Juden in Landau an der Isar

0
496

Temporärer Zufluchtsort für Shoa-Überlebende aus Osteuropa

Von Jim G. Tobias
Erschienen bei: after-the-shoah.og

Menachem Goldraich kam am 31. August 1946 im Kreiskrankenhaus Landau/Isar zur Welt. Seine Eltern, Viktoria und Leon, waren jüdische Polen, die aus ihrer Heimat geflüchtet waren und in der niederbayerischen Stadt ein vorübergehendes Zuhause fanden. Doch bleiben wollte keiner; alle Juden warteten sehnsüchtig auf eine Emigration nach Übersee oder Palästina. Offensichtlich war sich das junge Paar nicht einig, wohin die Reise gehen sollte. Leon gelang es, die nötigen Papiere für eine Übersiedlung in die USA zu erlangen; er verließ Deutschland via Bremen im Dezember 1949 mit der USS General McRae in Richtung New York. Viktoria und Menachem immigrierten nach der Gründung Israels im Mai 1948 in den jüdischen Staat. Im Oktober 1951 reisten Mutter und Kind jedoch erneut nach Deutschland ein und wurden im letzten jüdischen Flüchtlingslager Föhrenwald bei Wolfratshausen untergebracht. Nach zwei Jahren quälenden Wartens erhielten Viktoria und Menachem im Januar 1953 die Erlaubnis, im Rahmen der Familienzusammenführung in die USA einzureisen. Auf Initiative von Leon war die kleine Familie nun nach langer Trennung endlich wieder vereint.

Solche oder ein ähnliches Schicksal ereilte viele Juden nach 1945. Sie hatten in den NS-Lagern, im Untergrund, bei den Partisanen oder in der Sowjetunion überlebt. Für sie gab es in Europa keine Zukunft mehr. Die Mehrheit von ihnen stammte aus Polen; sie hatten sich nach dem deutschen Überfall in die Sowjetunion retten können und wollten nach Kriegsende wieder in ihre Städte und Dörfer zurückkehren. Doch den Heimkehrern schlugen Ablehnung und Hass entgegen, die sich zu offenen Pogromen auswuchsen. Diese Gewaltexzesse ereigneten sich nicht nur in Polen, sondern auch in anderen osteuropäischen Ländern, wie etwa in der Ukraine, in Ungarn oder der Slowakei.

Waren schon vor diesen Gewalttätigkeiten viele Shoa-Überlebende nach Westen geflohen, so kam es nun zu einer panischen Fluchtwelle in die Sicherheit der US-amerikanischen Besatzungszone in Deutschland. In der Nachkriegszeit hielten sich bis zu 200.000 osteuropäische Juden im besetzten Deutschland auf, die in zahlreichen Massenlagern, wie etwa in Deggendorf, Föhrenwald, Landsberg oder Pocking einquartiert wurden. Aber auch in vielen Städten und Dörfern gründeten sich temporäre Gemeinden, wie etwa in Landau an der Isar, hier waren die Menschen in Privatunterkünften untergebracht.

In diese kleine niederbayerische Stadt, in der seit Jahrhunderten keine jüdische Gemeinde mehr existierte, verschlug es auch die Brüder Oscar und Leon Merzel. Eine vorübergehende jüdische Nachkriegsgemeinde ist ab August 1946 in Landau nachweisbar. Oscar und Leon amtierten zeitweise als Vorsitzende dieser Gemeinschaft, die anfänglich aus 24 Personen bestand und bis zum Dezember 1946 auf über 70 Mitglieder anwuchs. Auf Anordnung der amerikanischen Militärregierung musste der Eigentümer des Gasthauses „Weißes Rössl“ einige Zimmer und die Gaststube für die Juden freimachen. Dort richtete die jüdische Gemeinde ihr Büro und eine Betstube ein.

Während die Juden auf Möglichkeiten zur Auswanderung warteten, wurden mindestens vier jüdische Kinder in Landau geboren. Auch Leon Merzel hatte zwischenzeitlich eine Familie gegründet und mit seiner in Warschau gebürtigen Frau Pola, die zunächst in der Jüdischen Gemeinde in Altötting lebte, einen Sohn bekommen. David wurde im Februar 1947 in Landau geboren – seine Geburt vom örtlichen Standesamt dokumentiert. Die Familie wollte zunächst nach Israel auswandern und hatte 1949 schon alle Formalitäten erledigt; doch letztlich entschied man sich um, denn in Israel herrschte Krieg, die arabischen Nachbarn wollten den jüdischen Staat auslöschen. Mit Hilfe der US-Hilfsorganisation JOINT gelang es Leon, Pola, David und dem Bruder Oscar Merzel 1950 Papiere für die Auswanderung nach Australien zu bekommen.

Bereits im Herbst 1947 hatte die jüdische Gemeinschaft in Landau ihre Unabhängigkeit verloren und wurde mit der größeren Gemeinde in Plattling zusammengeschlossen. Doch aufgrund der massiven Abwanderung löste sich auch Plattling im Jahr 1951 endgültig auf.

Da die Quellenüberlieferung lückenhaft ist, liegen keine Informationen vor, wie lange und wie viele Juden letztlich in Landau lebten und wie das Alltagsleben aussah. Lediglich ein Kulturereignis ist dokumentiert: Die „Mobil Film-Unit“ des JOINT zeigte im November 1947 den jiddischen Spielfilm „Eli-Eli“, der die Auswanderung in die USA thematisiert und daher auf großes Interesse stieß. „Wir bitten daher recht herzlich so oft es Ihnen möglich ist, weitere die jüdische Kreise interessierende Filme vorführen zu lassen“, schrieb der Gemeindevorstand auf Deutsch in einem Dankesbrief. Eine Emigration in die USA stand bei nicht wenigen Shoa-Überlebenden ganz oben auf der Wunschliste – auch einigen Juden aus Landau gelang die Übersiedlung ins „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“.

Die temporäre jüdische Gemeinde mit bis zu 75 Mitgliedern, die überall in der Stadt einquartiert waren, hat sich im kollektiven Bewusstsein der örtlichen Bevölkerung kaum niedergeschlagen. Es besteht demnach noch erheblicher Forschungsbedarf! – (jgt)