiger sich in seinem Brief an den Vorsitzenden der 6. Strafkammer auf
die Äußerung von Präsident Jacques Chirac vom 9. Dezember 2005: Anlässlich
einer Ansprache hatte der Staatspräsident betont, es sei "nicht Aufgabe des
Staates, die Geschichte zu schreiben", sondern dies sei vielmehr Aufgabe der
Historiker. Das hatte Chirac aber lediglich zur Beruhigung der Polemik rund
um das Gesetz vom 23. Februar 2005 (das Lehrer und Forscherinnen
verpflichten soll, eine "positive Rolle" des französischen Kolonialismus
anzuerkennen, und das von Wissenschaftlern und Historikern als "Aufzwingen
einer offiziellen Geschichtsversion" attackiert wurde und wird) geäußert.
Eine Petition von 19 prominenten Historikern, die am 12. Dezember 2005
veröffentlicht wurde, forderte ferner die Abschaffung aller Gesetze, die die
Debatte um geschichtliche Ereignisse regulieren sollen. Ihre Forderung
betrifft das äußerst kritikwürdige Gesetz vom 23. Februar 05, aber auch die
"Loi Gayssot" (siehe oben) sowie zwei Gesetzestexte aus dem Jahr 2001, mit
denen das französische Parlament damals den Völkermord an den Armeniern im
Ersten Weltkrieg sowie die Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschheit
anerkannte. Dieses Amalgam wurde deswegen z.T. scharf kritisiert, auch wenn
es den 19 Historikern sicherlich nicht um eine Beförderung von
Holocaustleugnung ging, und rief wiederum eine Gegenpetition von 32
Prominenten hervor.
Selbstverständlich bezog Eric Delcroix sich ebenfalls auf die Petition der
19 Historiker und versuchte, auch diese für seine Zwecke zu
instrumentalisieren. Dies war sicherlich nicht im Sinne der Unterzeichner,
obwohl sich damit im Prinzip nur ein Risiko verwirklichte, mit dem dieselben
hätten rechnen müssen. Vor der Lyoner 6. Strafkammer kam der rechtsextreme
Verteidiger damit freilich nicht durch, es lehnte den Antrag auf
Neueröffnung der gerichtlichen Debatte ab (der "mediale Schaum" vermöge dies
allein nicht zu rechtfertigen). Stattdessen wurde wenige Tage später das
Urteil gegen Theil bekannt gegeben.
Nunmehr bleibt zu hoffen, dass der rechtsextreme Regionalparlamentarier
wirklich, in absehbarer Zeit, sein Haupt hinter Gittern betten müssen wird.
Seine "Auffassungen", die mit Sicherheit aufklärungs- und faktenresistent
sein dürften, lassen sich so zumindest für alle Anderen sichtbar
sanktionieren. |