Und wieder ist es passiert

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Ein Freund meines Vaters rief mich an, um sich nach meinem Vater zu erkundigen. Nachdem dies geklärt war, fragte er mich, wie es mir denn gehen würde. Meine Antwort: es geht mir nicht gut, ich mache mir Sorgen, ob des Antisemitismuses, der ganzen politischen Lage und überhaupt. Die Antwort: Ich glaube nicht, dass die Gefahr von rechts so groß ist. Auch wenn die AFD 30 % erhält, wird sich an der Lage in Deutschland nichts ändern. Die Juden brachen sich keine Sorgen machen und müssen auch nicht weggehen.

Von Julia Goldberg

Ohne dass ich eine Chance hatte, darauf auch nur etwas zu erwidern, kam sofort weiter das Thema auf Israel. In etwa: also ich bin ja immer für Israel gewesen, aber was das Land da im Moment macht, das ist ja wirklich schlimm. Dieser Netanjahu, der nur um nicht ins Gefängnis zu müssen, sich mit den Falschen verbündet… Und was da Schlimmes in der Westbank passiert, das ist ja nicht zu ertragen.

Auf meinen Einwand, man sollte erstmal auf Gaza schauen und das Problem dort klären, bevor man auf die restlichen Probleme schaut und vor allem sollte man nicht alles gleichstellen und keine falschen Prioritäten setzen, kam sofort die Antwort: ich würde ja hier damit alles gleichsetzen, indem ich das sage.

So ging das Gespräch weiter und es hinterließ bei mir ein sehr ungutes Gefühl. Auch wenn dieser Freund ein sehr betagter Herr ist, mit dem ich am Telefon auch aufgrund des schlechten Empfanges und somit des schlechten Verstehens nicht streiten wollte, und der mir auch immer wieder beteuerte (und das weiß ich auch), dass er ein großer Freund Israels sei und immer hinter Israel gestanden hat, bin ich nach dem Gespräch schreiend und schimpfend durch mein Zimmer gelaufen.

Was ist also schiefgelaufen:

Ich wurde gefragt, wie es mir geht und auf meine Antwort wurde mein Befinden relativiert: die AFD ist nicht so schlimm, du musst hier nicht weggehen, so schlimm ist alles nicht. Hatte ich Sorgen wegen der AFD geäußert? Wie kommt eine Person dazu, mir zu sagen, ob ich Angst haben sollte oder nicht? Wieso entscheiden andere Menschen für mich, ob ich auswandern muss oder hierbleiben sollte?

Wieso haben einige Menschen das Bedürfnis, nach einer sehr subjektiven Antwort sofort die politische Handlungen Israels beurteilen zu wollen? Und wieso wird nicht erstmal das Entsetzliche thematisiert? Die Westbank und alles, was dort passiert, ist das Hauptthema. Und der Verbrecher Netanjahu wird in den Vordergrund gestellt. Andere Verbrecher scheint es wohl nicht zu geben.

Wie kommt es, dass Menschen, die eindeutig vor dem 07.10.23 pro- israelisch waren, sich so sehr von den Tatsachen abwenden? Ist das mit Antisemitismus zu erklären? Sind da möglicherweise andere Kräfte/Bilder/ feindliche Emotionen am Werk?

Und wieder stehe ich da und werde nicht ernst genommen. Und wieder stehe ich da und mir wird meine Angst, meine Befürchtung, mein Unwohlsein abgesprochen. Und wieder stehe ich da und weiß, ich habe einen Verbündeten weniger.