Vom Ende der Literatur

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Eine neue Essay-Sammlung von Alain Finkielkraut ist zwar mit „Vom Ende der Literatur“ betitelt, widmet sich aber nur in wenigen Texten diesem Thema. Der Autor kritisiert vielmehr mit polemischem Ansatz „Die neue moralische Unordnung“ aus dem Untertitel. Die Gesinnungsbekundung und nicht das Sachargument, so die inhaltliche Linie der Textsammlung, dominiere immer mehr zu bestimmten Themen die öffentliche Wahrnehmung. Berechtigt wird dabei eine kritikwürdige Entwicklung angesprochen, mitunter aber auch in den Kommentaren überzogen. Man findet gleichwohl viele „aufklärerische Rosinen“.

Von Armin Pfahl-Traughber

Alain Finkielkraut ist ein bekannter französischer Philosoph – und Polemiker. Erstgenanntes brachte ihm in der Académie francaise die Mitgliedschaft ein, seine sarkastischen öffentlichen Stellungnahmen führten mitunter zu Zerrbildern. So thematisierte er etwa die gesellschaftlichen Folgen einer diffusen Migrationspolitik, was ihm den unangemessenen Vorwurf einbrachte, zur frühen „Front National“ politische Nähen zu haben. Finkielkraut ist indessen kein Freund des heutige „Rassembelement National“. Aus einer Familie von jüdischen Holocaust-Überlebenden stammend ist er darüber hinaus sehr sensibel, wenn es um Antisemitismus von den unterschiedlichsten Seiten geht. Aus einer Demonstration von Gelbwestenaktivisten heraus wurde er etwa 2019 antisemitisch beleidigt, wobei der personelle Hauptakteur einen islamistischen Hintergrund hatte. Diese Ereignisse führten seinerzeit zu großem öffentlichem Interesse, ohne aber in der Folge diese Form von Judenfeindlichkeit stärker zu problematisieren. Seine neuste Essaysammlung erschien gerade als „Vom Ende der Literatur. Die neue moralische Unordnung“ in deutscher Übersetzung.

Dabei handelt es sich um eine sehr schiefe Betitelung, geht es doch zwar auch um Autoren wie Milan Kundera oder Philip Roth, gleichwohl steht nicht die Literatur im inhaltlichen Zentrum. Der Autor beklagt vielmehr eine gesellschaftliche Entwicklung, die durch eine Betonung der angeblich richtigen Gesinnung und eine damit einhergehende Intoleranz gegenüber abweichenden Positionen geprägt sei. Es gehe eher um Anklagen, weniger um Argumente, eher um Beschwörungen, weniger um Differenzierungen. So finden sich zunächst viele Beiträge von Finkielkraut, welche den Feminismus bzw. Neofeminismus und die #MeToo-Tendenzen kritisieren. Berechtigt macht er gegenüber dem Gemeinten auf Übertreibungen und Ungerechtigkeiten aufmerksam. Bei seinen polemischen Angriffen berücksichtigt Finkielkraut aber nicht genügend, in welch hohem Ausmaß es gute Gründe für die vorgetragene Kritik gibt und worin zwischen diesen eine Unterscheidung gegenüber den Zerrbildern vorgenommen werden müsste. Genau diese Einseitigkeit prägt ebenso die dem Links-Sein, der Migration oder dem Multikulturalismus gewidmeten Texte.

Indessen findet man immer wieder beachtenswerte und reflexionswürdige Einschätzungen, wofür folgende Ausführungen zum letztgenannten Thema stehen: „Der Multikulturalismus ist … anders als es scheinen mag, keine heilsame Bereicherung des kulturellen Erbes. Die Kultur öffnet sich in diesem neuen Rahmen nicht für ferne und verkannte Kunstwerke. Sie verändert unmerklich ihre eigene Bedeutung, ist nicht mehr Auseinandersetzung mit dem Sein, sondern wird zum Ausweis der Identität, zum Ausdruck von Gruppenzugehörigkeit. Ob repressiver Weißer oder Angehöriger einer unterdrückten Minderheit, jeder ist und bleibt in seinem Lager …“ (S. 103).  Nur selten wird die kollektivistische Identitätsfixierung im Multikulturalismus, die strukturelle Gemeinsamkeiten mit einem rechten Nationalismus hat, so kritisch wie in einem solchen Statement angesprochen. Gleichwohl sind solche intellektuellen Rosinen häufig umgeben von polemischen Zuspitzungen. Dabei neigt Finkielkraut mit seiner Schreibe immer wieder dazu, eigene Aufgeregtheit ins inhaltliche Zentrum zu stellen.

Es gelingen ihm aber auch etwa zu den Achtundsechzigern inhaltliche Spitzen: „Damit war der Schritt getan, von der großen emanzipatorischen Erklärung: Alle Menschen sind gleich zur nihilistischen Feststellung: Es ist alles egal“ (S. 139). Auch die Ausführungen zu seinem Bruch mit der politischen Linken sind bemerkenswert, wobei auch hierfür Einschätzungen zur Migration zentral waren: „… dieses Eintreten für die Schwachen, das mich früher bewogen hat, mich den Linken anzuschließen, lässt sie heute die Augen vor dem Antisemitismus, dem Sexismus und der Frankophobie verschließen, die in den ‚Volksvierteln‘ wüten … Aus den Schuldigen macht man Opfer und aus erklärten Feinden zum Äußersten gereizte Unterdrückte“ (S. 132). Auch hier wird die Berechtigung wohlmöglich von der Polemik überlagert. Man könnte einwenden: Wer gehört werden will, muss schreien. Oder: Differenzierungen müssten auch einem Essay nicht eigen sein. Gleichwohl können solche Bekundungen schnell zu Missverständnissen bei jenen führen, die man doch eigentlich für selbstkritische Reflexionen gewinnen will. Das wären nicht nur Fragen des richtigen Stils.

Alain Finkielkraut, Vom Ende der Literatur. Die neue moralische Unordnung, München 2023 (Langen Müller-Verlag), 220 S., Bestellen?