„Jeder jüdische Grabstein ist ein Denkmal“, konstatiert der Bezirksheimatpfleger von Unterfranken Prof. Dr. Klaus Reder im Sommer 2022 auf dem jüdischen Friedhof in Maßbach. Deshalb dokumentiert das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege in Zusammenarbeit mit der Universtität Bamberg, konkret Prof. Dr. Susanne Talabardon und ihrem Team, sowie dem Salomon-Ludwig-Steinheim-Institut und weiteren Expert*innen seit Ende 2022 die rund 80.000 Grabsteine in Bayern.
Von Riccardo Altieri
Mehr als 30.000 davon liegen in Unterfranken. Susanne Klemm vom Landesamt erklärt, dass die Steine nicht wegen ihrer Kunstgeschichte, sondern wegen der hebräischen Inschrift zu Denkmälern wurden.
Für den jüdischen Friedhof Allersheim im Landkreis Würzburg zeichnet als Übersetzerin die Hebräisch-Dozentin der Universität Würzburg Dr. Monika Berwanger verantwortlich. Gemeinsam mit einem kleinen Team aus Ehrenamtlichen übersetzt sie Stein um Stein und macht damit die Inhalte der Denkmäler erst einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Rund 200 von 1500 Steinen hat sie bereits übersetzt.
Am 23. Februar 2023 hielten Monika Berwanger und Joachim Bürkle (ebenfalls Universität Würzburg) im Johanna-Stahl-Zentrum für jüdische Geschichte und Kultur in Unterfranken einen interessanten Vortrag über jüdische Begräbniskultur – am Beispiel des Friedhofs in Allersheim. Nachdem Bürkle dessen Geschichte erläutert hat, stellte Berwanger die lokalen Besonderheiten vor und ging dabei besonders auf Probleme ein. Neben der raschen Verwitterung stellen insbesondere antisemitische Schändungen, aber auch gut gemeinte und schlecht umgesetzte farbliche Nachzeichnungen der hebräischen Inschriften große Herausforderungen für die Dokumentation des Friedhofes dar. Dies soll nicht als Vorwurf missverstanden werden, eher als Bitte für künftige Generationen gelten: Die zunehmend schlechter lesbare hebräische Schrift auf Grabsteinen muss durch moderne Methoden der Fotografie erhalten und für die Nachwelt bewahrt werden. Mit Farbe, die nach einiger Zeit vom Regen abgespült wird, entstellt man nicht nur die Inschrift bis zur Unleserlichkeit, man verhält sich auch gegenüber den Toten höchst unachtsam.
Wenn man Grabsteine auf dem Friedhof Allersheim auf Fotografien aus dem Jahr 1996 mit solchen von heute vergleicht, wird schnell ersichtlich, dass den Beteiligten am bayernweiten Dokumentationsprojekt nicht mehr viel Zeit bleibt. Während polierte Granite oder Diorite aus dem 19. Jahrhundert, die teilweise auf dem Seeweg von Norwegen nach Allersheim importiert wurden, eher lang lesbar sein werden, steht es um die lokalen Gesteinsarten aus dem 17. und 18. Jahrhundert nicht sehr gut. Bunte Sandsteine zeichnen sich dadurch aus, dass sie mehr und mehr abblättern, bis die Inschrift nicht mehr erkennbar ist. Bei Muschelkalksteinen entstehen Hohlräume im Inneren, die bisweilen ganze Wörter bis zur Unkenntlichkeit entstellen.
Während des Vortrages gab immer wieder auch Israel Schwierz, Vorstandsmitglied der Gemeinde Mischkan ha-Tfila Bamberg, Einblicke in die Bestattungspraktiken der jüdischen Gemeinden Frankens und Israels heute im Vergleich. Schwierz gilt mit seinem Buch „Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern“ als einer der besten Kenner der jüdischen Friedhofslandschaft Bayerns.
Bild oben: Dreimal derselbe Grabstein: a) schwarz-weiß-Aufnahme von 1996 b) Farbaufnahme von 2022, teilweise kaum noch lesbar c) die Sandsteinschichten blättern rasant ab. Hitze, Kälte, Nässe und der Klimawandel tun ihr Übriges, © Johanna-Stahl-Zentrum (2022) und Landkreis Würzburg (1996)