Anetta Kahanes Kolumnen über die Reparatur der Welt
Von Ramona Ambs
„Es gibt Menschen, denen die Grausamkeit da draußen nichts anhaben kann, weil die Tür ihrer kleinen Welt so fest verschlossen ist, dass sie nichts davon wissen. Dann gibt es jene, die nichts davon wissen wollen, die mit einem Achselzucken „ja, furchtbar alles“ murmeln und das Bekenntnis, schon lange keine Nachrichten mehr zu sehen, für einen Ausdruck ihrer Sensibilität halten. Schließlich gibt es noch jene, die nur das eigene Leid sehen, nur den eigenen Schmerz fühlen. Und dann gibt es Menschen wie Anetta Kahane. Ihre Haut ist dünner. Sie können sich vor dem Grauen der Welt nicht schützen. Sie ertragen Unrecht nicht und können gar nicht anders, als sich einzumischen. Sie schreien auf und erinnern uns daran, dass wir unseren eigenen Teil dazu beitragen müssen, für mehr Recht und Menschlichkeit zu sorgen. Menschen wie sie sind Ruhestörer. Sie lassen uns einfach nicht in Ruhe, wenn wir wegschauen wollen, egal wo Unrecht passiert.“ So startet das von Esther Shapira verfasste Vorwort zum Buch „Von Nazis und Forellen – Kolumnen über die Reparatur der Welt“ von Anetta Kahane, das gerade bei Hentrich & Hentrich erschienen ist. Und tatsächlich findet sich dieser Aufschrei für Gerechtigkeit und Menschlichkeit in jedem der Texte, die ursprünglich zwischen 2009 und 2024 in der Berliner Zeitung, der Frankfurter Rundschau bzw. auf Belltower.News erschienen sind.
Besonders die frühen Texte machen deutlich, was bereits vor vielen Jahren schief lief in diesem Land, in dem sich die antisemitischen Querfronten schon früh zu dem zusammenschlossen, was wir heute, nach dem 7.Oktober, als judenhassenden Mob auf den Straßen und an den Universitäten oder im Kulturbetrieb erleben müssen. So schreibt Kahane bereits 2010: „Vor wenigen Jahren wurden die Juden noch verschämt „Deutsche jüdischen Glaubens“ genannt, der Antisemitismus fühlte sich anders an als heute. Es war die Zeit nach dem 11. September 2001, zu Beginn des Irakkriegs und einer Kontroverse um Israel. Kaum eine Gesprächsrunde kam ohne Aggressivität gegenüber den Juden, der „Israel-Lobby“, ihrer Rolle bei den Neocons, an der Wall Street oder in den Medien aus. Die alte Figur des jüdisch-kapitalistisch-imperialistischen Drahtziehers, der zwischen den USA und Israel voll Bosheit Völker (wie das palästinensische) unterdrückt, trat wieder ans Tageslicht, gelegentlich beglaubigt von jüdischen Kronzeugen.“
Viele ihrer Analysen wirken aus heutiger Sicht geradezu hellsichtig- und machen vor allen Dingen nochmal deutlich wo und in welchen Millieus der Antisemitismus, – aber auch Rassismus und Menschenhass in diesem Land auf welche Weise gedeihen konnte.
Die Kolumnen sind eingebettet zwischen der Geschichte der drei Rabbiner, deren Ratlosigkeit und Verzweiflung ob des Zustands der Welt in einem kurzen atheistischen Moment gipfelt, bevor man sich dann des Bundes mit Gott wieder besinnt – was im Epilog motivisch wieder aufgenommen wird… und sich so eben wieder dem zuwendet, was unsere Aufgabe in dieser Welt ist: Tikkun Olam.
„Ruhestörer wie Anetta Kahane sind heute nötiger denn je“, schreibt Esther Shapira am Ende ihres Vorworts. Ich fürchte, sie hat recht.
Die versammelten Kolumnen zur Rettung der Welt werden die Welt zwar nicht alleine retten können, aber sie können uns ganz sicher dabei helfen.
Anetta Kahane, Von Nazis und Forellen. Kolumnen über die Reparatur der Welt, Hentrich & Hentrich 2024, 254 S., Euro , Bestellen?