Internationale der Nationalisten:
Iliescu relativiert den Holocaust
Nachdem kürzlich die rumänische Regierung den Holocaust
leugnete, provoziert Staatsführer Iliescu mit ähnlichen Aussagen einen
handfesten Skandal.
"Vom Holocaust war nicht nur die
jüdische Bevölkerung Europas betroffen. Auch viele Andere, inklusiv Polen,
starben auf die gleiche Art."
Zitat eines der umstrittenen Schlüsselsätze, aus dem am vergangenen
Freitag (25. Juli) in der israelischen Zeitung "Ha'aretz" veröffentlichten
Interview mit Staatspräsident, Ion Iliescu, das die rumänisch-israelischen
Beziehungen einer neuen Zerreißprobe aussetzt.
Von William Totok
Berlin - Nachdem die Bukarester Regierung im Juni in
einem offiziellen Kommuniqué den rumänischen Holocaust leugnete,
relativiert nun Iliescu die Einzigartigkeit der Shoah. Die Ausführungen
des Staatschefs lösten in Israel eine Welle der Empörung aus.
In seinem Feriendomizil am Schwarzen Meer sah sich Iliescu
genötigt, zu den Protesten Stellung zu nehmen. Statt einen diplomatischen
Rückzieher zu machen und seine zweideutige Stellungnahme zurückzunehmen,
zeigte sich der uneinsichtige Präsident angesichts der heftigen Reaktionen
überrascht und legte noch eins drauf: "Ich sagte, der Holocaust sei ein
gesamteuropäisches Phänomen gewesen. Es gab keinen rumänischen Holocaust,
keinen deutschen oder polnischen. Es handelte sich um einen allgemeinen
Prozess; innerhalb dieses europäischen Phänomens hatte es auch eine
rumänische Komponente gegeben".
Wie bereits schon im Juni wurde die rumänische Botschafterin in Tel Aviv
ins israelische Außenministerium zitiert, um die Sachlage zu klären. Der
israelische Botschafter in Bukarest hatte am Montag eine Aussprache mit
Vertretern des rumänischen Außenministeriums in Bukarest. Die
Anti-Diffamierungsliga forderte den Präsidenten auf, seine Erklärungen
zurück zu nehmen. Das Zentrum zur Beobachtung und Bekämpfung des
Antisemitismus in Rumänien gab in einer Stellungnahme zu bedenken, dass
sich Antisemiten der umstrittenen Ausführungen Iliescus bedienen könnten.
In einem am Sonntag veröffentlichten Kommuniqué der Präsidialkanzlei hieß
es, Iliescu sei missverstanden worden. Aber auch dieses, eher einer
Rechtfertigungspirouette ähnelnde Dokument enthält keine deutliche
Verurteilung der militärfaschistischen Antonescu-Diktatur oder einen
klaren Hinweis auf die 410.000 rumänischen Juden, die von den rumänischen
Behörden und nicht von den Nazis ermordet wurden.
Ausgehend von dem Iliescu-Interview forderte die Zeitung "Jerusalem Post"
am Wochenende, Iliescu genau so zu behandeln wie den österreichischen
Rechtspopulisten Jörg Haider. Falls Rumänien keine überzeugenden Schritte
gegen den wieder aufflackernden Antisemitismus unternähme, sollte Iliescu
international isoliert werden, hieß es in der "Jerusalem Post".
Das Interview des Staatspräsidenten ist ein neuer Beweis für die
doppeldeutige Politik der rumänischen Führungsriege. In ihrem Versuch, den
Westen von ihrer euroatlantischen Tauglichkeit zu überzeugen, raffte sich
die Regierung im vergangenen Jahr zu einer großzügigen Gefälligkeitsgeste
auf und erließ eine Dringlichkeitsverordnung, aufgrund derer der Kult von
Kriegsverbrechern und faschistische Propaganda jeglicher Art unter Strafe
gestellt wurden. Obwohl inzwischen die Denkmäler zu Ehren des 1946 als
Kriegsverbrecher hingerichteten Antonescu entfernt und Straßen, die seinen
Namen trugen, umbenannt wurden, weigert sich der Stadtrat von Tîrgu Mures
die Antonscustraße umzubenennen. Iliescu, der seine Hände jetzt in
Unschuld wäscht, verlieh vor wenigen Tagen dem nationalistischen Dichter
Adrian Paunescu, einem ehemalige Hofschranzen Ceausescus, einen hohen
Orden und würdigte dessen kulturelle Leistungen. Als Abgeordneter der
regierenden Sozialdemokratischen Partei - die sich mit ihren guten
Beziehungen zur SPD Schröders brüstet - sitzt Paunescu heute im Parlament.
Unermüdlich setzt er sich in seinen Publikationen und Fernsehauftritten
für eine Rehabilitierung Antonescus ein. In seinem "Klagelied für Ion ohne
Grab" beschreibt er den früheren militärfaschistischen Diktator Ion
Antonescu als unschuldiges Opfer, dessen "tragisches Schicksal" er mit dem
des rumänischen Volkes vergleicht: "Ion bist du, Ion bin ich,/ Ion ist ein
Volk".
Um die Wogen der internationalen Empörung über die im Juni veröffentlichte
Regierungserklärung zu glätten (wonach es in den Grenzen Rumäniens von
1940 bis 1945 keinen Holocaust gegeben habe soll), wurde Mitte Juli ein
Rechtsextremist mit viel Mediengetöse zu einer zweieinhalbjährigen
Gefängnisstrafe verdonnert. Die Rechnung für dieses Ablenkungsmanöver wäre
vielleicht aufgegangen, wenn Iliescu sich nun nicht wieder in
Verharmlosungsargumente verstrickt hätte.
Allen Dementis zum Trotz kann die Tatsache nicht geleugnet werden, dass im
Bukarester Parlament als einzige ernstzunehmende Oppositionsgruppierung,
die rechtsradikale Großrumänische Partei sitzt, deren programmatisches
Ziel darin besteht, Antonescu zu rehabilitieren, in Bukarest ein
autoritäres Regime an die Macht zu bringen und zusammen mit Le Pens
Nationaler Front eine "Internationale der Nationalisten" zu gründen. Die
steigende Popularitätskurve der Großrumänen, die ein Drittel aller
Parlamentsmandate besetzen, ist ein Indiz dafür, dass das Gespenst eines
Staats- und Parteinationalismus längst nicht gebannt ist. Auch nicht durch
die Aussicht, Rumänien im nächsten Jahr in die NATO aufzunehmen.
hagalil.com
28-07-03 |