Jewcy Movies

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Das Jüdische Filmfestival Berlin und Brandenburg zeigt in diesem Jahr 64 Jewcy Movies aus 17 Produktionsländern – vom Arthouse-Kino und Dokus über Thriller, Komödien und Klassiker bis hin zum Blockbuster. Die Filme sind mit leichter Hand und tiefer Betroffenheit, messerscharfer Analyse und Hochspannung inszeniert. Sie spiegeln den Facettenreichtum jüdischer Erfahrung – überraschend, nachdenklich, unterhaltend und befreiend.

Im Mittelpunkt stehen die beiden Wettbewerbe um den besten Spiel- und Dokumentarfilm. In Erinnerung an die 1999 im Alter von 79 Jahren verstorbene Kinolegende Gershon Klein stiften seine Töchter Madeleine Budde und Jacqueline Hopp auch in diesem Jahr wieder die Preise in den beiden Wettbewerben, in Höhe von jeweils 3.000 Euro. Des Weiteren werden der Preis für den interkulturellen Dialog, mit einem Preisgeld in Höhe von 2.000 Euro, gestiftet von Stephan Goericke und der Preis zur Förderung des filmischen Nachwuchses vergeben, dotiert mit 1.000 Euro, ebenfalls gestiftet von Stephan Goericke.

In der Spielfilmjury des Jüdischen Filmfestival Berlin und Brandenburg wirken in diesem Jahr der italienische Regisseur und Autor Alberto Caviglia, der seinen Spielfilm BURNING LOVE (IT 2015) als Deutschland-Premiere in der Sektion „Kino Fermished“ zeigt, die rumänische Produzentin Ada Solomon sowie die Kulturbeauftragte des Zentralrates der Juden in Deutschland, Hannah Dannel, mit. Die Jury des Wettbewerb Dokumentarfilm besteht aus der New Yorkerin Abigail Pride von der Claims Conference, dem französischen Produzenten Geoffrey Grison und Nikita Pavlov, Kameramann der Dokumentation „Navalny“ (USA 2022).

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Im Spielfilmwettbewerb sind in diesem Jahr zehn Filme aus elf Produktionsländern vertreten:

In AMERICA (IL/DE/CZ 2022) kehrt ein in die USA ausgewanderter Schwimmlehrer nach dem Tod des ungeliebten Vaters nach Israel zurück und löst damit ungewollt ein Drama aus, das alle Beteiligten ebenso verstört wie einander näherbringt. Wie schon in seinem gefeierten Debütfilm, „The Cakemaker“ beweist der in Berlin lebende Regisseur Ofir Raul Graizer erneut sein sicheres Gespür für sinnliches Kino, verbunden mit Geschichten um israelische Auswanderer.

Eine Romeo-und-Julia-Geschichte vor dem Hintergrund studentischer Unruhen und antisemitischer Staatspropaganda im sozialistischen Polen des Jahres 1968, ist MARCH ’68 von Krzysztof Lang (PL 2022). Hat eine junge Liebe zwischen Hetzkampagne, Bürgermiliz und Geheimdienst-Intrige eine Chance? 1968 forcierten fast alle sozialistischen Länder anlässlich des Sechstagekrieges antiisraelische Kampagnen. Hinter den „antiimperialistischen“ Schlagworten gegen das von den USA verbündete Israel wurden schnell antisemitische Töne laut, in Polen wurden die nach der Shoah im Land verbliebenen Juden zum Verlassen des Landes aufgefordert.

Ein psychologisches Kammerspiel und historischer Thriller im von den Deutschen besetzten Paris 1941/42 ist FAREWELL, MR. HAFFMANN (FR/BE 2022). Actionspezialist Fred Cavayé verfilmt mit den französischen Stars Daniel Auteuil, Gilles Lellouche und Sara Giraudeau das gleichnamige, sehr erfolgreiche Theaterstück um den jüdischen Juwelier Haffmann. In Frankreich wurde der Film mit 500 000 Zuschauern ein Hit.

