Die vergessenen Flüchtlinge des Nahost Konflikts

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Eine jüdische Familie im Jemen auf dem Weg zu einem Auffanglager in Aden, Foto: Zoltan Kluger

Der 30. November ist der Gedenktag für die knapp 1 Million geflüchteten Juden aus ihren arabischen Herkunftsländern und dem Iran als Folge des jüdisch-arabisch-iranischen Konflikts.

Von Martin Klein

“Our basic aim is to liberate the land from the Mediterranean Sea to the Jordan River…. The Palestinian revolution’s basic concern is the uprooting of the Zionist entity from our land and liberating it.”
Yasser Arafat, 1970 (1).

„Die Palästinenser verpassen keine Gelegenheit, eine Gelegenheit zu verpassen.“
Abba Ebban

 

Die Bezeichnung israelisch-palästinensischer Konflikt ist falsch, denn die Feindschaft der Muslime gegenüber den Juden nur unter dem Gesichtspunkt der durch die osteuropäischen Pogrome des 19. und 20. Jahrhunderts oder die Vernichtungskriege und geplante Endlösung der Nazis hervorgerufene Einwanderung der Juden nach Palästina zu definieren, greift zu kurz.

Denn diese Feindschaft gegenüber Juden beginnt schon im siebten Jahrhundert mit dem Siegeszug des Islams. Um nicht missverstanden zu werden: Wenn im Folgenden von Muslimen, Arabern, Palästinensern, Juden oder Israelis die Rede ist, meine ich immer die jeweiligen in führender Position befindlichen politisch Verantwortlichen; das ist deshalb angebracht, weil wir aus vielen Quellen wissen, dass bei gewalttätigen judenfeindlichen Übergriffen arabische Nachbarn häufig lebensrettend und unter Inkaufnahme eigener Risiken den Bedrängten zur Seite standen. (2)

Selbst im „goldenen Zeitalter“ der Juden in Al-Andalus, also der ab 711 unserer Zeitrechnung muslimisch eroberten iberischen Halbinsel, ereignete sich 1066 ein Judenpogrom, dessen Ausmaß die der Kreuzzüge übertraf. Es blieb nicht das Einzige: Die Zahl von Massakern an Juden in den arabischen Ländern und im Iran ist Legion. Allein zwischen 1785 und 1945, also noch vor der UN-Teilungsresolution und dem Unabhängigkeitskrieg 1948, waren es über 30. (3)

Jüdisches Leben unter muslimischer Herrschaft – Demütigung

1945 gab es im Nahen Osten und in Nordafrika etwa 850.000 Juden. Jüdische Gemeinden hatten schon mehr als 1000 Jahre vor dem Siegeszug des Islams hier gelebt, man erinnere sich an Mesopotamien und die Deportation der Juden aus dem Königreich Israel im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Bagdad war das kulturelle Zentrum des Judentums und die Wiege des babylonischen Talmuds. Dort lebten noch in den 1930er Jahren prozentual mehr Juden (33%) als in Warschau (29%) oder New York (27%).

Von diesen 850.000 blieben in den arabischen Ländern und im Iran noch etwa 3000 (in Worten: dreitausend) bis heute übrig, hauptsächlich in Marokko. Das bedeutet, dass mehr als 99,5 % dieser Menschen geflohen sind oder vertrieben wurden (4).

Diese direkte und indirekte Vertreibung ist zahlenmäßig die größte ethnische Säuberung von Jüdinnen und Juden aller Zeiten. Trotz furchtbarer Verfolgungen während der letzten Jahrzehnte des zaristischen Russlands verharrten zwei Drittel der Deutschen jüdischer Abstammung weiter in ihrem Geburtsland. Noch am Vorabend des Zweiten Weltkriegs hielt ein Drittel der deutschen Juden auf Biegen und Brechen und unbeirrt trotz diskriminierender Gesetze, Raub, Verfolgung, Boykott und Internierung in Konzentrationslagern (leider) daran fest, in ihrem Heimatland zu bleiben. Die antijüdischen Kampagnen im kommunistischen Polen 1968-69 führten zwar zu einer Emigration von etwa 20.000 Juden, im Umkehrschluss bedeutet dies aber, dass ein Fünftel der Verfolgung widerstand und es ablehnte, Haus und Heim aufzugeben (5).

