Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Gesetz

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Ausstellungsraum im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg mit Stücken unklarer Herkunft (2017), Foto: Nightflyer / CC BY-SA 4.0

Zur Neuregelung der Restitution von NS-Raubkunst

Selbstkritik wirkt manchmal wie ein reinigender Regen. Die Mängel an der Beratenden Kommission zu NS-Raubkunst waren „systembedingt“ – das schrieb die Kommission zuletzt selbst. Die Früchte ihrer zwanzigjährigen Arbeit waren dementsprechend überschaubar. Dabei geht es bei der Restitution von durch die Nationalsozialisten gestohlenen Kunstwerken doch eigentlich nicht um Bürokratie, um Rechtsvorschriften oder Aktenvermerke. Zumindest sollte es das nicht. Und es geht auch nur selten um bedeutende Werke der Kunstgeschichte. Es geht vielmehr um Würde und um Identität. Kunst spielt für viele Familien in dem Blick auf ihre eigene Geschichte und Herkunft eine große Rolle. Es ist der Kern der Erinnerungskultur, dass Wunden, die vielleicht niemals gänzlich heilen, aber erträglicher gemacht werden können. Die Restitution von NS-Raubkunst in Deutschland wurde nun auf der Kulturministerkonferenz reformiert. Der Zentralrat der Juden und die Jewish Claims Conference haben in den Verhandlungen die jüdischen Interessen vertreten.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, betrachtet das Ergebnis differenziert: „Die Neuregelung der Restitution von NS-Raubkunst auf ein paritätisches Schiedsgericht, auf die sich heute Bund und Länder geeinigt haben, ist erstmal eine gute Nachricht und ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem allgemein – und damit auch für private Fälle – bindenden Restitutionsgesetz. Ein solches gibt es bereits in anderen europäischen Ländern und sollte auch in Zukunft der Maßstab für die Bundesrepublik Deutschland sein. Am Ziel sind wir noch nicht. Aber ich erwarte durch die Neuregelung eine neue Dynamik für die Restitution von NS-Raubkunst. Bereits heute werden nun zumindest staatliche Stellen auf die Anrufung der Schiedsgerichtbarkeit mit einem Verwaltungsabkommen verpflichtet. Der Fall des Picasso Gemäldes Madame Soler aus der Gemäldesammlung Bayern wird vor die Schiedsgerichtsbarkeit kommen können und ein solcher Fall kann sich nicht wiederholen. Im Sinne einer fairen und gerechten Lösung wird in Zukunft der Richterpool mit internationalen Juristen und Historikern hälftig von der jüdischen Gemeinschaft und dem Staat benannt.“

Zentralrat der Juden in Deutschland, Berlin, 9. Oktober 2024 / 7. Tischri 5785

NACH FAST 80 JAHREN EIN WICHTIGER SCHRITT IN RICHTUNG EINES RESTITUTIONSGESETZES FÜR HOLOCAUST-ÜBERLEBENDE UND ERBEN IN DEUTSCHLAND

Die Conference on Jewish Material Claims Against Germany (Claims Conference) hat heute die ersten Schritte zu einem umfassenden Raubkunst-Rückgabegesetz in Deutschland begrüßt.

Lange gab es nur für wenige Holocaust-Überlebende, Opferfamilien und Erben einen fairen Weg, die Rückgabe von Kulturgütern in Deutschland einzufordern. Jetzt haben sich die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth, die Länder und Kommunen darauf geeinigt, ein neues Verfahren zu etablieren, um das bestehende System zu verbessern. Bisher mussten beide Parteien zustimmen, die Beratende Kommission anzurufen.  Nach der neuen Regelung sind staatliche Museen verpflichtet, an einem Schlichtungsverfahren teilzunehmen, wenn keine Einigung zwischen der Opferseite und den Museen erzielt werden kann. Die Entscheidungen der Schiedsgerichtsbarkeit sind bindend. Die Richter der Schiedsgerichtsbarkeit werden paritätisch von Vertretern der deutschen Regierungsebenen, der Claims Conference und dem Zentralrat der Juden in Deutschland besetzt.