Das überzeugende Regiedebut WHERE LIFE BEGINS (IT/FR 2022) des französischen Schauspielers Stéphane Freiss erzählt die Geschichte einer jungen Frau zwischen religiösen Konventionen und der platonischen Liebe zu einem fremden Mann.

SHTTL (UA/FR 2022) ist eine Reminiszenz an die in der Shoah zerstörte Shtetl-Kultur in der heutigen Ukraine. Das meisterliche Debüt von Regisseur Ady Walter wurde vornehmlich in Schwarzweiß und auf Jiddisch und Ukrainisch gedreht. Anschaulich schildert es mit dem lebhaften Schtetl eine osteuropäisch-jüdische Welt, die es heute nicht mehr gibt.

Der polnische Spielfilm FILIP (PL 2022) dreht sich um einen jungen Mann, der 1941 aus dem Warschauer Ghetto flieht, in Frankfurt am Main unterkommt, dort als Zwangsarbeiter in einem Hotel der Willkür der Gestapo ausgesetzt bleibt – und unter diesen widrigen Umständen trotzdem liebt, tanzt, Jazz hört – und seinen ganz persönlichen Racheplan verfolgt. Inspiriert von der unglaublich wahren Geschichte des polnisch-jüdischen Autors Leopold Tyrmand, ist Regisseur Michał Kwieciński eine emotionale Achterbahnfahrt mit sarkastischen Spitzen und Produktionswert à la „Babylon Berlin“ gelungen.

In JUNE ZERO (US/IL 2022) beleuchtet Jake Paltrow die Hinrichtung des zum Tode verurteilten SS-Kriegsverbrechers Adolf Eichmann aus einem Blickwinkel, der es nicht immer in die Geschichtsbücher schafft. Der Eichmann-Prozess gilt als ein Wendepunkt in der israelischen Geschichte, als der Moment, in dem die Gesellschaft anfing, sich mit den Traumata der Shoah auseinanderzusetzen. Erzählt wird der Spielfilm aus der Sicht eines 13-jährigen sephardischen Migranten aus Libyen, der den Prozess im Radio verfolgt, einem marokkanischen Juden, der einer der Wächter Eichmanns war und eines Überlebenden der Shoah, der die Verhöre Eichmanns mit ausgeführt hat.

THE MAN IN THE BASEMENT (Philippe Le Guay, FR 2021) ist ein ungewöhnlicher Psycho-Thriller, der gängige Haltungen, wie das Verdrängen der eigenen Identität, aber auch latenten Antisemitismus und Rassismus hinterfragt und die verführerischen Angebote von Verschwörungsdenken aufzeigt: Simon Sandberg verkauft einen Kellerraum seines Hauses an einen Mann, der sich als Holocaust-Leugner und manipulativer Psychopath entpuppt. Bisher hatte Simon seine jüdische Herkunft immer verdrängt, nun fühlt er sich direkt bedroht.

In DELEGATION (PL/IL/DE 2023) machen drei Jugendliche die in Israel obligatorische Klassenfahrt nach Polen, um Shoah-Gedenkstätten zu besichtigen. Regisseur Asaf Saban fängt mit viel Gespür für jugendliche Befindlichkeiten die Widersprüche dieser besonderen Klassenfahrt, zwischen Betroffenheit, Liebe und Abenteuerlust, ein.

Die heiter-melancholische Mockumentary THE KLEZMER PROJECT (Leandro Koch/ Paloma Schachmann, AT/AR 2023) erzählt die Suche nach den Überbleibseln der Klezmer-Musik in Osteuropa und führt durch die Ukraine und Rumänien.

Der Dokumentarfilmwettbewerb zeigt in diesem Jahr ebenfalls zehn Filme aus fünf Produktionsländern:

In THE ARTIST’S DAUGHTER, OIL ON CANVAS (IL 2022) erzählen Margarita und Yaniv Linton die Geschichte einer Tochter, die Kontakt zu ihrem Vater, einem bekannten Maler, sucht. Doch der entzieht sich den Kontaktversuchen seiner Tochter. Ein berührender Film über eine verzweifelte Suche nach Nähe und die Frage nach familiärer Verantwortung.