Der Triumph des Islam verlief bekanntlich, insbesondere was die jüdischen Stämme anging, nicht gerade unblutig. Anschließend machten die Sieger im Einklang mit den Vorschriften des Korans, der den „Ungläubigen“ ein Leben als Erniedrigte vorschrieb (6), den unterworfenen schriftbesitzenden Andersgläubigen — Christen und Juden — ein Angebot, welches diese nicht ablehnen konnten: Unterwerfung und Tributzahlung oder Tod.

Juden waren besonders betroffen, denn erstens waren ihnen gegenüber die Muslime noch feindlicher gesinnt als den Christen (7) und zweitens waren sie im Vergleich zu diesen praktisch wehrlos. Dieses System, welches Nichtmuslime zu Schutzbefohlenen (Dhimmis) und somit Bürger zweiter Klasse definierte, ist nach heutigen Maßstäben schwerlich anders als ein konfessionelles Apartheidsystem zu klassifizieren, welches letztlich mehr als 13 Jahrhunderte andauerte.

In Persien/Iran war die Unterdrückung noch extremer, denn nach den Vorschriften der Scharia gelten Juden als „unrein“. Das Leben dieser Dhimmis war nicht nur von herablassender Toleranz bis zur Demütigung und Erniedrigung charakterisiert, sondern auch (lebens)gefährlich, woran heute gelegentlich noch „antizionistische“ Demonstranten in Westeuropa kehlkopfstark mit dem Ruf erinnern „die Juden sind unsere Hunde“ oder „Chaibar, Chaibar, oh ihr Juden, die Armee Mohammeds wird zurückkehren“. Zwar liest und hört man immer wieder erbauliche Geschichten von muslimischer Toleranz gegenüber Juden, die sich deutlich von der brutalen Unterdrückung und Verfolgung in den christlichen Ländern unterschieden habe. Es kann auch keinen vernünftigen Zweifel geben, dass die Christen den Juden über 2000 Jahre lang Schrecklicheres angetan haben, und zwar auch ohne das unvorstellbarste aller Verbrechen, nämlich den Versuch der sogenannten Endlösung, mitzurechnen.

Aber einen Totschläger würde man nicht freisprechen, nur weil die Tat eines Mörders unter ethischen und juridischen Gesichtspunkten noch verwerflicher ist.

Unter muslimischer Herrschaft gab es für Juden zweifellos Blütezeiten, in denen sie maßgeblich zum Fortschritt in Medizin, Wirtschaft, Kultur und Philosophie ihres gastgebenden Landes beitrugen. Aber selbst der herausragende jüdische Gelehrte Maimonides, Leibarzt des Sultans Saladin, beklagte sich über das „Volk des Ismail“ (die Muslime), „welches die Juden schwerster Verfolgung aussetzt und danach trachtet, uns herabzusetzen und zu entwürdigen… kein Volk hat jemals Israel mehr Unglück zugefügt. Keines hat es ihm gleichgetan, uns zu erniedrigen und zu demütigen. Keines hat es vermocht, uns so zu unterjochen, wie sie es getan haben“(8).

Juden durften keine Waffen tragen und keine neuen Kultstätten errichten, sondern lediglich vorhandene restaurieren, wobei diese nicht höher als Moscheen sein durften. Sie mussten Teufelsbilder an ihre Haustüren nageln, besondere Abzeichen an ihren Kleidern wie den gelben Fleck im Bagdad des 9. Jahrhunderts befestigen — was also keine Erfindung der Nazis war —; sie hatten jederzeit den Muslimen Ehrerbietung zu zollen und mussten die Gyzia zahlen, eine Sondersteuer, die während einer erniedrigenden Prozedur zu entrichten war. Das Zeugnis eines Dhimmis war vor einem muslimischen Gericht nicht zugelassen. Zu bestimmten Zeiten waren Juden stark in Handel und Finanzwesen vertreten, also in von heroischen, militärisch orientierten Gesellschaften verachteten Berufen; insbesondere in den späteren Jahrhunderten verrichteten sie vorwiegend niedrige Dienstleistungen, die man auch als Drecksarbeit bezeichnen könnte, wie zum Beispiel das Entleeren von Sickergruben. (9,10).

