Grillparty mit Ottolenghi

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Die erste Grillparty des Jahres. Ich freue mich, Freunde und Bekannte, die ich lange nicht getroffen habe, wiederzusehen. Mit Mann und Kind treffe ich am Sonntagnachmittag auf der Party ein; mein Mann öffnet das Gartentörchen, damit ich, meinen Buffetbeitrag in der Hand, eintreten kann.

Von Eva M. Grünewald

Ich gehe um das Haus herum, stelle den Spinat-Dattel-Mandel-Salat auf den Tisch und gehe die Gastgeberin und den Gastgeber begrüßen. Das übliche Geplänkel, hallo, wie geht’s, was macht das Kind, macht die Schule, macht die Arbeit, die Hobbies, das Wetter und die Weltlage, du weißt, wo alles ist, bedien‘ dich. Und mit Getränk noch einmal das Ganze. Nun mit den anderen Gästen plänkeln, hallo, wie geht’s, lange nicht gesehen, was macht das Kind, macht die Schule, macht die Arbeit, das Wetter, nein, vielleicht sprechen wir lieber nicht über die Weltlage, lieber noch eine Runde drehen. Dann ein frisches Getränk und ein Gang zum Buffet.

„Hallo, Eva!“, ruft ein blonder Mann mir hinterher, dessen Sohn die Jahre mit unserer Tochter in der Kita teilte. „Schön, dich zu sehen!“ Ein paar Sätze über das Kind, die Arbeit, das Wetter. Ja, es ist heiß in diesem Jahr, jedes Jahr wird es heißer, ja, ja, das Klima.

„Hast du den Humus zum Buffet beigesteuert?“, fragt der Blonde und deutet auf den Klecks auf meinem Teller. Ich schüttele den Kopf. „Aber du bringst doch immer Humus mit“, meint er. Ich denke an die vergangenen Grillpartys, die Geburtstage und eigentlich alle Treffen von Freundinnen, Freunden und Bekannten. Nein.

„Ich habe noch nie Humus irgendwohin mitgebracht.“

Tatsächlich bin ich gar kein so großer Fan von Humus und finde, wenn überhaupt, sämtliche Fertigprodukte von Edeka, Lidl, Penny, Rewe, Aldi und Kaufhof leckerer als die Varianten der Paste, die ich selbst bisher zustande gebracht habe. Eine Freundin, die in mit einer anderen Gruppe in Hörweite steht, beugt sich zu mir hinüber: „Das wäre doch auch kulturelle Aneignung, was?“, fragt sie und ich bin nicht sicher, ob ich Ironie in ihrer Stimme höre.

Also frage ich vorsichtig: „Was meinst du?“

Jetzt schaut sie mich ehrlich verwundert an. „Naja“, sie zuckt die Schultern. „Wir wissen doch alle, dass Humus aus Palästina kommt.“ Während ich sie noch sprachlos anschaue und überlege, ob ich auf den Geburts- und Wohnort einiger Angehöriger meine Familie in Israel verweise, beugt der Blonde sich verschwörerisch zur Freundin und deutet auf die Paste auf meinen Teller. „Aber Evas Humus ist der beste!“, lacht er laut.

„Ich habe aber doch gar keinen Humus gemacht!“, sage ich und frage mich zugleich, worüber wir hier eigentlich sprechen. „Na, dann ist ja gut“, betont die Freundin und sie spricht diesen Satz so aus wie die Räubertochter Ronja im Gespräch mit ihrem Vater dem Räuberhauptmann, in welchem er sie ermahnt, in der Wolfsklamm nicht zu schreien, damit keine Steine herunterfallen.

„Na, dann ist ja gut“, wiederhole ich leise und gehe weiter.

