
Eine Sonderausstellung widmet sich erstmals den Erfahrungen von befreiten Zwangsarbeiter:innen – Zeitgleich eröffnet die Installation „Glas“ von Sonya Schönberger
Berlin, 29. April 2025 – Anlässlich des 80. Jahrestags des Endes des Zweiten Weltkriegs in Europa thematisiert eine Sonderausstellung erstmals die Erfahrungen der vom NS-Regime befreiten Zwangsarbeiter:innen in Berlin. „Vergessene Befreiung. Zwangsarbeiter:innen in Berlin 1945“ ist vom 30. April 2025 bis 2. November 2025 im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit der Stiftung Topographie des Terrors in Berlin-Schöneweide zu sehen.
„Vergessene Befreiung“ widmet sich einem bislang wenig thematisierten Kapitel der Befreiung vom Nationalsozialismus in Europa: der Lebensrealität der rund 370.000 Zwangsarbeiter:innen, die sich Anfang 1945 in Berlin aufhielten. Nach Jahren der Ausbeutung und Entmenschlichung brachte das Kriegsende ihnen zwar die lange ersehnte Freiheit, aber auch neue Unsicherheiten. Viele der ehemaligen Zwangsarbeiter:innen, nun Displaced Persons, fanden sich in einer ungewissen Lage wieder und lebten zunächst in neu eingerichteten Sammellagern. Im Herbst 1945 waren die meisten von ihnen aus dem Stadtbild verschwunden – und damit sehr bald auch aus dem Gedächtnis der Deutschen. Die Anerkennung als NS-Opfer blieb ihnen lange verwehrt – sowohl in ihrer Heimat als auch in Deutschland.
Die Ausstellung setzt die Monate um Mai 1945 in einen anschaulichen historischen Kontext, indem sie vielfach in ausländischen Archiven recherchierte Biografien von Zwangsarbeiter:innen in den Mittelpunkt rückt. Erstmals stehen somit die persönlichen Erfahrungen von Menschen, die aus ganz Europa zur Zwangsarbeit nach Berlin verschleppt wurden, im Zentrum einer Ausstellung. Damit wird die Bedeutung von Kriegsende und Befreiung aus einer bis heute wenig bekannten Perspektive betrachtet. Thematisiert werden die letzte Kriegsphase, die Befreiung durch die Rote Armee und die von Chaos und Unsicherheit geprägte Zeit nach Mai 1945, in denen viele Displaced Persons die mühsame Rückreise in ihre Heimatländer antraten oder emigrierten.
Dr. Christine Glauning, Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit, sagt über das Projekt: „Was die Befreiung der Zwangsarbeiter:innen in Berlin betrifft, sind die Kriegsendphase und die Monate ab Mai 1945 bis heute nur sehr lückenhaft erforscht. Mit unserer Ausstellung wollen wir auf diese lange vergessene und verdrängte Geschichte aufmerksam machen. Zwangsarbeiter:innen, die aus allen vom NS-Regime besetzten Ländern ins Deutsche Reich verschleppt wurden, machten in der Kriegsendphase, nach der Befreiung und der anschließenden Rückkehr in ihre Herkunftsländer in Ost- und Westeuropa sehr verschiedene Erfahrungen. Die Rekonstruktion dieser vielfältigen Perspektiven und biografischen Erfahrungen erlaubt uns, eine neue Perspektive auf das Kriegsende in Deutschland und in Europa zu eröffnen.“
Sarah von Holt, Kuratorin der Ausstellung, ergänzt: „An das Kriegsende und die Befreiung vom nationalsozialistischen Terror wird in den Herkunftsländern der Zwangsarbeiter:innen bis heute auf sehr unterschiedliche Weise erinnert. Dabei spielt das Thema Zwangsarbeit im offiziellen Gedenken vielfach eine untergeordnete Rolle. Wir wollen mit der Ausstellung zeigen, wie prägend die Erfahrung von Zwangsarbeit und Befreiung für die Biografien so vieler Menschen war und ist. Ihre Geschichten bewahren bis heute eine lebendige Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und das Kriegsende in ganz Europa, die häufig über die Familien weitergegeben wird, aber auch – trotz Widerständen – von erinnerungskulturellen Projekten in die Öffentlichkeit gebracht wird.“

Die Ausstellung wird von einem Veranstaltungsprogramm begleitet. Am 80. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 2025 lädt das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit die Öffentlichkeit zu Podiumsdiskussionen, Führungen und Begegnungen mit lokalen Initiativen ein. Irina Scherbakowa, Mitbegründerin der 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Organisation MEMORIAL, wird mit dem Politikwissenschaftler Prof. Dr. Hans-Joachim Funke über die Erinnerung an das Kriegsende im Wandel diskutieren. Darüber hinaus sprechen mit Miloš Měštan und Micha de Winter zwei Nachkommen von Zwangsarbeitern, deren Biografien in der Ausstellung gezeigt werden.