Jüdisches Leben unter muslimischer Herrschaft — Terror und Mord

Persien/Iran

Im März 1839 wurden 30 Juden Maschhads von Muslimen ermordet unter dem Vorwand, sie hätten nicht das Gedenken an den dritten Imam Hussein respektiert. Um dem sicheren Tod zu entgehen, konvertierten die anderen zum Islam und praktizierten fortan ihren Glauben im Geheimen (11). Ende des 18. Jahrhunderts beschuldigten die muslimischen Einwohner von Täbris einen jüdischen Händler des Ritualmordes an einem jungen muslimischen Mann, überfielen das jüdische Viertel der Stadt und töteten viele seiner Bewohner. Kleine Kinder wurden in die Luft geworfen um sie aufzuspießen…Mündliche und schriftliche Berichte besagen, dass alle Juden in der Stadt ausgerottet wurden… Es gab Hinweise, dass mindestens einige 100 Juden getötet wurden (12).

Erschütternd sind die im 19. Jahrhundert von Europäern veröffentlichten Reiseberichte: So schrieb Benjamin, dass in ganz Persien die Jüdinnen und Juden abgeschottet von den Muslimen leben müssten, Handelsbeschränkungen unterworfen seien, bei Betreten einer von Muslimen bewohnten Straße vom Pöbel mit Schmutz beworfen würden und bei Regen nicht ausgehen dürften, da der Regen die schon erwähnte anhaftende Unreinigkeit von ihnen abspüle und so die Füße der Muslime beschmutzte. Juden wurden auf der Straße grundlos misshandelt; Vorübergehende spuckten ihnen ins Gesicht oder schlugen sie so, dass sie nach Hause getragen werden mussten. Ein Perser riskierte durch die Tötung eines Juden lediglich eine Geldstrafe – wenn überhaupt. Jüdische Kinder und Erwachsene wurden bei Wortwechseln mit Persern von den zuständigen religiösen Autoritäten willkürlich zu Prügelstrafen verurteilt. Juden, die während der dreitägigen Trauer um den Tod des persischen Religionsstifter Ali auf der Straße gesehen wurden, schwebten in Lebensgefahr; B. schreibt wörtlich, dass sie unfehlbar ermordet wurden (13).

Marokko

Im April 1790 veranlasste der Sultan Moulay al Yazid in Tetuan die Plünderung und Inhaftierung von Jüdinnen und Juden. Sie wurden mit Gewalt ihrer Kleider beraubt und nackt in Gefängnisse gesperrt. Dabei verloren zwischen sechs und acht Menschen und eine nicht genau bestimmbare Zahl von Kindern ihr Leben. Drei volle Tage verbrachten die Jüdinnen und Juden nackt im Gefängnis. Einer wurde an seinen Füßen 36 Stunden lang aufgehängt, bevor er dann enthauptet und sein Körper verbrannt wurde. 2000 schwarze Sklaven-Soldaten erhielten die Freigabe zur Plünderung der Juden, die die Frauen auch vergewaltigten und nackt auf die Straße warfen. (14) Erwähnenswert ist, dass muslimische Honoratioren Juden in ihren Häusern versteckten, um sie zu retten (15).

Irak

Am 1. und 2. Juni 1941 entfachten arabische Nazi-Sympathisanten unter dem Einfluss von Agenten des nationalsozialistischen Deutschland und des Hitler- Gefolgsmannes und arabischen Führers Hadsch Muhammed Amin al-Husseini beim sogenannten Farhud (gewaltsame Enteignung) in Bagdad einen unvorstellbar grausamen Pogrom, bei dem Kleinkinder erschlagen und in den Tigris geworfen, Frauen vor ihren Männern, ihren Kindern, ihren Eltern und dem Pöbel vergewaltigt wurden. Einige schwangere Frauen wurden erst vergewaltigt, dann aufgeschlitzt, das Ungeborene ermordet und anschließend die Frau getötet. Offizielle Statistiken sprachen von 110 Toten, davon 28 Frauen. Ein irakischer Historiker schätzte die Zahl allerdings auf 600 Ermordete. Die stationierten britischen Truppen, die das Ganze leicht hätten verhindern können, schritten nicht ein. (16,17).

