Endlich erschien die zweite Ausgabe der „Hallischen Jahrbücher“, die „Nach dem 7. Oktober“ als besonderen Schwerpunkt hat. Mit linker Ideologiekritik werden immer wieder gekonnt linke Stereotype zum Thema kritisiert.
Von Armin Pfahl-Traughber
Die „Hallischen Jahrbücher“ wurden zwischen 1838 und 1843 von Arnold Ruge herausgegeben. Sie sollten damals ein publizistisches Forum für republikanische Positionen schaffen, was mit einer linkshegelianisch geprägten Gesellschafts- und Staatskritik einherging. Indessen beendeten zunächst Beschlagnahmungen phasenweise das Projekt und dann endgültig ein einschlägigen Verbot. 2021 erschienen neue „Hallische Jahrbücher“, der Band 1 mit „Die Untiefen des Postkolonialismus“ betitelt. Darin fanden sich aus linker Blickrichtung ideologiekritische Einwände gegen die damals aufkommende linke „Postkolonialismus“-Welle. In den folgenden Jahren erschien aber kein Nachfolgeband mehr, sodass der Eindruck von einem einmaligen Projekt entstand. Erst 2024 gab es eine Fortsetzung mit „Hallische Jahrbücher“ #2, hier mit dem Coveraufdruck „Das Zeitalter des Populismus“. Auch darin fühlen sich die Autoren eben der Kritik als Motto verpflichtet. Und diese Ausgabe ist ebenso voll von in Form und Inhalt unterschiedlichen Texten.
Gleich der ersten Beitrag von Jan Gerber über „Das Zeitalter des Populismus. Zur Vorgeschichte der Gegenwart“ füllt über hundert Seiten. Darin will der Autor politische Entwicklungen analysieren, jeweils bezogen auf Deutschland, Polen und die USA. Wie kam es dort zu dem Aufstieg eines Rechtspopulismus, so lautet seine erkenntnisleitende Fragestellung eben für die einschlägigen Länderstudien. Erfreulicherweise wird auf platte Gleichsetzungen mit den „Nazis“ verzichtet, was meist wenig für politische Unterscheidungsfähigkeit und historische Urteilskraft stehe. Gerber will vielmehr auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen blicken, wobei er die gewollte Krise des Sozialstaats hervorhebt. Denn die sozioökonomische Entwicklung sei der entscheidende Faktor, welcher auch für eine Gegenstrategie ökonomische Veränderungen nötig mache. Der Autor sieht dafür aber auch keine realen Potentiale. Der Ansatz ist weder komplex noch neu, gleichwohl vielen linken Stereotypen gegenüber haushoch überlegen.
Mit diesem Beitrag endet aber schon im Jahrbuch das Populismusthema, beschäftigten sich die folgenden Abhandlungen doch meist mit den Folgen des 7. Oktober 2023. Und hierzu findet man kürzere wie längere Betrachtungen, mal essayistisch, mal strukturierter. Da geht es etwa um die Ausrichtung einer anderen Kriegsführung, die Israel nach Björn Stritzel aufgezwungen wurde. Oder es wird auf das Agieren mit „offenen Briefen“ von Lukas Sarvari, einhergehend mit Reflexionen zu deren Sinngehalt verwiesen. Und dann gibt es Einwände gegen eine moralische Friedensrhetorik von Samuel Salzborn. Man findet aber auch ein Interview mit Christoph Türcke, der darin die linke Inflationierung des „Rassismus“ thematisiert. Dem folgen Gedichte und Zeichnungen, wozu man mit einer gewissen Berechtigung nach deren Notwendigkeit fragen darf. Danach finden sich ältere Interviews, etwa eines mit dem bekannten Antisemitismusforscher Léon Poliakov, der bereits 1989 auf den „Antizionismus“ als neue Form einer transformierten Judenfeindschaft verwies.
Und ganz am Ende gibt es übersetzte Texte, jeweils mit einer Einführung zum inhaltlichen Zusammenhang versehen. Da geht es einmal in einer älteren Abhandlung von 2015 um die Entwicklung an amerikanischen Universitäten, welche bereits damals heutige Ereignisse erwarten ließen, so jedenfalls Greg Lukianoff und Jonathan Haidts, und etwa die Trigger-Warnungen beinhalteten. Es folgt auch eine Auflistung von Dingen, die nicht in Gaza um einer besseren Zukunft willen geschehen sollten. Dieser letzte Beitrag von Richard Goldberg nennt wichtige Kriterien, wenngleich sie sich angesichts der dortigen Realitäten in der Praxis wohl nur schwerlich umsetzen lassen. Durch die israelfeindliche Agitation ist die dortige Bevölkerung aufgehetzt, die Ausschließung der Hamas wird primär nicht zur Lösung führen. Bilanzierend betrachtet liegt mit „Hallische Jahrbücher #2“ erneut eine lesenswerte Textsammlung vor. Erfreulich sind immer wieder die ideologiekritischen Ansätze, die auf Blindheiten und Leerstellen der Linken verweisen, ohne aber dabei in plattes Bashing wie eher von konservativerer Seite zu verfallen. Man darf gespannt auf Band #3 warten.
Christoph Beyer u. a. (Hrsg.), Hallische Jahrbücher #2. Schwerpunkte: Das Zeitalter des Populismus, Nach dem 7. Oktober, Berlin 2024 (Edition Tiamat), 404 S., Bestellen?