„Dank einer großzügigen Spende der Weisen von Zion und der Bill-Gates-Foundation haben sich die scharfsinnigsten und komischsten unter den jüdischen und nicht-jüdischen Autor*innen versammelt, um dem neuen und alten Antisemitismus die Stirn zu bieten.“ So der Satyr-Verlag in seiner Ankündigung dieses wirklich großartigen Bandes, der rund 80 Satiren, Essays, Gedichte, Geschichten und Cartoons zum Thema jüdisches Leben in Deutschland und Antisemitismus versammelt. Ganz herzlichen Dank möchten wir rufen, bei jedem dieser wunderbaren Texte! Humor und Satire scheinen uns schon seit geraumer Zeit der eigentlich einzig mögliche Umgang mit dem Wahnsinn. Seit dem 7. Oktober umso mehr.
Drei Herausgeber, Lea Streisand, Michael Bittner und Heiko Werning, sind für den Band verantwortlich, drei Herausgeber mit sehr unterschiedlichen Biografien, aber alle im Bereich der Lesebühne tätig, also an der „Schnittstelle von Theater und Literatur, Radio und Zeitung, Kleinkunst und Hochkultur“. Entsprechend vielfältig sind auch die einzelnen Beiträge.
Eröffnet wird der Band durch den titelgebenden Beitrag von Lea Streisand. Ein sehr persönlicher Text, klug und witzig erzählt, über die Wurzeln der Familie und ihre Traumata. Über den Moment als sie erstmals Antisemitismus auf der Bühne erlebte, im vergangenen November, und dem Umgang der Veranstalter. „Danach gab es ein Gespräch mit den Veranstaltern der Lesung. Alles täte allen wahnsinnig leid, man hätte auch gleich im Team gefragt: »Sind hier Antisemitisten?« Habe sich niemand gemeldet.“ Allein wegen diesem Text sollte man den Band lesen.
Aber er hält noch viele weitere Perlen bereit. Wie etwa Dmitrij Kapitelmans Ausflug in die Sonnenallee, mit einer kleinen, zwischenmenschlichen Frage: „Was denken eigentlich die arabischen Baklavabäcker, Süßigkeitenverkäufer und Konditoren der Sonnenallee? Was fühlen sie, wenn ihre Baklava symbolisch über Leichen geschmatzt wird?“
Oder Richard Schuberths 9 Punkte Liste, „Wie sich der verkappte Antisemit von heute die Antisemitismuskeule verbittet“. Punkt 5: „Ich kenne und schätze doch zu viele Juden, die keine Spekulanten, schmierigen Geschäftsleute, intellektuellen Besserwisser, antimuslimischen Rassisten, Palästinenserfolterer, Brunnenvergifter und Ritualmörder sind, als dass der Antisemitismusvorwurf bei mir greifen könnte.“
Vertreten ist auch Ramona Ambs, die zu unseren Stamm-Autorinnen gehört und unseren Lesern bestens durch ihre bissigen Satiren bekannt ist. Im Band fragt sie sich, ob die neuen Fragen aus dem deutsch-jüdischen Lebensbereich für den Einbürgerungstest nicht auch hilfreiche Rechtsberatung für Antisemiten sind. Elke Wittich denkt sich ins Jahr 2035 und lässt die Bundespräsidentin den Gedenkabend „am gerade fertiggestellten Denkmal zur Erinnerung an den untergegangenen Staat Israel“ resümieren.
Großartig, wie immer, auch Dana von Suffrin, die in „Tochter Zion“ über Antisemitismus und Antizionismus nachdenkt, auch in Verbindung zu ihrem Vater: „Seine Haltung, die Idee der absoluten Stärke einer jüdischen Nation, die sich unerbittlich gegen die feindlichen arabischen Nachbarn, die das ein oder andere Mal auch in München mordeten, verteidigen musste, kam uns vor wie eine Idee aus einer anderen Zeit – genauso wie unser Vater aus einer anderen Zeit kam.“
Jan Feddersen schreibt über Israel und den Eurovision Song Contest, eine Reise durch die Jahrzehnte der israelischen Teilnahme bis nach Malmö und der Tatsache, dass Eden Golan „von Künstlerkollegen gedisst, geschnitten und gemobbt wurde“. In mehreren Beiträgen taucht das „Pali-Tuch“ auf, wie etwa bei Volker Surmann, der sich erinnert: „Das Palituch gehörte zu einer gymnasialen Oberstufe dazu wie heute mintgrün gefärbtes Haupthaar.“ Damals war auch „Interrail machen“ die Chiffre für Abenteuer, Freiheit, Erwachsensein, wie Heiko Werning erzählt und von interessanten Begegnungen berichtet.
Volker Surmann lässt einen „Dahlemer Call for Peace in Palestine“, entstanden aus einem selbst verwalteten Symposium intersektionaler, genderqueerer, feministischer und antirassistischer Studierender verschiedenster Fachrichtungen, Colors und sexueller Identitäten, zu Wort kommen. Spoiler: „Als Wappentier des neuen Palästinas könnte man dann vielleicht ein regenbogenfarbenes Einhorn nehmen, träumt Koi: »Als Friedenssymbol der neuen, offenen, trans*freundlichen Kalif*in.«“
Alexander Estis fragt sich, was „jüdisches Leben“ ist und ob er überhaupt ein solches führt? „Wie mag er wohl aussehen, ein Tag in so einem jüdischen Leben? Zunächst ondulierst du dir vor dem Spiegel die Schläfenlocken, genüsslich an einem Stück Mazze herumnuckelnd, sodann trottest du in die Synagoge, wo du bis zum Abend unter den Chaverim Tacheles redest mit möglichst viel Chuzpe und Chochme, abends schaust du bei Rothschilds vorbei, um kurz die globale Wirtschaft zu kontrollieren, triffst dich dann mit den anderen von der zionistischen Weltregierung und lässt bei einem Glas Christenblut gemütlich den Tag ausklingen, bevor du vom Dach aus auf der Klarinette die Nacht herbeifiedelst?“
Viele weitere Texte, Gedichte, Cartoons und Karikaturen sind noch dabei. Jeder einzelne hat meine Laune gehoben und große Freude gebracht, dass es so viele kluge und witzige Autoren da draußen gibt. Und drei Menschen, die sie in einem Buch zusammengebracht haben. Eine unbedingte Leseempfehlung! (al)
Lea Streisand, Michael Bittner, Heiko Werning (Hrsg.): SIND ANTISEMITISTEN ANWESEND? Satiren, Geschichten und Cartoons gegen Judenhass, Satyr Verlag 2024, Hardcover, 384 S., 26,00 EUR, inkl. 20 farbiger Cartoon-Seiten, Bestellen?
Buchpremiere & Lesungen:
30. September, 20 Uhr: Pfefferberg Theater (Buchpremiere)
mit den Herausgebenden Lea Streisand, Michael Bittner und Heiko Werning sowie Bov
Bjerg, Alexander Estis, Franziska Hauser u .a., Musik von Danny Dziuk.
18. Oktober, 15:30 Uhr: Frankfurter Buchmesse, Leseinsel der unabhängigen Verlage
22. Oktober, 20 Uhr: Dorotheenstädtische Buchhandlung, Moabit