Libyen

Ab dem 4. November 1945 ereignete sich in Tripolis nach einem Streit zwischen Arabern und Juden ein offensichtlich geplanter Pogrom mit Plünderungen, Verwüstungen jüdischen Eigentums, Folter und Mord an über 130 jüdischen Opfern, darunter 36 Kindern. Ganze Familien wurden ausgelöscht; auch in der Umgebung kam es zu Vergewaltigungen und Zwangsbekehrungen. Synagogen wurden entweiht und zerstört; Hunderte wurden verletzt und annähernd 4000 obdachlos. 1000 Wohn- und Geschäftsgebäude wurden geplündert. Die Wohnungen der Juden waren vorher mit Kreide markiert worden. Tausende hatten sich bereitwillig den Rädelsführern angeschlossen, die tagelang völlig ungehindert ganze Familien folterten und massakrierten, Menschen bei lebendigem Leib verbrannten, Frauen vergewaltigten, Häuser verwüsteten und die Synagogen plünderten, ohne dass die Polizei oder die britische Besatzungsmacht intervenierte, denn der ihr unterstellten jüdischen Brigade verbot man, ihre Baracken zu verlassen, wahrscheinlich deshalb, weil die Briten Angst hatten, die arabischen Massen gegen sich aufzubringen. Ein Sergeant der US Air Force notierte in einem persönlichen Brief: „Die Ausgangssperre stoppte die Gewalt. Sie hätte schon am letzten Sonntag verhängt werden können. Tatsächlich hätte die Gewalt in nur 5 Minuten beendet werden können. Ein bloßer Gewehrschuss — nur um den Arabern zu zeigen, dass die Briten entschlossen waren, die Juden zu schützen — hätte das Blutvergießen verhindern können … Ich wiederhole: die Briten hätten den Aufruhr in exakt 5 Minuten leicht stoppen können (18). Der Oberkadi und der Mufti von Tripolis bezeichneten das Massaker als ein „unangenehmes Ereignis“ (19). Dies alles geschah einige Monate, nachdem die unfassbaren Gräueltaten der Nazis in der ganzen Welt bekannt waren.

Palästina

In Palästina beherrschten mit Ausnahme der Zeit der christlichen Kreuzzüge im 11.-13. Jahrhundert, die ebenfalls Abertausende Juden das Leben kosteten, Muslime zwischen 638 und 1917 das „Heilige Land“. Juden wurden diskriminierenden Gesetzen unterworfen: Sie durften unter Androhung der Todesstrafe nicht das Grab der Patriarchen bei Hebron besuchen, eine Beschränkung, die von 1266 bis 1967 galt! Ein christlicher Besucher des 14. Jahrhunderts bezeugte, dass Juden und Christen schlimmer als Hunde behandelt würden (20). Ein bezeichnendes Echo der Verachtung und des Hasses dieser Zeit findet sich im Refrain einer zu Ostern gesungenen Hymne: „Oh ihr Juden, oh ihr Juden– Euer Fest ist das des Affen“ (21). 1799 und 1834 ereigneten sich pogromartige Unruhen in Jerusalem, 1834 auch in Tiberias, 1799 und 1834 in Safed. Am 15. Juni 1834 attackierten organisierte Banden zu Tausenden die wehrlosen Juden, beraubten sie einschließlich ihrer Kleider, sodass sie nackt in die umliegenden Orte fliehen mussten. Sie verbrannten Thorarollen, folterten Frauen und Kinder, die nicht fliehen konnten, in Synagogen, vergewaltigten Frauen auf Thorarollen in Gegenwart ihrer Kinder und ihrer Ehemänner und ermordeten sie. (22). Der Pogrom dauerte 33 Tage, er kostete eine unbekannte Zahl von Menschen das Leben (23). Er war ebenfalls nicht spontan entstanden; ein religiöser Fanatiker hatte die Menge aufgehetzt. (24). Während blutiger Massaker in Jerusalem und Jaffa 1920 und 1921 brüllten Fanatiker: „Die Juden sind unsere Hunde!“, „Wir werden das Blut der Juden trinken!“, „Schlachtet die Juden ab!“ und „Muslime, verteidigt euch, die Juden töten eure Frauen!“ Palästinensische Anführer hatten das Massaker kaltblütig inszeniert, in dem sie über die Presse den Aufruhr entfachten (25).