KNOCK ON THE DOOR (Aya Elia/Ohad Milstein, IL 2023) ist eine nachdenkliche, hochemotionale Reflexion über Offiziere der israelischen Streitkräfte, die den Familien getöteter Soldaten die Todesnachrichten überbringen müssen. Co-Regisseur Ohad Milstein hat mit SUMMER NIGHTS (IL 2021) beim JFBB 2022 den Preis für den Besten Dokumentarfilm gewonnen.

Im Doku-Thriller CLOSED CIRCUIT (IL 2022) trifft die Filmemacherin Tal Inbar sechs Jahre nach einem Attentat in einem beliebten Café in Tel Aviv Überlebende, die bis heute traumatisiert sind. Parallel montiert werden die Bilder der Überwachungskameras. Sie verdeutlichen die schockierende Brutalität des Anschlags.

Was geschah 1948 in dem arabischen Fischerdorf Tantura? Auf diese Frage lassen sich mehrere Antworten im Film TANTURA (Alon Schwarz, IL 2022) finden.

CHARLOTTE SALOMON, LIFE AND THE MAIDEN (Delphine Coulin/Muriel Coulin, FR 2023) ist eine unterhaltsame, anrührende Hommage an eine bedeutende Berliner Künstlerin, die im Alter von nur 26 Jahren in Auschwitz ermordet wurde. Mithilfe eines Bilderzyklus der jungen deutsch-jüdischen Malerin Charlotte Salomon gelingt dieser Bildautobiographie ein Animationsfilm der besonderen Art.

@JFBB

SABOTAGE (Noa Aharoni, IL 2022) erzählt die Geschichte von vier Jüdinnen, die kurz vor der Befreiung von Auschwitz gehängt werden. Ihr Verbrechen: Sabotage. Sie hatten aus einer Waffenfabrik Schießpulver an Widerstandsgruppen im Lager geschmuggelt.

QUEEN OF THE DEUCE (Valerie Kontakos, GR 2022) stellt Chelly Wilson in den Mittelpunkt, Geschäftsfrau griechisch-jüdischer Herkunft, die Männer und Frauen liebte, Poker mit Pornostars und Mafiosi spielte, allen Herausforderungen ihres Lebens trotzte – und Herrscherin über ein Imperium von Pornokinos im Manhattan der 1970er Jahre war.

Mit einer Leichtigkeit, die nicht traurig auf Vergangenes und nicht ängstlich auf die Zukunft blickt, sondern neugierig die wechselnden Perspektiven eines Lebens betrachtet, denkt der 82-jährige Kult-Dokumentarist Ralph Arlyck in I LIKE IT HERE (US 2022) über das Alter(n) nach. Arlyck stöbert alte Filmaufnahmen auf, findet Geschichten aus seiner Vergangenheit, aus der Vergangenheit seiner Eltern, sinniert über die Beziehung zwischen den Generationen. Und er sucht das Gespräch in der Gegenwart.

In THE CROWN SHYNESS (Valentina Bertani, IT/IL 2022) müssen die eineiigen Zwillinge Benji und Joshua nach dem Ende der Schulzeit lernen, mit ihrer unbändigen Energie und geistiger Beeinträchtigung ein Leben aufzubauen, auch unabhängig voneinander. Wie bei der titelgebenden Kronenscheu – mit ihrem Blätterdach halten sich Bäume mit zunehmendem Wachstum respektvoll auf Abstand zueinander – emanzipieren sich auch Benji und Joshua voneinander. Doch das enge brüderliche Band wird immer fortbestehen.

In REMEMBERING MARRAKECH (Philippe Bellaiche u.a., MA/IL2022) erkunden israelische und marokkanische Studierende gemeinsam das vielfältige jüdische Erbe in Marrakesch. In fünf kurzen Dokumentarfilmen beleuchtet dieses an der Universität Sderot initiierte israelisch-marokkanische Filmprojekt, wie die Stadt mit dem jüdischen Erbe und dem hier entstandenen Vakuum an den Wirkstätten der einstigen jüdischen Bevölkerung umgeht.