„Drei Gesichter des Antisemitismus““

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Antisemitismus artikuliert sich in der Gegenwart aus unterschiedlichen Milieus: rechts, links und islamistisch. Beiträge dazu finden sich in dem Sammelband „Drei Gesichter des Antisemitismus“, der hoffentlich auch in Deutschland den US-Historiker Jeffrey Herf mit früheren Texten bekannter macht.

Von Armin Pfahl-Traughber

Der Antisemitismusforscher Jeffrey Herf ist im deutschsprachigen Raum immer noch eher unbekannt. Zwar wurden zwei seiner Bücher, „Zweierlei Erinnerung“ (1998) und „Unerklärte Kriege gegen Israel“ (2019), übersetzt. Gleichwohl fanden andere Aufsätze und Monographien nur eingeschränkte Wahrnehmung. Möglicherweise erklärt sich dieses gewisse Desinteresse mit dadurch, dass von ihm auch ein islamistischer und linker Antisemitismus wahrgenommen wurde. Zu all dem hat Herf, er ist Jahrgang 1947 und emeritierter Professor für deutsche Geschichte an der Universität Maryland, breit angelegte wissenschaftliche Publikationen vorgelegt. Einen Eindruck von seinen Forschungen kann man jetzt über einen Sammelband erhalten: „Drei Gesichter des Antisemitismus“ lautet der Titel, „rechts, links und islamistisch“ der Untertitel. Darin finden sich 18 Aufsätze, die aus umfangreicheren Büchern oder kürzeren Texten zusammengestellt wurden. Allgemeiner Ansatzpunkt dafür ist die gleichzeitige Existenz aller drei genannten Formen der Judenfeindlichkeit.

Man darf indessen dazu keine gesonderten Gesamtdarstellungen und auch keinen systematischen Vergleich erwarten. Es geht eben jeweils um Abhandlungen zu konkreten Gesichtspunkten, die jeweils einem der angedeuteten Milieus zugeordnet werden können. Dies schließt hier aber auch die breite Gesellschaft oder eine politische Mitte aus, wo es eben auch antisemitische Einstellungspotentiale mit sozialer Relevanz gibt. Und dann wurden manche Aufsätze mitten aus Büchern heraus entnommen, womit es sowohl an einer Einleitung wie an einem Schlusswort mangelt. Die jeweiligen Belege findet man aber in den Fußnoten konkret nachgewiesen. Angesichts der bedeutsamen Inhalte ruft der Sammelband förmlich nach mehr deutschen Übersetzungen. Denn die Arbeit des Autors ist gerade in Deutschland von besonderem Interesse, um Forschungslücken zu relevanten Themen zu schließen. Sie bestehen auch bezogen auf den Antisemitismus „von rechts“, aber noch mehr bezogen auf die „islamistische“ und „linke“ Judenfeindlichkeit.

Um die inhaltliche Breite des Sammelbandes zu veranschaulichen, seien einfach einige Aufsätze mit ihren jeweiligen Themen erwähnt. Gleich zu Beginn geht es um einen „reaktionären Modernismus“, der die kulturelle Moderne ablehnte, aber die technische Moderne begrüßte. Antisemitismus war zwar nicht unbedingt ein herausgehobener Bestandteil, gehörte aber als manifestes Beiwerk zu einschlägigen Diskursen. Besondere Aufmerksamkeit verdient auch der Beitrag „Nationalsozialistischer Antizionismus“, der anhand vieler Fallbeispiele veranschaulicht, dass die Nationalsozialisten strikt gegen einen jüdischen Staat waren. Oder es wird die NS-Agitation im arabischen Raum während des Zweiten Weltkriegs thematisiert, agitierte man doch so nicht nur gegen Großbritannien, sondern auch gegen die Juden. Beachtenswert sind ebenfalls die vergleichenden Betrachtungen von einerseits Judenfeindschaft und andererseits „weißem Rassismus“. Und schließlich ist das frühe Israelbild der westdeutschen Linken ein wichtiges Thema.

Eher kürzer gehaltene Beiträge sind dann der Entwicklung nach dem 11. September 2001 gewidmet. Da findet sich etwa eine Analyse zur Charta der Hamas von 1988, die bereits als Gründungsdokument antisemitische Morde wie die am 7. Oktober 2023 einforderte. Berechtigt fragt der Autor danach, warum man diese Erklärung nicht breiter wahrnahm. Ähnlich verhält es sich mit dem Antisemitismus an US-Universitäten, der bereits Jahre zuvor esitierte und nicht erst in letzter Zeit aufkam. Auch die Forderung „From the River to the Sea“ war bereits lange zuvor ein bedeutsames Thema. Die Lektüre der älteren Texte veranschaulicht, dass man bezogen auf spätere Ereignisse schwerlich von einer Überraschung sprechen konnte. Möglicherweise gilt dies auch für die einzige Abhandlung, die nicht direkt zum Sammelbandthema passt: „Ist Donald Trump ein Faschist?“.

Bilanzierend betrachtet hat man es mit einem interessanten Lesebuch zum Werk eines wichtigen Wissenschaftlers tun. Möge es mehr Übersetzungen von ihm in deutschen Verlagen geben.

Jeffrey Herf, Drei Gesichter des Antisemitismus rechts, links und islamistisch, Leipzig 2025 (Hentrich & Hentrich), 364 S., Bestellen?