Beim Massaker in Hebron am 24.August 1929 wurde der britische Polizeiinspektor Raymond Cafferata Zeuge, wie ein Araber einem Kind mit dem Schwert den Kopf abzuschlagen suchte. Er erschoss ihn ebenso wie einen arabischen Polizisten, der eine bereits blutverschmierte jüdische Frau erstechen wollte. In einem Brief an den hohen Kommissar beschrieben Juden weitere Gräueltaten: Ein 68 – und ein 70-jähriger Rabbiner sowie fünf weitere Männer waren kastriert, ein Bäcker verbrannt worden. Der Mob tötete einen invaliden Apotheker, der Juden wie Arabern mehr als 40 Jahre lang treue Dienste geleistet hatte, seine Tochter wurde vergewaltigt und ebenfalls getötet. Zwei andere waren mit einem Strick erwürgt worden, ein 70-jähriger war an einer Tür gefesselt zu Tode gequält worden. Einem zweijährigen Kind hatte man den Kopf abgerissen. Der Brief nannte noch weitere Fälle von Vergewaltigung und Folter. Insgesamt waren 67 Juden getötet worden, darunter 12 Frauen und 3 Kinder unter fünf Jahren. Laut Aussagen der jüdischen Gemeinde und Aufzeichnungen zionistischer Archive seien zwei Drittel der Juden Hebrons durch arabische Familien gerettet wurden, wobei etliche Araber verletzt wurden (26). Organisierte Massaker fanden auch in Safed statt.

Die Proklamation des Staates Israel am 15. Mai 1948 beantworteten die angrenzenden arabischen Staaten bekanntlich sofort mit Krieg, in dem sie aber eine Niederlage erlitten.

Das Westjordanland wie auch die Altstadt von Jerusalem fiel jedoch an Jordaniens Armee, in der Stadt wurden sofort die Juden vertrieben, die Synagogen sowie der alte Friedhof des Ölbergs zerstört, die Grabsteine für Latrinen „verwertet“ und Juden hatten bis zum Sechstagekrieg im Juli 1967 keinen Zutritt mehr zu ihren heiligsten Orten. In Gush Etzion hatte die arabische Legion unter dem britischen Kommandanten Glubb gefangene Juden nach deren Niederlage vertreiben wollen, aber Palästinenser kamen ihnen zuvor und brachten die Wehrlosen mit Maschinengewehren um. Rahmani fragt zu Recht: „Was wäre geschehen, wenn die Araber den Krieg gewonnen hätten“ (27). Für viele arabische Führer mag dieses Trauma, vom „schwächsten und minderwertigsten aller Völker“ (28) militärisch besiegt worden zu sein, ein – wenn nicht das Haupthindernis für Frieden zwischen Arabern und Juden darstellen.

In jüngster Zeit mehren sich zum Glück Hinweise, dass diese Auffassung durch das Abraham- Abkommen zwischen Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten, dem Sudan, den USA und Israel widerlegt werden.

Einen Krieg gewannen die Araber im Übrigen trotzdem, indem sie sich an ihrer wehrlosen jüdischen Minderheit rächten – mittels Enteignung, Entzug der Staatsbürgerschaft, Vertreibung oder Ausreiseverbot, willkürlicher Verhaftung, Folter und Mord. Die Vorbereitungen hierzu wurden schon 1947 getroffen. Mitglieder der arabischen Liga verfassten Gesetzesentwürfe, die an die Nürnberger Gesetze von 1935 erinnern (29).

Gibt es ein Rückkehrrecht der Palästinenser?

Ein Gedankenexperiment: Kontrafaktisch setzen wir voraus, dass in allen Punkten die „Zionisten“ die Schuld am Nahostkonflikt tragen. Die Israelis hätten also die Araber überfallen und nicht umgekehrt, sie hätten auch nie einer UN-Resolution und schon gar nicht der Teilungsresolution zugestimmt, sondern das ganze Mandatsgebiet von 1920, also einschließlich Jordaniens für sich beansprucht.

