Einen heißen Sommertag hatten wir in Berlin an einem Montag, am 12. August 2024 und das Erinnern an das Vorjahr wird wach. Vor dem Bahnhof Grunewald in Berlin sitzen Gäste, blicken auf die im Frühjahr aufgestellte neue BücherboXX und erinnern sich zusammen an die schlimme Tat vor einem Jahr, die an diesem Ort geschah. Die 13 Jahre alte vielbesuchte BücherboXX mit vielen Büchern zu jüdischen Themen ausgestattet und der Videobox mit komponierter jüdischer Musik und hebräischen Liedern von Tal Koch und die vorgelesenen Gedichte von Irene Aselmeier wurden bei Nacht, vom 11. zum 12. August 2023, von einem Nazi zerstört, ausgebrannt bis zu einem Kohlehaufen.
Von Christel Wollmann-Fiedler
Konrad Kutt, der Erfinder dieser und anderer BücherboXXen war am Morgen auf dem Weg, um Brötchen zu kaufen. Er streifte die Bücherbox und war entsetzt. Die verkohlte BücherboXX war sein Lebenswerk. Die Tränen konnte er kaum unterdrücken. Wieder kamen die Tränen an diesem hochsommerlichen Tag am Fuße von Gleis 17, dem Erinnerungsort an die Deportationen in der berüchtigten Nazizeit, als er das Publikum begrüßte und die eingeladenen Damen und den Herrn und uns das Geschehen vom Vorjahr in kurzen Zügen versuchte zu erklären. Ein Anschlag auf die Gesellschaft, auf das Judentum hat dieser 63jährige Nazi begangen. Der Brief mit irrem und krudem Inhalt hatte er hinterlassen. Auf dem Gericht vor Wochen wurde er als schuldunfähig freigesprochen, trotz mehrerer Anschläge!
Der 83jährige Berufs- und Wirtschaftspädagoge Konrad Kutt ist mit seinem ehrenamtlichen Tun seit Jahren berufspädagogisch orientiert mit der Nachhaltigen BücherboXX verbunden. „Erinnern durch Lesen“.
Konrad Kutt sprach über die derzeitigen Probleme in der Welt, auch über Israel, über die vielen Toten am 7. Oktober des vergangenen Jahres und die Geiseln, die noch heute auf ihre Befreiung warten. Wir hoffen, dass sie noch leben. Beim Brand der Bücherbox wurde kein Mensch getötet, im Gegensatz zu dem Überfall der Hamas am 7. Oktober. Auch in Berlin finden weitaus schlimmere Dinge fast täglich statt. Rassismus und Antisemitismus ist bereits an der Tagesordnung.
Das Haus der Geschichte in Bonn hat das verkohlte Gerippe, die ausgebrannte BücherboXX, nach Bonn geholt. In der Ausstellung „Antisemitismus“ soll sie gezeigt werden. Im Februar 2024 wurde die neue BücherboXX mit der Friedenstaube oben an der Haube aufgestellt. Ein Benefizkonzert im letzten Jahr und Spenden ermöglichten diese wunderbare neue BücherboXX.
Die Musikergruppe Stefan Weitkus & Kleinod trug mit Temperament ihre selbstkomponierten Musikstücke vor, die mehrmals mit ihrer Musik zwischen Gesprochenem und am Ende des wichtigen und gelungenen Gedenkens spielten und sangen.
Dr. Felix Klein ist Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung. Er erzählte aus seinem Erfahrungsschatz und seiner täglichen Arbeit. Hass auf Jüdinnen und Juden sind seine Hauptaufgabe. Die Erinnerungskultur in Deutschland ist hart erkämpft. Jung ist die Kultur und schon müssen wir sie wieder verteidigen. Auf seiner Homepage ist zu lesen: „Es bleibt eine fortwährende und immer wieder neue Aufgabe, den Antisemitismus zu bekämpfen. Denn Antisemitismus wendet sich nicht nur gegen jüdische Menschen. Er ist Ausdruck einer zutiefst demokratiefeindlichen Haltung und lehnt die Errungenschaften unserer modernen, freiheitlichen Gesellschaft ab“.
Die Politikwissenschaftlerin und Vorsitzende des Ausschusses für Bürgerdienste und Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, Frau Dr. Claudia Buß und die Chefkuratorin der Moses Mendelssohn Stiftung Frau Dr. Elke-Vera Kotowski trugen ihr Wissen und ihre Erfahrungen und Wünsche emotional vor. Großer Applaus war der Dank. Gäste kamen aus Berlin oder waren als Berlinreisende von weiter her gekommen. Eine Dame war sehr weit gereist. Majda Drnovšek kam aus Ljubljana in Slowenien und hörte interessiert zu. In den ARD Tagesthemen um 22:15 Uhr konnten die interessierten Menschen in Deutschland und anderen Ländern die hochsommerliche Gedenkveranstaltung auf dem Bildschirm verfolgen.
Die Archivbox enthält erneut Texte und Jüdische Lieder von Tal Koch. Berufsschüler haben ein Projekt der Arisierung erarbeitet und den Text auf die Videobox gesprochen. Die Vorbeigehenden können wie in all den Jahren Bücher leihen, neue hineinstellen und die gesprochenen Aufnahmen und die Lieder anhören. Über den großen Lautsprecher hörten wir gemeinsam den von Gabriele Kutt vorgelesenen kompletten Brief, den Anne Frank am 15. Juli 1944 in ihrem Tagebuch an die erfundene Freundin Kitty geschrieben hat. Ein Brief an die Jugend. Auch dieses Buch steht in der Bücherbox.
…„Es ist ein Wunder, dass ich nicht alle Erwartungen aufgegeben habe, denn sie scheinen absurd und unausführbar. Trotzdem halte ich an ihnen fest, trotz allem, weil ich noch immer an das Gute im Menschen glaube.“
Anne Frank, Tagebuch, Samstag 15. Juli 1944

Gemeinsam spazierten wir zum gastlichen Haus und Garten von Gabriele und Konrad Kutt, gleich um die Ecke. Das Mikrofon ist aufgestellt, ein Musiker spielt am Ende der Terrasse auf der Trompete und die Gäste im Garten werden einzeln vorgestellt. Frau Dr. Kodowski möchte sie kennenlernen. An dem Projekt BucherboXX sind fast alle seit Jahren beteiligt. Im Hintergrund duften die vorbereiteten Speisen, wie immer im Salon „KunstStücke Grunewald“.