Von Ramona Ambs
Man sagt immer, die Deutschen seien ein emotionsloses Volk.
Dabei stimmt das gar nicht.
Es ist ein Vorurteil.
Ein Vorurteil, von dem ich mir inzwischen wünschen würde, es wäre real.
Denn die gefühlvollen Deutschen sind mit ihren Emotionen sehr sehr anstrengend. Sie fühlen nämlich überall, wo sie besser denken sollten.
Sie fühlen so sehr, so stark und intensiv, dass sie ihr Gefühl für ein Argument halten. Besonders leidenschaftliche Fühler und Fühlerinnen glauben sogar, ihr Gefühl sei stichhaltig und jeder müsse genauso fühlen wie sie.
„Ich habe das Gefühl, dass….“ beginnen sie oft ihre Ausführungen und erklären dann, dass „Israel hinter dem 7.Oktober steckt“ – und wenn man dann nachhakt, wie sie darauf kommen, antworten sie „Beweisen kann man das natürlich nicht, aber man hat ja so seine Erfahrungen“…
Dass es sich bei den „Erfahrungen“ ebenfalls wieder nur um Emotionen handelt, erfährt man übrigens, wenn man weiter nachbohrt.
Das Problem dabei: Starke Gefühle schränken auch die Wahrnehmungsfähigkeit ein. Das gilt insbesondere für Ressentiments, die „gefühlt“ 😉 etwa 90% der deutschen Gefühlslage ausmachen.
Deswegen sind diese Gefühle auch sehr selektiv verteilt.
Speziell Empathie, -also das Mitgefühl für andere- kann sich nur partiell entwickeln, was die Eigenwahrnehmung als Meister des Mitgefühls nicht im geringsten beeinträchtigt.
So fühlen sie natürlich mit allen Kindern im Krieg, betonen sie großherzig, „mit den beiden Rothaarigen- wie hießen sie noch gleich?- die waren ja wirklich unschuldig!“- aber auch mit den „vielen vielen palästinensischen Kindern, die weinend vor Hunger und zitternd vor Angst in den von Israel zerstörten Ruinen kauern, und denen keiner hilft in diesem eiskalten Winter, und wenn man das feststellt ist man deswegen noch lange kein Antisemit!!!“
Mitgefühl ist ein Meister aus Deutschland.
Deswegen reagieren die Fühlenden dann auch auf Kritik höchst emotional.
Wie kann man nur ihre gute, wohlmeinende Absicht infrage stellen!
Und die ausgelöste empörte Aufwallung verstärkt dann die selektive Blindheit,
– und die gefühlte Wahrheit bricht germanisch hervor:
Man sei eben am Frieden für alle interessiert!
Und dass doch mal Schluss sein muss mit der Gewaltspirale!
Wer mit reinem Herzen mordet, kann kein Antisemit sein!
Und letztlich haben ja doch immer beide Seiten schuld..
Auch so eine gefühlte Wahrheit, die einem das Nachdenken erspart.
Und deswegen ist das Debattieren mit gefühlvollen Deutschen auch nicht ratsam.
Sie fragen nicht, sie fühlen!
Fakten und Ambivalenz stört da nur…
Und Infragestellen ist Herzensmord.
Wer nicht so fühlt wie wir, hat kein Gefühl.
Dem mangelt es an Tiefe.
Mitgefühl ist ein Meister aus Deutschland.
Und wer nicht zustimmt, wird hingerichtet.