Ist es in irgendeiner Weise realistisch anzunehmen, dass die israelische Bevölkerung heute, über 70 Jahre später, freiwillig die Segel streichen, eine Masseneinwanderung von Palästinensern zulassen und sich selbst erneut unter das Joch muslimischer Herrschaft begeben würde?

Man stelle sich weiter vor, dass alle anderen Vertriebenen des 20. Jahrhunderts ein Recht auf Rückkehr beanspruchten? Welchen vernünftigen Grund sollte es geben, ihnen Rechte vorzuenthalten, die den Palästinensern gewährt wurden? Wäre eine solche Diskriminierung etwa nicht rassistisch?

Abermillionen Menschen aus den ehemaligen jugoslawischen Staaten, Hindus und Muslime aus Indien und Pakistan, die sich wechselseitig vertrieben, Armenier und Griechen aus der Türkei, türkische Minderheiten wiederum, die in Bulgarien der Verfolgung ausgesetzt waren, und nicht zuletzt mindestens 12, vielleicht 14 Millionen Deutsche nach dem Zweiten Weltkrieg aus Polen, der Tschechoslowakei, Jugoslawien, Rumänien und Ungarn, wobei nach palästinensischen Maßstäben natürlich auch alle Nachkommen dieser Menschen zu repatriieren wären.

Wer meint, dass Deutsche die schlimmsten Verbrechen der Geschichte zu verantworten hätten (eine richtige Aussage), und deshalb Angehörige dieses Volkes keinerlei Ansprüche geltend machen könnten, vergisst, dass auch die schlimmste Schuld nicht vererbt wird und dass die Vertreibung der Deutschen überwiegend Frauen, Kinder unter 16 und alte Menschen betraf. Die zahlenmäßig geringste Gruppe waren erwachsene Männer (30).

Kein vernünftiger Mensch würde eine solche Rückkehr jemals ernsthaft fordern. Aber wenn es um Israel geht, ticken bei vielen offenbar die Uhren anders.

Palästinensische Politiker, Historiker und Aktivisten wie Hanan Ashravi und Walid Khalidi negieren entweder die Unterdrückung der Juden in ihren Ländern oder rühmen stattdessen die angebliche Toleranz der Muslime gegenüber den Juden (31,32).

Völlig absurd argumentiert der jordanische Historiker Joseph Massad. Sein Befund lautet im Wesentlichen: Israel habe die ganze Geschichte der Vertreibung von Juden aus arabischen Ländern erfunden, um Geld aus den arabischen Ländern zu erpressen; die Muslime hätten nur die religiöse Pflicht wahrgenommen, Juden zu schützen, die wiederum alleine aufgrund krimineller israelischer geheimdienstlicher Aktionen zum Beispiel im Jemen, Irak, sowie in Marokko und Ägypten gezwungen worden seien, ihre arabischen Länder zu verlassen. Man glaubt es nicht, aber er führt das Argument des Schutzes wirklich an, und es ist nicht einmal falsch: Das Problem ist nur: Es ist ein Don Corleone Angebot, welches man bekanntlich nicht ablehnen kann: Auch die Mafia „schützt“ bekanntlich Menschen, die dafür bezahlen (33). Wenn man dann noch zur Kenntnis nimmt, dass in dem ganzen Artikel Worte wie Massaker, Pogrom, Ouda /Djerada, Constantine, Damaskus, also Städte, in denen Massaker an Juden lange vor 1948 verübt wurden, nicht vorkommen und der beschriebene Farhud nicht erwähnt wird, kann man sein Erzeugnis nicht einmal unter der Rubrik Satire einordnen.

Eine Behauptung Massads kann allerdings nicht unwidersprochen bleiben, weil sie von vielen Journalisten, Historikern, Aktivisten und anderen (s.u.) immer wieder in die Welt gesetzt wird, nämlich die des sogenannten Rückkehrrechts der Palästinenser nach dem verlorenen Krieg 1948. Ich gebe den Originaltext Massads wieder, um nicht dem Vorwurf der sprachlichen Manipulation ausgesetzt zu sein:

“In December 1948, the UN General Assembly mandated that Palestinian refugees be allowed to return home and that they be compensated for the destruction and theft of their property by Israel.”