Plötzlich stehe ich vor einer 17jährigen mit Perlenkette und Perlenohrringen, deren Eltern, langjährige Freunde, sich für das Klima einsetzen, biologisch angebautes Gemüse, Bio-Fleisch und Bio-Eier aus Freilandhaltung kaufen und seit Jahren gegen den Rassismus der AFD auf die Straße gehen. Zwei Schritte hinter dem Mädchen nähert sich die Mutter. Beide begrüßen mich und balancieren dabei ihre vollbeladenen Teller. Nach dem üblichen freundlichen Geplänkel, Wohlergehen, Kind, Schule, Arbeit, Hobbies, bei dem sie gekonnt das Essen durch die Backentaschen zum oberen Gaumen und in den Rachen ziehen, bevor sie es schließlich hinunterschlucken, deutet die Mutter auf den Spinat-Dattel-Mandel-Salat: „Den musst du unbedingt versuchen. Der ist phantastisch!“

„Danke.“ Ich fühle mich geschmeichelt. „Den habe ich mitgebracht.“

„Der ist wirklich sehr lecker!“, stimmt die 17jährige ihrer Mutter zu. „Du musst meiner Mama unbedingt das Rezept geben.“

„Das ist ein Rezept von Ottolenghi“, erkläre ich. Zum ersten Mal unterbrechen Mutter und Tochter den Kauvorgang und es scheint, als wolle die Tochter den vorgekauten Bissen schnellstens und mit aller Kraft in das nächstbeste Beet befördern.

„Ich hasse Ottolenghi!“ Aus den 17jährigen Augen sprühen Abscheu und glühende Kälte. Als würden wir uns über ein Monster oder einen Massenmörder unterhalten. Jack the Ripper, nicht ein Koch in London.

In meinem Blick muss in diesem Moment ein Ausdruck liegen, der die Mutter, meine Freundin, veranlasst, ihre die Tochter zu bremsen. Sie legt ihre Hand besänftigend auf deren Schulter. „Lissi mag diese orientalischen Rezepte einfach nicht.“

„Ach, ich dachte, der Salat habe euch geschmeckt“, wende ich rebellisch ein.

„Nein, Mama, jetzt sei aber ehrlich“, meint die Tochter. „Ottolenghi ist ein Ausbeuter, ein Betrüger und ein fieser Dieb!“

Wow. Ich schlucke. Ich sehe das Gespann schweigend an.

„Naja,“ druckst die Mutter an mich gerichtet herum, „du musst schon zugeben, dass er seinen Partner ganz schön ausgebeutet hat.“

„Ja?“

„Ja, wirklich, das stimmt. Ottolenghi hat zuerst in Jerusalem mit einem Palästinenser gearbeitet. Mit ihm hat er sein erstes Kochbuch geschrieben und dann ist er nach England gegangen und hat dort ganz viele Restaurants aufgemacht und irre viel Kohle gemacht. Er ist total reich geworden mit den Rezepten, die er von seinem palästinensischen Freund geklaut hat. Aber nirgendwo wird der erwähnt. Ottolenghi ist ein richtig übler Ausbeuter.“

Mit jedem Satz wird ihre Stimme lauter, die vorgekauten Bröckchen des Spinat-Dattel-Mandel-Gemischs spritzen mir entgegen. So viel Leidenschaft. Ich trete vorsichtig einen Schritt zurück.

„Stell dir mal vor: Diese ganzen Rezepte! Nichts ist von ihm, alles von den Palästinensern geklaut, alle hat er ausgebeutet! Und dann geht er nach England und lässt die armen Palästinenser in ihrer Armut sitzen, lässt zu, dass sie weiter für die anderen arbeiten müssen, und verkauft ihre Rezepte und wird reich damit! So ist das nämlich!“

Ich zucke die Schultern. Nicke.

„Ich dachte immer, er sei selbst in Israel geboren und groß geworden“, traue ich mich, leise einzuwenden.

„Ach, ich bitte dich!“, giftet die Mutter. Die einstige Freundin. Und ihre Tochter lacht laut.

Was bittet sie mich?

Langsam wende ich mich ab. Ich spüre die Blicke derer, die vor dem Buffet stehen und die Szene beobachtet haben, in meinem Rücken. Wenn ich mich umdrehe, werden sie vermutlich die Blicke senken. Ob sie dann angewidert meinen Salat auf ihren Tellern anschauen werden? Diebesgut in ihren reinen Händen.

