Diverse Aufsätze, die sich auf den Antisemitismus bei Kollektiv und Subjekt beziehen, finden sich in einem Sammelband: „Warum Antisemitismus? Zur Politik der Judenfeindschaft im Spannungsfeld von Kollektiv und Subjekt“. Es werden meist in Anlehnung an die Kritische Theorie auch an aktuellen Phänomenen einschlägige Untersuchungen vorgenommen.
Von Armin Pfahl-Traughber
Antisemitismus ist Gegenstand unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen, wozu auch häufig in Kombination die Psychologie und Soziologie zählen. Bei derartigen Analysen kommt der Kontext, welche zwischen Kollektivgruppe und Subjekt besteht, besondere Relevanz für die Wirkung zu. Diese Einsicht motivierte wohl auch einen Sammelband zum Thema: „Warum Antisemitismus? Zur Politik der Judenfeindschaft im Spannungsfeld von Kollektiv und Subjekt“, herausgegeben von der Historikerin Anne-Maika Krüger und den beiden Politikwissenschaftlern Felix Kronau und Stefan Vennmann. Um es gleich zu Beginn der Rezension zu sagen, sei auf den fragmentarischen Charakter des Projekts verwiesen. Alle Aufsätze kreisen zwar um den erwähnten Komplex, haben aber unterschiedliche Ansätze und Themen. Insofern entsteht dadurch kein rundes Bild, man hat es eher mit Fragmenten zu tun, welche für besondere Forschungsbeiträge stehen. Kurzum, es liegen nicht immer verbundene Bausteinen für eine größere Gesamtsicht auf das Thema zu tun.
Gegliedert ist der Band in vier große Kapitel, wobei gleich zu Beginn ein von Friedrich Pollock gehaltener unbekannter Vortrag steht. Er war einer der Gründer des Instituts für Sozialforschung und ging mit ihren bekannten Protagonisten mit in die USA. Dort schrieb der Begründer einer besonderen Staatskapitalismustheorie 1944 einen besonderen Text, der mit „Politischer Antisemitismus“ überschrieben war und nach der Dokumentation inhaltlich gewürdigt wird. Irgendwie passt dieser Einstieg nicht ganz zum eigentlichen Sammelbandanliegen. Gleichwohl hat man es mit einem interessanten Beitrag zur Deutung der Judenfeindschaft zu tun. Mitunter können derartige ältere Ansätze noch gute und innovative Reflexionen zum Thema motivieren. Die Antisemitismusanalyse wird hier mit der Staatskapitalismustheorie thematisch verkoppelt, womit aber nur ein fragmentarischer Deutungsversuch gelingt, gleichwohl aber an die besondere Deutungsweise der Kritischen Theorie auch bezogen auf derartige Zusammenhänge erinnert wird.
Überhaupt prägt das Anknüpfen an die Frankfurter Schule viele der folgenden Texte, die meist von noch jungen Autoren aus den unterschiedlichsten sozialwissenschaftlichen Disziplinen stammen. Passend dazu ist ein Kapitel überschrieben mit: „Kritische Theorie als Voraussetzung einer Theorie antisemitischer Subjektivierung“, wo es um den Antisemitismus bei den Corona-Protesten mit entsprechender Deutung, aber auch um Adornos antipsychologische Psychologie oder den Begriff der Mimesis in der „Dialektik der Aufklärung“ geht. Dem folgen Beiträge unter „Zur Bildung antisemitischer Kollektive“ als Titel, etwa bezogen auf die Analyse antisemitischer Praxis, den Ansatz der „Politischen Religion“ und Antisemitismus als Krisennarrativ. Und schließlich findet man Abhandlungen zu „Die Politik des Antisemitismus zeitgenössisch betrachtet“, anhand der „Querdenker“-Bewegung, dem „queerfeministischen Diskurs“ und der Anthroposophie. Alle Beiträge setzen einschlägige Kenntnisse voraus, für gute Lesbarkeit stehen sie nicht unbedingt.
Stefan Vennmann/Anne-Maika Krüger/Felix Kronau (Hrsg.), Warum Antisemitismus? Zur Politik der Judenfeindschaft im Spannungsfeld von Kollektiv und Subjekt, Weilerswist 2024 (Velbrück Wissenschaft), 242 S., Euro 39,90, Bestellen?