Gepäck aus Sand

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„Seit Langem schon kann ich nicht mehr unterscheiden, was ich mir einbilde und was ich tatsächlich tue.“ Dieser Zustand lässt die Protagonistin von Anna Langfus‘ großartigem Roman ziellos durch die Stadt treiben. „Wozu dieses tagtägliche Streuen durch die Straßen? Was sollten all die Menschen, die meinen Weg kreuzen, für mich tun können?“

Es sind Unbekannte, denen Maria, so wird sie im Buch genannt, begegnet, aber auch Verwandte, die sich zwar um sie kümmern, aber nicht wirklich für sie interessieren. Sie lebt mit Spukgestalten, die sie heimsuchen, die ermordeten Eltern, und Jacques. Als scheinbar einzige Überlebende ist sie in der Stadt, die den Krieg bereits vergessen hat, seltsam fehl am Platz.

Ein alter Mann nimmt sich ihrer an, bringt sie schließlich in ein kleines Dorf am Meer, wo sie sich erholen soll. Ein guter, heilender Ort. „Die Mauern meiner jüngsten Vergangenheit zerbricht in tausend Stücke, sie zerfällt zu Staub, und plötzlich bekomme ich meine Kindheit wieder, unversehrt, unvergänglich und voller Zärtlichkeit in ihrer brüchigen Ewigkeit.“ Die Kiefernbäume ihrer Kindheit bringen einen Frieden, den sie vergessen glaubte. Aber der alte Mann handelt nicht uneigennützig, bedrängt sie.

Das kleine Dorf wird zum Lebensmittelpunkt von Maria, sie freundet sich mit einigen Kindern an, trifft auf einen anderen Überlebenden, versucht den „Kreis zu durchbrechen, in dem ich mich drehe, bevor ich den Verstand verliere.“ Die Schuld der Überlebenden verfolgt sie, wie auch die Erinnerungen.

Anna Langfus wurde 1920 in Lublin als Anna-Regina Szternfinkiel geboren. Sie überlebte die Zeit der Verfolgung durch die Nationalsozialisten – ihre Eltern und ihr Mann wurden ermodet – und ging 1946 nach Frankreich. Sie heiratete erneut und benannte ihre einzige Tochter, aber auch die wiederkehrende Protagonistin in ihren Romanen nach ihrer Mutter Maria. Über die Schoah sprach Anna Langfus nie, doch sie schrieb darüber.

Anna Langfus, Foto: Maria Langfus / CC BY-SA 3.0

Ein großes Glück, dass dieses Vermächtnis nun wiederentdeckt wurde und in der „anderen Bibliothek“ erschienen ist. Die Übersetzerin Patricia Klobusiczky schrieb: „Die vorliegende Übersetzung ist ein Versuch, Gepäck aus Sand mit seinen Kanten und Unebenheiten ins Deutsche zu bringen, eine aufrichtige Einladung, sich heute auf ein Werk einzulassen, das nichts Versöhnliches an sich hat, sondern einer historischen und menschlichen Wahrheit verpflichtet ist.“

Ein Versuch, der ihr voll und ganz gelungen ist. Ein großartiger Roman, der gleichzeitig schwer und schön zu lesen ist.

Anna Langfus, Gepäck aus Sand. Roman. Übersetzung von Patricia Klobusiczky, Die andere Bibliothek, Band 481 (2025), 288 S., Bestellen?