(„Im Dezember 1948 erteilte die UN-Generalversammlung das Mandat, den palästinensischen Flüchtlingen die Rückkehr in ihre Heimat zu ermöglichen und sie für die Zerstörung und den Diebstahl ihres Eigentums durch Israel zu entschädigen).

Die deutsche Nahost-Wissenschaftlerin Angelika Timm schrieb in einem Vorwort zu dem von ihr herausgegebenen Werk bezüglich der Resolution 194 der Vereinten Nationen vom 11. Dezember 1948, dass in dieser „völkerrechtlich bindend das Recht der palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr oder Entschädigung festgeschrieben“ [wurde] (34).

Avi Shlaim, irakisch-jüdisch-britischer Historiker, der Boykottaufrufe gegen Israel unterstützt und Israel eine „Ethnokratie“ und einen „Apartheidstaat“ nennt und während der Operation „ gegossenes Blei“ sich wünschte, dass Israel den Krieg verlieren möge (35), befand: “For the Palestinians the most sensitive issue was the right of return of the 1948 refugees. UN General Assembly Resolution 194, of 11.December 1948, upheld the right of these refugees to choose between a return to their original homes and compensation …Israel´s refusal to implement Resolution 194 did not of course detract from its validity under international law.” (36).

(Für die Palästinenser war das Recht auf Rückkehr der Flüchtlinge von 1948 das heikelste Thema. Die Resolution 194 der UN-Generalversammlung vom 11. Dezember 1948 bestätigte das Recht dieser Flüchtlinge, zwischen einer Rückkehr in ihre ursprüngliche Heimat und einer Entschädigung zu wählen … Israels Weigerung, die Resolution 194 umzusetzen, schmälerte natürlich nicht ihre völkerrechtliche Gültigkeit)

Alle drei gehen fehl. Und alle drei ignorieren das Problem der jüdischen Flüchtlinge.

Die entsprechende Resolution der Generalversammlung vom 11. Dezember 1948 (Punkt 11) lautet: „The General Assembly …. resolves that the refugees wishing to return to their homes and live at peace with their neighbours should be permitted to do so at the earliest practicable date, and that compensation should be paid for the property of those choosing not to return and for loss of or damage to property.”

(Die Generalversammlung …. beschließt, dass denjenigen Flüchtlingen, die zu ihren Wohnstätten zurückkehren und in Frieden mit ihren Nachbarn leben wollen, dies zum frühestmöglichen Zeitpunkt gestattet werden soll und dass für das Eigentum derjenigen, die sich entscheiden, nicht zurückzukehren, sowie für den Verlust oder die Beschädigung von Eigentum, auf der Grundlage internationalen Rechts oder nach Billigkeit von den verantwortlichen Regierungen und Behörden Entschädigung gezahlt werden soll)..

Die sinnentstellenden Falschzitierungen kann somit jeder des Lesens Kundige leicht feststellen: Erstens ist nirgendwo die Rede von einem Diebstahl Israels, wie Massad behauptet. Zweitens existiert in der Resolution der Begriff „palästinensische Flüchtlinge nicht, der aber von allen drei vorgenannten gebraucht wird; die Rede ist nur von „Flüchtlingen,“ was auch selbstverständlich ist; denn sonst wäre es ja rechtens, Jüdinnen und Juden aus dem Land zu vertreiben, in dem schon ihre Vorfahren Tausende von Jahren gelebt haben.

Drittens etabliert dieser Paragraf keineswegs ein Recht, weil die Generalversammlung der Vereinten Nationen nur unverbindliche Empfehlungen beschließen kann; verbindlich sind Beschlüsse des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Dies ist auch an der Wortwahl zu erkennen: Es ist die Rede davon, was gestattet werden sollte (should be permitted), nicht aber muss.

Viertens kommt hinzu, dass von friedenswilligen Flüchtlingen die Rede ist. Die arabische Seite war allerdings damals und später nicht bereit, Frieden mit Israel zu schließen, während die Israelis davon ausgingen, dass eine entsprechende Vereinbarung sinnvollerweise nur im Rahmen einer Friedensregelung zu treffen sei. Es war aber sehr unwahrscheinlich, dass über Jahrzehnte von kriegerischer arabischer Propaganda infizierte Menschen nun plötzlich bereit sein würden, in Frieden mit den verhassten Juden zu leben. Die weitere Entwicklung hat dies bestätigt. Selbst die Vereinten Nationen hatten erkannt, dass man Israel nicht zumuten konnte, eine feindlich gesinnte Population im Sinne einer fünften Kolonne zu importieren.

