Ein offener Brief an das Präsidium der Freien Universität Berlin, in dem sich das Netzwerk Jüdischer Hochschullehrender und die Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD) gegen verschiedene Aspekte des für den 10.09.2025 an der FU Berlin geplanten Workshops „Forensic and Counter-Forensic Approaches to Reconstructing International Law – Cartography and Anatomy of Genocide“ sowie gegen die Einladung von Francesca Albanese, die dort die Keynote halten soll, wenden:
Frankfurt, 07.09.2025
Workshop „Cartography and Anatomy of Genocide“ mit UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese
Sehr geehrter Herr Präsident Ziegler,
sehr geehrte Frau Vizepräsidentin Blechinger-Talcott,
am Mittwoch, dem 10. September 2025, soll an der FU Berlin im Rahmen der Annual Conference of the European Society of International Law ein Workshop mit dem Titel „Forensic and Counter-Forensic Approaches to Reconstructing International Law – Cartography and Anatomy of Genocide“ stattfinden. Eingangs soll die UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete Francesca Albanese eine Keynote halten.
Das Netzwerk Jüdischer Hochschullehrender (NJH) und die Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD) zeigen sich empört über die geplante Durchführung des Workshops unter diesem Titel sowie über einzelne Punkte im Programm. Die über dem Workshop stehende Behauptung eines Genozids, die sich, wie aus der Beschreibung hervorgeht, auf die „genozidale Gewalt in Gaza“ bezieht, ist keine wissenschaftliche Tatsache, sondern ein schwerwiegender Vorwurf, der sich nicht durch Fakten belegen lässt. Einige Vortragstitel lesen sich wie Slogans aus einer antiisraelischen Kampagne.
Francesca Albanese schließlich ist in der Vergangenheit mehrfach durch antisemitische Äußerungen aufgefallen, wie unten nochmals dargelegt werden wird. Wir sind entsetzt, dass unter dem Deckmantel eines wissenschaftlichen Workshops hier eine antiisraelische Propagandaveranstaltung stattfinden soll, die alibimäßig auch einige Vorträge mit aufnimmt, die sich mit interessanten neuen Methodiken befassen, welche im Völkerrecht angewandt werden können.
Der geplante Workshop in den Räumen der FU fügt sich in die gegenwärtige weltweite Polemik zum angeblichen „Genozid in Gaza“ ein. Jüngstes prominentes Beispiel ist die Resolution der International Association of Genocide Scholars (IAGS), nach der Israel einen Genozid in Gaza begehe. Laut Sara Brown, selbst Mitglied der IAGS, ist die Abstimmung zur Annahme dieser Resolution unter fragwürdigen Umständen und bar jedweder wissenschaftlichen Substanz zustande gekommen.
„This resolution is incorrect in its assessment of Israel’s conduct in Gaza. It includes many
unsubstantiated claims, is poorly cited (using deeply biased, questionable sources), and perpetuates an intentionally distorted analysis of the Israel Hamas War.“ [1]
Während Reuters von 85 Prozent Beteiligung an der Abstimmung spricht, waren es laut Brown nur 129 von 500 Mitgliedern, also nur rund 25 Prozent, die für die Resolution gestimmt haben. [2]
Wir verlangen eine Änderung des Workshoptitels – denkbar wäre z. B. „Forensic Methods in International Law“ –, die Annullierung der Keynote von Francesca Albanese und die sorgfältige Prüfung der übrigen Referate auf antisemitische Behauptungen.
Die UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete Francesca Albanese ist international für ihre antiisraelische Position bekannt, die nichts mehr mit legitimer Kritik am Vorgehen der Regierung eines Staates hat. So bemühte sie wiederholt Nazi- und Shoah-Vergleiche in Bezug auf den jüdischen Staat Israel [3], verklärte die Hamas-Gräuel des 7. Oktobers als „Widerstand“ [4] und erklärte unter anderem, die USA seien „der jüdischen Lobby unterworfen“ [5]. Zudem trat sie bei Konferenzen der antisemitischen Terrororganisation Hamas auf. In ihrem Narrativ über den Krieg in Israel und Palästina ignoriert sie vollumfänglich das Leid der Israelis, welche nach ihrer Erzählung Schuld an allen Übeltaten tragen, während sie für die mörderische Hamas größtes Verständnis zeigt.
Dass nun Albanese, die Theorien einer jüdischen Weltverschwörung verbreitet, an der Freien Universität Berlin eine Bühne geboten werden soll, ist alarmierend. Jede Eskalation des Nahost- Konflikts bedeutet eine enorme Verschlimmerung der ohnehin schon prekären Lebensrealität der jüdischen Diaspora-Gemeinden: Der Bericht des Bundesverbands der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) zeigt allein im letzten Jahr einen Anstieg dokumentierter Antisemitismus-Vorfälle um 77%. [6]
Dabei sind seit dem Hamas-Massaker immer wieder auch Universitäten als Räume aufgefallen, in denen sich ein Klima von israelbezogenem Antisemitismus manifestiert, das es jüdischen Studierenden und Lehrenden zunehmend verunmöglicht, ihren Uni-Alltag fortzuführen. Die für den 10.9. geplante Veranstaltung ist hierfür ein besonders drastisches Beispiel.
Wir möchten darauf hinweisen, dass die Universität eine Einrichtung des Landes Berlin ist. Wir bezweifeln stark, dass es im Interesse des Landes ist, einer ausgewiesenen Antisemitin im wahrsten Sinne des Wortes „Raum“ zu geben. Die Stadt Berlin würde sich damit die antisemitische Agenda von Frau Albanese zu eigen machen. Vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass ein Eingriff in diese antisemitische Veranstaltung nicht im Widerspruch zur Freiheit der Lehre steht.
Gerne sind wir zu einem Gespräch mit den Entscheidungsträger*innen bereit, um unsere Einwände nochmals darzulegen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
Abschließend erlauben wir uns, Ihre eigene juristische Fakultät zu zitieren: „Das wissenschaftliche Ethos der Freien Universität Berlin wird seit ihrer Gründung im Dezember 1948 von drei Werten bestimmt: Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit.“ [7]
Ein Workshop unter dem Titel „Cartography and Anatomy of Genocide“ und ein Auftritt von Frau Albanese darin stehen dagegen für Unwahrheit, Ungerechtigkeit und die Einschränkung von Freiheiten – insbesondere von jüdischen Studierenden, Hochschullehrenden und Mitarbeitenden, deren Situation sich durch eine solche Propagandaveranstaltung weiter verschlechtern wird.
Mit der Bitte um eine rasche Reaktion verbleiben wir mit freundlichen Grüßen
Der Vorstand des Netzwerks Jüdischer Hochschullehrender (NJH)
Prof. Dr. Julia Bernstein · Prof. Roglit Ishay · Dr. Ilja Kogan
Ron Dekel, Vorsitzender der JSUD
[1] https://x.com/DrSaraEBrown/status/1962611578899255746
[2] https://www.mena-watch.com/kritik-resolution-israel-geonzid-vorwurf/
[3] https://www.spiegel.de/ausland/francesca-albanese-uno-palaestinenserbeauftragte-vergleicht- netanyahu-mit-hitler-a-747b4d56-5696-4cab-ac63-1b398a58ab81
[4] https://x.com/UNWatch/status/1956302771445010478
[5] https://www.juedische-allgemeine.de/politik/die-usa-sind-der-juedischen-lobby-unterworfen/
[6] https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2025-06/antisemitismus-rias-2024
[7] https://www.jura.fu-berlin.de/index.html



