"Germanische Neue Medizin":
Warten, bis der Krebs aufhört
In Tübingen demonstrierten rund 1 000
Menschen für den dubiosen "Naturheiler" Hamer.
Von Titus Lenk,
Jungle World
21 v. 25.05.2005
Die Teilnehmer an der Demonstration am 14. Mai in Tübingen
hätten von ihrem Äußeren her der alternativen Szene angehören können. Auf
Transparenten in mehreren Sprachen forderten sie "Freiheit für Doktor
Hamer". Wer jedoch meinte, einer Ansammlung von Menschenrechtsaktivisten
beizuwohnen, lag völlig falsch. Den Protestierenden ging es um die
Anerkennung der "Germanischen Neuen Medizin", die der ehemalige Arzt Ryke
Geerd Hamer begründet hat.
Vor gut zehn Jahren machte der Fall der kleinen Olivia Pilhar aus Österreich
Schlagzeilen. Die Eltern des damals sechsjährigen Mädchens sind überzeugte
Anhänger der "Neuen Medizin" und wollten die Krebserkrankung ihrer Tochter
nach der Lehre Hamers "ausheilen lassen", was so viel heißt wie, sie nicht
zu behandeln. Vor dem drohenden staatlichen Zugriff flüchtete die Familie
bis nach Spanien, zu Hamer persönlich, der die Erkrankung Olivias auf den
übermäßigen Verzehr von Schnitzeln zurückführte. Nach einer Interpolfahndung
konnten die Eltern mit ihrer Tochter ergriffen werden; sie wurde nach
Österreich geflogen, gegen den Willen der Eltern operiert und gerettet.
Helmut und Erika Pilhar erhielten später eine achtmonatige Bewährungsstrafe
wegen fahrlässiger Körperverletzung.
Die Geschichte der Sekte beginnt jedoch früher, mit einer äußerst dubiosen
Geschichte, die, von Hamer aufgeschrieben, im Internet nachzulesen ist. Im
August 1978 soll Vittorio Emanuele von Savoyen, ein Nachkomme des letzten
italienischen Königs, Hamers Sohn Dirk angeschossen haben, der einige Monate
darauf starb. Seine eigene Erkrankung an Hodenkrebs führte Hamer wenig
später auf den Schock zurück, den er erlitten habe, als sein Sohn "inmitten
eines feindlichen Spaliers von Ärzten und Schwestern" starb.
Bereits zu diesem Zeitpunkt zeigte sich die Angewohnheit Hamers,
vermeintliche medizinische Erkenntnisse und Verschwörungstheorien zu
vermischen. Denn einer Verschwörung soll sein Sohn zum Opfer gefallen sein.
Man sei anscheinend "zu der Überzeugung gelangt, es sei doch wohl besser,
wenn der Junge stürbe, das habe für die Familie Savoyen den Vorteil, dass
sie nicht einen Krüppel als lebenslanges Mahnmal vor Augen haben müsse".
Als ihm sein Sohn im Traum erschienen sei, stand für Hamer fest: Jede
Krebserkrankung beginnt mit einem schweren psychischen
"Konflikterlebnisschock", den er das "Dirk-Hamer-Syndrom" nennt. Deshalb sei
es das Beste, den Krebs einfach "ausheilen" zu lassen. Später modifizierte
er seine Theorie und wandte sie auch auf andere Krankheiten an. Er nahm sich
nicht weniger vor, als die Schulmedizin zu revolutionieren oder vielmehr
abzuschaffen.
Doch die Welt verkennt ihren Retter. Seit Hamer, damals noch Internist und
Krankenhausarzt in Tübingen, seine Theorie, die er zunächst "Neue Medizin"
nannte, im Jahr 1981 öffentlich präsentierte, habe man ihn, seinem
persönlichen Empfinden nach, "wie einen Hasen übers freie Feld" gejagt.
