„Seit der Zäsur des 7. Oktobers keine Atempause“

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2023 Anlässlich des bevorstehenden ersten Jahrestags des 7. Oktobers 2023 zeigt sich Benjamin Steinitz, Geschäftsführer des Bundesverbands RIAS, besorgt angesichts des anhaltend hohen Niveaus antisemitischer Vorfälle und warnt vor einer Normalisierung des Antisemitismus. Dazu erklärt Steinitz:

„Der 7. Oktober und die brutalen Angriffe durch die Hamas und andere Terrororganisationen, bei denen Hunderte Menschen ermordet, vergewaltigt und verschleppt wurden, bedeuten eine Zäsur im Leben von Jüdinnen und Juden weltweit. RIAS-Meldestellen dokumentieren bundesweit auch ein Jahr nach dem 7. Oktober antisemitische Vorfälle auf einem erheblich höheren Niveau als zuvor. Noch während der Massaker des 7. Oktobers kam es zu ersten antisemitischen Reaktionen in Deutschland. Bis heute werden sie als Anlass genommen, sich antisemitisch zu verhalten. Doch nicht nur in Deutschland, sondern weltweit wurde und wird die genozidale Gewalt der Massaker geleugnet, bagatellisiert oder als ‚legitimer Widerstand‘ verherrlicht. Auch die Mobilisierung zu israelfeindlichen Versammlungen, bei denen es immer wieder zu antisemitischen Vorfällen kommt, hält an. Regelmäßig kommt es hierbei zudem zu gewaltsamen Übergriffen gegen Journalistinnen und Journalisten und zur Verbreitung von Falschinformationen.

Für Jüdinnen und Juden gibt es seit der Zäsur des 7. Oktobers keine Atempause. Der sprunghafte Anstieg antisemitischer Vorfälle prägt bis heute den Alltag jüdischer Communities und schränkt ein offenes jüdisches Leben weiter ein. Am Arbeitsplatz, im Wohnumfeld, in Schulen aber auch auf Social-Media-Plattformen wird seitdem antisemitischer Hass sichtbarer als zuvor. Erschreckend ist das gesamtgesellschaftliche Ausmaß des Antisemitismus bis hinein in die Universitäten.

Nicht zuletzt ist das Sicherheitsempfinden von jüdischen Communities durch Vorfälle extremer Gewalt, insbesondere aus dem islamistischen Spektrum, massiv gestört. Sowohl der Terroranschlag von Solingen im August 2024 als auch der versuchte Anschlag von München auf das israelische Konsulat und das NS-Dokumentationszentrum am Jahrestag des Olympia-Attentats im September 2024 sind antisemitisch motiviert gewesen. Das antisemitische Motiv in Solingen spielte dabei in der öffentlichen Debatte kaum eine Rolle.

Antisemitismus wird weiter normalisiert, wenn er nicht deutlich als solcher benannt wird. Doch in der öffentlichen Debatte spielt dieser kaum noch eine Rolle. Auch die antisemitischen Massaker vom 7. Oktober und ihre Auswirkungen für jüdische Communities weltweit werden immer weniger thematisiert. Die unterschiedlichen Sichtweisen von Betroffenen, deren alltägliche Erfahrungen werden in der Mehrheitsgesellschaft nur unzureichend wahrgenommen. Zudem sind die Stimmen der Anteilnahme und Solidarität vielfach verstummt. Die tiefgreifenden Einschnitte des 7. Oktobers spürt nur ein Teil der Gesellschaft.

Das hohe Niveau antisemitischer Vorfälle muss ein Weckruf für die Mehrheitsgesellschaft sein: Antisemitismus muss konsequent in allen gesellschaftlichen Bereichen geächtet und bekämpft werden. Es muss auch jenseits des Jahrestages mehr über den Anstieg antisemitischer Vorfälle und die Auswirkungen antisemitischer Gewalt gesprochen werden, die Jüdinnen und Juden seit dem 7. Oktober erfahren.
Auch die Bundespolitik ist in der Pflicht konkret Solidarität mit Jüdinnen und Juden zu zeigen. Doch auch ein Jahr nach dem 7. Oktober ist ein interfraktioneller Entschließungsantrag zur Antisemitismus-Bekämpfung noch immer nicht zustande gekommen.

Nicht zuletzt will ich an die Ermordeten und Verletzten der Massaker des 7. Oktobers erinnern und bin in Gedanken bei ihren Angehörigen sowie den ein Jahr später noch immer gefangenen Geiseln. Als Bundesverband RIAS stehen wird solidarisch an der Seite aller Jüdinnen und Juden sowie von Antisemitismus Betroffenen.“

Über den Bundesverband RIAS: Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e. V. ist der Dachverband der RIAS-Meldestellen und verfolgt das Ziel einer einheitlichen Dokumentation antisemitischer Vorfälle auf Grundlage der IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus. Die RIAS-Meldestellen erfassen bundesweit antisemitische Vorfälle über- und unterhalb der Strafbarkeitsgrenze, vermitteln Unterstützung an Betroffene. –> https://report-antisemitism.de/