Ich möchte meiner Familie, die diese Szene nicht miterleben mussten, den Nachmittag nicht verderben und behalte meine schlechte Laune fortan für mich, so gut ich kann.

Am Abend schlage ich zu Hause meine beiden Ottolenghi-Kochbücher auf und setze mich an meinen Computer. Wer weiß, was Google und Wikipedia noch zum Thema beitragen.

Eines der Kochbücher hat Ottolenghi mit Sami Tamimi herausgegeben, den ich bei Wikipedia als Mit-Inhaber einiger Restaurants in London finde. Essen und Kochen als Mittel der Diplomatie, lese ich irgendwo. In dem zweiten Buch dankt er im Vorwort seinen Freunden und Kollegen für die gute Zusammenarbeit, hebt ihre Beteiligung und ihren Beitrag zur gemeinsamen Arbeit hervor. Was für ein Verbrecher, Betrüger, Dieb. Ich kann nicht einmal fassungslos den Kopf schütteln.

Auf einer Reddit heißenden Plattform speit unter palästinensischer Flagge eine Schreibende ihr Gift: Ottolenghi und seine Leute haben „Sami Tamimis Beteiligung genutzt, um die palästinensische Küche sich anzueignen, während sie es versäumten, Palästina wirklich zu unterstützen.“

Wie stellte sie sich die Unterstützung Palästinas durch einen Kochbuchautor wohl vor: Gift für Juden? Sie hat sogar Seiten aus ihrem Buch herausgerissen, schreibt sie. Vor lauter Wut auf Ottolenghi. „Verdorben“ fühle sich das Buch an. Besser das Buch als die Speisen, sollte man meinen.

Ein anderer Kommentator hasst es zu sehen, wenn ein mediterranes Restaurant von Israelis geführt wird, „weil sie eigentlich keine eigene Küche haben und sie einfach von allen anderen gestohlen haben“. Und noch jemand bläst in dieses Horn: „Typisch für Kapitalisten und Kolonialisten, Minderheiten für den persönlichen Vorteil auszunutzen.“ Ja, das habe ich ja irgendwie bereits am Nachmittag gehört. „Sind wir wirklich immer noch überrascht, wenn Israelis Dinge stehlen? Das erklärt ihre gesamte Existenz“, behauptet ein weiterer Verbündeter des guten Essens.

Das beantwortet dann wohl auch indirekt meine Frage vom Nachmittag. „Ich bitte dich!“ Als sei jede Antwort, jede Erklärung unnötig. Denn: bekannt. Wissend von all den guten und reinen Seelen, die im Namen der Gerechtigkeit als Kinder und Enkelkinder die Welt zu einem Besseren wandeln wollen.

Ich fahre den Computer herunter. Wenn ich zur nächsten Party noch eingeladen werde, suche ich vielleicht ein Rezept für Kartoffelsalat. Bei Lidl soll es leckere Kartoffeln aus Israel geben.

2 Kommentare

  1. Danke Frau Grünewald, für den anschaulichen Einblick in die palemannische Standard-Szene mit den brisanten Pointe am Schluss.
    Lidl verkaufte bis vor ca. 12-15 Jahren ein leckeres Knäckebrot. einiges flacher und kompakter als die „luftigen“ skandinavischen (?) Versionen im üblichen deutschen Sortiment. Bin nur immer dieses Produktes wegen zur 4-Buchstaben-Firma gegangen. Seine Herkunft war sehr klein gedruckt, dennoch: seit die Beliebtheit für die Hamas tobt, gibt’s die sonst nirgendwo erhältlichen Knabberscheiben nimmer.
    Ob mein Gespür hinreichen würde, das Debakel auszumalen, würde irgendein ein verrückter Disponent, – in welchem Konzern auch immer, – irgendwo im eurabischen Raum auf die Idee kommen, ein leckeres, kaum entbehrliches Lebensmittel mit Kennung Israel zu offerieren, tja, das weiss nur Allah.