Ein Parochet für die Münchner Reichenbachstraße

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Der Stoff für den Parochet, © Franziska Werners

Ein unglaublicher Glücksfall: Wie die bald neu eröffnende Synagoge in der Reichenbachstraße zu ihrem Vorhang für den Thoraschrein kam.

Von Franziska Werners

Die Münchner Synagoge an der Reichenbachstraße blickt auf eine wahrlich bewegte bald 95jährige Geschichte zurück. 1931 in nur vier Monaten von dem Architekten Gustav Meyerstein im Stil der neuen Sachlichkeit erbaut, blieben ihr und der in ihr betenden Gemeinschaft zunächst nur sieben Jahre bis zu den November-Pogromen von 1938. Die besondere Lage der Synagoge in einem dichten Wohngebiet der Isar-Vorstadt bewahrte sie zwar davor, vollständig niedergebrannt zu werden, gleichwohl wurden die Räume und das Inventar weitgehend verwüstet. In der Nachkriegszeit notdürftig wieder hergerichtet, war sie zunächst ein Treffpunkt der sogenannten Displaced Persons, Jüdinnen und Juden, viele aus osteuropäischen Ländern, die die Shoah überlebt hatten und nun versuchten, in München ein neues Leben zu beginnen.

Bald wurde die Synagoge an der Reichenbachstraße das religiöse Zentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG), die vor allem in den 90er Jahren durch den Zuzug der Kontingent-Flüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion stetig anwuchs. Seit dem Umzug der IKG in die Ohel-Jakob-Synagoge mit angeschlossenem Gemeindezentrum am Jakobsplatz im Jahr 2006 gerieten die ehemaligen Gebetsräume an der Reichenbachstraße in Vergessenheit und dämmerten ungenutzt der Verwahrlosung entgegen. Erst als die Literaturwissenschaftlerin Dr. Rachel Salamander vor gut zwölf Jahren auf diesen traurigen Leerstand aufmerksam wurde und gemeinsam mit dem Juristen Ron Jakubowicz den Verein Synagoge-Reichenbachstraße e.V. gründete, kam Hoffnung auf, dass diese bemerkenswerte Synagoge, doch wieder mit neuem Leben erfüllt werden könnte.

Es folgten mühsame Jahre, in denen mit Ämtern für Bau und Denkmalschutz aber auch um die Finanzierung gerungen werden musste. Jetzt, im Frühjahr 2025, wachsen allmählich Optimismus und Vorfreude bei den Unterstützerinnen und Unterstützern dieser Initiative, denn der Wiederaufbau befindet sich in der Zielgeraden. Endlich gehe es, wie Rachel Salamander erläutert, um die „schönen Dinge“ die diese Räume wieder in dem Glanz erstrahlen lassen sollen, den die Synagoge ursprünglich hatte: Die moderne Sachlichkeit, oft auch als Bauhausstil bezeichnet, war schon an und für sich etwas Außergewöhnliches für einen sakralen Bau der damaligen Zeit. Darüber hinaus hatte Architekt Meyerstein ein besonderes Farbkonzept für die Räume entworfen, im Eingangsbereich dominierte ein pompejisches Rot, im Hauptraum weiche Gelb-Töne im Marmor der Nische des Thoraschreins, dazu hellblau-türkise Wände und weiche Pastelltöne an den Decken. Auch die Ornamente der Fensterscheiben leuchteten in freundlichen Farben.

Dies alles möglichst originalgetreu wieder herzustellen, wäre schon eine hoch bewundernswerte Leistung, doch damit nicht genug, es sollte noch ein „surplus“ hinzukommen, wie Rachel Salamander es nannte, etwas, das über die Vergangenheit und Gegenwart hinaus in die Zukunft weist: Was noch fehlte, war der Vorhang für den Thoraschrein, der Parochet. Dieser war ursprünglich – und ist es in vielen Gemeinden bis heute – ein schwerer Samtstoff, bestickt mit Ornamenten und biblischen Worten.

Für die Synagoge der Reichenbachstraße suchte Rachel Salamander einen neuen Weg und entdeckte die Arbeiten der 1897 in München geborenen Bauhaus-Künstlerin, Weber-Meisterin und Textil-Designerin Gunta Stölzl. Deren Stoffe und Stoff-Designs wollte sie zunächst nachweben lassen, doch durch einen glücklichen Zufall kam sie mit dem Enkel der Künstlerin in Kontakt, Ariel Aloni.

Aloni, geboren 1958 in Tel Aviv, dort auch aufgewachsen, lebt heute in New York. Seine Mutter Yael Aloni, Tochter aus der ersten Ehe Gunta Stölzls mit dem Bauhaus-Architekten Arieh Sharon (nicht zu verwechseln mit dem späteren israelischen Ministerpräsidenten) war über viele Jahre die Archivarin der Werke Gunta Stölzls. Einen Teil dieser Arbeiten und Stoffe hat sie ihrem Sohn Ariel überlassen. Für diesen war die Begegnung mit Rachel Salamander und ihre Erzählung von der Synagoge in der Reichenbachstraße „reason enough“ für eine großzügige Schenkung einiger dieser Stoffe seiner Großmutter. Dafür kam er nun eigens nach München und eine sichtlich dankbar berührte Rachel Salamander konnte den ausgewählten Stoff in einer noch provisorischen Aufhängung vor Ort präsentieren.

Rachel Salamander und Ariel Aloni mit dem Original-handgewebten Stoff seiner Großmutter, Gunta Stölzl, vor dem künftigen Thoraschrein in der Synagoge der Reichenbachstraße. Foto © Franziska Werners

Für Rachel Salamander schließt sich damit ein Kreis: eine der prägendsten Bauhaus-Künstlerinnen kehrt mit einer ihrer Arbeiten in ihre Geburtsstadt zurück und noch dazu in eine der wenigen Synagogen dieses Bauhausstils.

Wenn alles gut geht, soll die Synagoge in der Reichenbachstraße noch in diesem Jahr wieder eröffnet werden – wann genau, „das wissen nur die Handwerker“, sagt Rachel Salamander. Fest steht für sie dagegen, dass man München mit diesen Räumen ein Stück Stadtgeschichte zurückgebe. Diese Synagoge habe weit über München hinaus eine internationale architekturgeschichtliche Bedeutung und werde mit Sicherheit auch ein Touristenmagnet werden.

So könnten Führungen zur jüdischen Stadtgeschichte in der Reichenbachstraße beginnen und über verschiedene Stationen zur Ohel Jakob Synagoge und ins Jüdische Museum führen. Priorität sollen aber die Gottesdienste haben, die dann auch wieder in der Reichenbachstraße abgehalten werden können. Darüber hinaus sollen die Räume für Bildungszwecke und kulturelle Veranstaltungen zur Verfügung stehen.