Zeitgleich zu „Vergessene Befreiung“ eröffnet das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit die Kunstinstallation „Glas“ von Sonya Schönberger. Bei archäologischen Grabungen auf dem Tempelhofer Feld kamen ab dem Jahr 2012 rund 100.000 Objekte zutage. Gegraben wurde vor allem im Bereich ehemaliger Barackenlager, in denen NS-Zwangsarbeiter:innen aus den besetzten Ländern untergebracht waren. Sie mussten für die Deutsche Lufthansa und die Weser Flugzeugbau GmbH in der Rüstungsproduktion arbeiten. Unter den Funden befanden sich auch hunderte Glasscherben, zum Teil durch Brände infolge von Luftangriffen verformt. In der künstlerischen Auseinandersetzung „Glas“ von Sonya Schönberger verschmelzen diese Fragmente zu skulpturalen Objekten. Sie stehen für die Zerbrechlichkeit von Erinnerung und die Grenzen unseres Verstehens. Zugleich regt die Arbeit dazu an, Gedenken als bewussten Akt zu verstehen, der Geschichte in die Gegenwart trägt.
Vergessene Befreiung. Zwangsarbeiter:innen in Berlin 1945
30. April 2025 – 2. November 2025
Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit
Britzer Straße 5, 12439 Berlin-Schöneweide
geöffnet Dienstag bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr | Eintritt frei
Alle Termine auch unter: https://www.ns-zwangsarbeit.de/veranstaltungen/
Veranstaltungen
Do. 8. Mai 2025, 13.30-18.30 Uhr
Diskussionen, Führungen, Begegnungen mit Nachkommen von Zwangsarbeiter:innen
Mit Dr. Irina Sherbakova (MEMORIAL), Prof. Dr. Hajo Funke (Freie Universität Berlin), Shelly Kupferberg
21. Mai, 19:00 Uhr
Gespräch zur Installation „Glas“
Mit Prof. Dr. Susan Pollock und Prof. Dr. Reinhard Bernbeck (Archäolog:innen, Leiter:innen der Grabung auf dem Tempelhofer Feld) sowie Sonya Schönberger
21. Juni, 14:00 Uhr
Künstleringespräch mit Sonya Schönberger
21. Juni 2025, 19:00 Uhr
Zwangsarbeiter:innen in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs
25. September 2025, 15:00 Uhr
Displaced Persons in Berlin
Öffentliche Führungen
Kostenfrei / Ohne Anmeldung
Deutsch: 1. Mai 2025, 15 Uhr** / 18. Mai 2025, 13 Uhr** / 9. Juni 2025, 13 Uhr** / 19. Juli 2025, 16 Uhr / 14. September 2025, 13 Uhr** / 3. Oktober, 15 Uhr**
Englisch: 13. September, 13 Uhr / 3. Oktober, 13 Uhr**
**mit den Kurator:innen