Im Jahr 1986 wurde ihm die Approbation als Arzt entzogen. Hamer begann,
Anhänger um sich zu scharen, für seine Sache zu werben und seine Art von
Medizin anzuwenden, bei sich und bei anderen. Im Jahr 1997 wurde er von
einem Kölner Gericht wegen unerlaubten Praktizierens zu 19 Monaten Haft
verurteilt, von denen er zwölf Monate verbüßte. Wegen Betruges und Beihilfe
zur unterlassenen Hilfeleistung wurde er im März 2000 in Frankreich
angeklagt; in Österreich suchte man ihn wegen Totschlages in mindestens 50
Fällen. Das Berufungsgericht im französischen Chambéry verurteilte Hamer am
1. Juli 2004 wegen Betrugs und der Komplizenschaft bei der illegalen
Ausübung einer medizinischen Tätigkeit in Abwesenheit zu drei Jahren
Gefängnis. In Spanien, wo er versuchte, als "Naturheiler" zu wirken, wurde
er im September 2004 verhaftet und nach Frankreich ausgeliefert. Dort sitzt
er seither ein.
Die Anziehungskraft der "Germanischen Neuen Medizin" auf manche Menschen mag
daran liegen, dass sie die Zweifel am Nutzen einer Chemotherapie ausnutzt
und ein sehr einfaches Erklärungsmodell für alle Krankheiten bietet. Sie
funktioniert wie eine politische Verschwörungstheorie und gibt einfache
Antworten auf komplizierte Fragen.
Wenn es mit der Heilung einmal nicht klappt, hat es der Patient eben nicht
geschafft, "seinen ursprünglichen Konflikt oder seine Anschlusskonflikte zu
lösen". Das widerfuhr zum Beispiel im Jahr 2000 einer 47jährigen
Schweizerin, die ihren Brustkrebs "ausheilte" und qualvoll starb. Der
25jährige Sören Wechselbaum erlag im Jahr 2002 seinem Hodenkrebs, weil er
ein Jahr lang jede Behandlung abgelehnt hatte.
Ungefähr seit dem Jahr 2002 und dem Namenswechsel zur "Germanischen Neuen
Medizin" sind von Hamer antisemitische Äußerungen in seinen Mitteilungen an
seine Anhänger, die im Internet nachzulesen sind, bekannt. Aus der ihn
vermeintlich verfolgenden "Pharmalobby" wurden "Zionisten" oder "Juden". Die
Schulmedizin bezeichnete er als "jüdische Medizin", und den Juden wirft er
vor, seine Erfindung für sich zu benutzen und anderen zu verwehren. Ein
"Weltoberrabbiner" und sein Boykott der "Germanischen Neuen Medizin" seien
verantwortlich für viele Krebstote.
Hamers Anhänger Pilhar spricht von einer "Massenvernichtungsindustrie" in
der normalen Medizin, der Meister selbst sieht sich als Insassen eines
"Gulag-KZ". Und die "Amici di Dirk" sind der Meinung: "Das konnte selbst in
Russland unter Stalin nicht schlimmer sein." All das scheint Hamers Lehre
für Rechtsextreme attraktiv zu machen. So findet sich zum Beispiel auf der
Homepage der NPD in Sachsen-Anhalt eine Vorstellung der "Germanischen Neuen
Medizin".
Hamer hat Anhänger in Deutschland, in der Schweiz, in Luxemburg, Frankreich,
Italien, Österreich und in Spanien. Die Demonstration am 14. Mai in Tübingen
war bisher die größte seiner Anhänger, die auch aus Spanien, Frankreich und
Italien angereist kamen. Tübingen war ausgewählt worden, weil der inzwischen
70jährige Hamer dort als Arzt praktiziert hatte und dort sein
Habilitationsverfahren über die "Germanische Neue Medizin" abgelehnt worden
war.
Von Hamers Aussage, er sei vom "obersten Medizinalrat der Juden" verurteilt
worden, mochten sich die Demonstrierenden auf Nachfrage nicht distanzieren.
Auszuschließen sei das ja nicht, sagte einer von ihnen.
Des Wahnsinns fette Beute:
Jewish-conspiracy
nuts soar to new heights of lunacy
The Jews have killed two billion people with morphine, chemotherapy and
radiation treatment according to the so-called "The New Medicine" cult that
has begun to establish itself in Norway.
hagalil.com 30-05-2005 |