Preis für Verständigung und Toleranz 2024

0
79
Foto: C. Wollmann-Fiedler

Das Jüdische Museum in Berlin hat geehrt, verliehen und gefeiert. Zwei Frauen in unterschiedlichem Alter, aus unterschiedlicher Generation und Vergangenheit wurden im Jüdischen Museum in Berlin mit dem großen, dem wichtigen Preis für Verständigung und Toleranz geehrt.

Von Christel Wollmann-Fiedler

„Das JMB zeichnet mit dem Preis seit 2002 Persönlichkeiten aus Kultur. Politik und Wirtschaft aus, die sich auf herausragende Weise um die Förderung der Menschenwürde, der Völkerverständigung, der Integration von Minderheiten und des Zusammenlebens unterschiedlicher Religionen und Kulturen verdient gemacht haben“.

Magot Friedländer, die 103 Jahre alte Überlebende des Holocaust und die 50jährige junge Rabbinerin und Schriftstellerin Delphine Horvilleur aus Frankreich, aus Paris, sind in diesem Jahr die Geehrten.

Am Arm von Altbundespräsident Joachim Gauck betritt Margot Friedländer die Bühne und Hetty Berg, die Direktorin des Jüdischen Museums, empfängt mit freundlichen Worten die Geehrten, die Laudatoren und die zahlreichen Gäste im Glashof, die an fein gedeckten Tischen zum Dinner Platz genommen haben.

Michael W. Blumenthal, 98jährig, war siebzehn Jahre lang Direktor dieses neu errichteten Jüdischen Museums im Jahr 2001. Er ist aus den USA nach Berlin gereist, in zwei Tagen wird er ein neues Buch vorstellen. Der Architekt dieses großartigen Gebäudes, Daniel Libeskind, ist unter den Gästen zu sehen, auch er ist aus New York gekommen. Politiker und Künstler und viele andere Mäzene sind von weitem zu erkennen. Zwei frühere Preisträger:innen sehe ich, die Nobelpreisträgerin und Schriftstellerin Herta Müller und den Pianisten und politischen Aktivisten Igor Levit. Sicherlich sind noch andere Preisträger unter ihnen. Der Israelische Botschafter in Berlin Ron Prosor nimmt gerade Platz und Dr. Felix Klein, der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus.

Baron Eric de Rothschild kommt aus Paris und hält eine interessante und lobende Laudatio auf die französische Rabbinerin Delphine Horvilleur. Sie wurde 1974 in Nancy geboren, lebt heute mit Ehemann und Kindern in Paris. Medizin studierte sie einige Semester an der Hebräischen Universität in Jerusalem, wurde dann in Frankreich zur Journalistin ausgebildet. Für den Sender France 2 arbeitete sie in Paris, Jerusalem und New York. Die Rabbinerausbildung folgte in den USA und seit 2008 ist sie Rabbinerin des Judäisme En Mouvement, der jüdisch-liberalen Bewegung in Frankreich. Als Persönlichkeit im seelsorgerischen-sozialen Leben in Frankreich wird sie verehrt, bringt Menschen mit unterschiedlichen Religionen zusammen und setzt sich für deren Belange ein. Ihre schriftstellerischen Arbeiten sollten gelesen werden. Einige Bücher wurden bereits ins Deutsche übersetzt. Sie ist Gründungsmitglied des Vereins der französischsprachigen liberalen Rabbiner und Chefredakteurin der Online Zeitschrift TENON’A für jüdische Denkart. Eine lebendige Erzählerin mit lachenden Augen und Humor steht am Pult und hält ihre Dankesrede. Ein starker Beifall der Gäste folgt.

Im Jahr 2012 wurde der Evangelische Theologe Joachim Gauck zum Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Die Amtszeit beendete er nach vier Jahren. Seine Laudatio auf Margot Friedländer beginnt er mit den Worten „Was für ein schöner Tag“. Eine Laudatio auf eine sehr alt gewordene Überlebende, die uns mit 103 Jahren leidenschaftlich gegen Antisemitismus und Rassismus motiviert. Sie ist die letzte Zeitzeugin… Es ist eine Gnade, wenn Menschen wie sie zurückkommen. Sie ermutigt uns, der Vergangenheit ins Gesicht zu schauen.

Margot Friedländers Buch, das sie mit Malin Schwerdtfeger geschrieben hat, „Versuche Dein Leben zu machen“, muss man gelesen haben, um zu erfahren, was diese Überlebende des Holocaust erlitten hat und wie sie mit einem großen Willen und großer Kraft überlebte. 1921 wird sie in Berlin als Margot Bendheim geboren. In der Nazizeit stirbt der Vater im Vernichtungslager. Mit Mutter und Bruder bereitet sie eine Flucht aus Berlin vor. Zwischenzeitlich wird Bruder Ralph deportiert und die Mutter begleitet ihn, lässt ihren Sohn nicht alleine. Beide werden in Auschwitz ermordet. Auf einem wunderschönen Kinderfoto in Margots Buch sind die beiden Geschwister zu sehen. Margot taucht unter, doch im April 1944 wird sie von der Gestapo geschnappt und nach Theresienstadt deportiert. Sie überlebt, begegnet einem Berliner Freund im Lager, sie heiraten und 1946 beginnen beide ein neues, ein freies Leben in New York. Nach dem Tod ihres Ehemannes zieht sie 2010 endgültig nach Berlin in die Stadt ihrer Geburt zurück.

In Schulen ist sie unterwegs und erzählt den Kindern und jungen Menschen über ihr Leben damals, bekommt Preise und Orden, sogar den Dr. h.c.

Foto: C. Wollmann-Fiedler

Das kleine schmale, sehr elegant gekleidete Persönchen, steht am Pult und dankt mit leiser Stimme ihrem Laudator Joachim Gauck für die wunderbaren Worte. Sie ist stolz in dieser Stadt geboren worden zu sein. „New York ist mein Zuhause, aber Berlin ist meine Heimat“. Sie spricht nicht nur für die Juden, sie spricht für alle Menschen, die ermordet wurden. Die heutige intolerante Zeit erwähnt sie. Ihre Margot-Friedländer-Stiftung macht in ihrem Sinne weiter, wenn sie nicht mehr ist.

Die Mutter gibt ihr in der schrecklichen Zeit einen Rat fürs Leben „Versuche Dein Leben zu machen“. Es wurde zur Lebensmaxime dieser wunderbaren 103 Jahre alten Dame. Ich verneige mich vor ihr.