„Fast 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist die Entscheidung von BKM, Ländern und Kommunen für die Schiedsstelle ein wichtiger Schritt hin zu einem umfassenden Restitutionsgesetz“, sagt Rüdiger Mahlo, Repräsentant der Claims Conference in Europa. Die Claims Conference setzt sich seit ihrer Gründung im Jahr 1951 für die Restitution und Entschädigung von Holocaust-Überlebenden ein. Die Organisation war an den vorbereitenden Verhandlungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden über eine Neuregelung der bisherigen Restitutionspraxis beteiligt.

Mahlo wertet das Ergebnis der Verhandlungen als Durchbruch für den Zugang der Opfer zu fairen und gerechten Lösungen: „Der Beschluss befreit die Opferfamilien aus ihrer Bittsteller-Position, indem er die einseitige Anrufung des Schiedsgerichts ermöglicht, Beweiserleichterungen gewährt, dessen Entscheidungen Verbindlichkeit verleiht und eine paritätische Besetzung des Schiedsgerichts vorsieht. Jetzt muss sich diese Neuausrichtung der staatlichen Restitutionspolitik für die überlebenden Opfer des NS-Kulturraubs und deren Nachkommen bewähren.“

Mahlo betont aber auch, dass zentrale Aspekte wie die Verjährung und die Ersitzung weiterhin Restitutionen blockieren: „Für uns bleibt ein Restitutionsgesetz das Ziel. Nur auf der Grundlage eines Bundesgesetzes kann umfassende Gerechtigkeit und Rechtssicherheit erreicht werden. Und nur auf der Grundlage eines Bundesgesetzes haben die Angehörigen der Opfer die Chance, ihren Anspruch auf Rückgabe ihrer Kulturgüter auch dann durchzusetzen, wenn sie sich in privater Hand befinden, wie zum Beispiel bei Stiftungen, Versicherungen oder Banken.“ 

Gideon Taylor, Präsident der Claims Conference: „Wir begrüßen die Entscheidung von Bund, Ländern und Kommunen, den Umgang mit den Rückgabeansprüchen von Überlebenden der Shoah und ihren Nachkommen auf Raubkunst neu zu regeln. In ganz Europa haben die Nazis die Juden ihrer Kulturgüter beraubt. Dieser systematische Kunstraub war Teil der Shoah. Heute signalisiert Deutschland der Welt, dass es sich mit diesem Teil seiner Geschichte auseinandersetzen will. Allerdings brauchen wir weiterhin ein Restitutionsgesetz, das die bestehenden rechtlichen Hürden für die Antragsteller überwindet, damit die Opfer und ihre Familien Zugang zu einem fairen und gerechten Verfahren haben, wie es die Washingtoner Prinzipien zu NS-Raubkunst vorsehen.“

Der Executive Vice-President der Claims Conference, Greg Schneider, erklärte: „Die heutige Entscheidung der deutschen Regierung ist ein wichtiger erster Schritt für Überlebende, Familien und Erben weltweit, ihre Ansprüche auf Rückgabe von Raubkunst geltend zu machen. Bis heute waren die Hindernisse für geraubtes Kulturgut gegen die Überlebenden, die Familien der Opfer und die Erben gerichtet. Dies gibt ihnen die Möglichkeit, mit dem umzugehen, was vor 80 Jahren gestohlen und ihren Familien vorenthalten wurde. Aber jetzt muss der zweite Schritt – die Umsetzung eines Gesetzes zur Rückgabe von Raubkunst – erfolgen, um nach 80 Jahren ein gewisses Maß an Gerechtigkeit zu gewährleisten.“

Claims Conference, NEW YORK, BERLIN: 9. OKTOBER 2024