Fünftens ist hinzuzufügen, dass seinerzeit die Resolution 194 von den Arabern abgelehnt wurde, da dieses ihrer Meinung nach eine Anerkennung des Staates Israel durch die Hintertür bedeutet hätte. Man kann aber nicht Rosinen picken, indem man zunächst an einer Abstimmung teilnimmt, diese dann verliert, das Ergebnis nicht anerkennt und doch von der anderen Seite aber die Erfüllung des Vertrages verlangt.

Auch der UN-Sicherheitsrat aber hat niemals eine entsprechende verpflichtende Verfügung beschlossen. Die Resolution 242 vom 22.November 1967 spricht nur davon, dass eine gerechte Regelung des Flüchtlingsproblems erreicht werden müsse. Andere Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, israelisch-palästinensische Friedensprozess-Dokumentationen oder der Internationale Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte (ICCPR) beschreiben kein Recht auf Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge (37).

Kein vernünftiger Mensch wird behaupten, dass Israel alles immer richtig macht. Palästinenser sind nach 1948 nicht nur geflohen, sondern wurden auch aus strategischen Gründen vertrieben. Benny Morris, kenntnisreicher und gegenüber Juden und Palästinensern meiner Ansicht nach gleichermaßen fairer Historiker, schrieb 2004, dass einerseits im Großen und Ganzen die Flucht der Palästinenser nicht auf Anordnung palästinensischer oder arabischer Führer ergriffen wurde, wie von Israelis oft behauptet werde, dass es aber auch keinen Masterplan im Sinne einer systematischen Vertreibungspolitik gegeben habe, wie man den Arabern zwecks Dämonisierung Israels beigebracht hat (38).

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Araber nie kompromissbereit waren. Hätten sie 1937 dem Teilungsplan der Peel- Kommission zugestimmt, was die Juden widerwillig getan haben, wäre der Staat Israel auf etwa einem Fünftel (!) des heutigen Staatsgebietes im Nordwesten des heutigen Israel gegründet worden.

Es kam anders: Der für die Araber 1948 verlorene Krieg ist der wichtigste Grund für das Dilemma des palästinensischen Flüchtlingsproblems, denn ohne ihn wäre es nicht entstanden. Etwa 700.000 Palästinenser flohen aus ihrer Heimat oder wurden vertrieben. Die arabischen Staaten lehnten es anschließend ab, diese Menschen aufzunehmen und zu integrieren, sondern ließen sie in Flüchtlingslagern vegetieren, um neben anderen Maßnahmen — z.B. wirtschaftlichen Boykott und Terror — den israelischen Staat langfristig doch noch zu zerstören, wie folgende Zitate arabischer Führer belegen: „The refugee issue is a key political issue, the „winning card“ that will bring about the end of Israel (Fatah (39)).

Interview 1961 des damaligen ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser: “If the refugees return to Israel, Israel will cease to exist.”(40).

Ein früherer ägyptischer Außenminister: „With the demand to return the Palestinian refugees, the Arabs intend to return as masters, not as slaves, and in a clearer form— the intent here is the destruction of the State of Israel (41).

Von den anfangs 700.000 palästinensischen Flüchtlingen leben heute noch etwa 30.000 (42). Wieso ist immer die Rede von über 5 Millionen? Die Definition der Genfer Flüchtlingskonvention des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) lautet: Ein Flüchtling ist eine Person, die „[…] aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will […]“

Aber für die Palästinenser – einzigartig in der Welt — etablierte die Generalversammlung der Vereinten Nationen 1949 das temporär geplante, aber bis heute existierende Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, UNRWA. Hier werden Flüchtlinge wie folgt definiert:

Palästina-Flüchtlinge sind definiert als „Personen, die zwischen dem 1. Juni 1946 und dem 15. Mai 1948 ihren gewöhnlichen Wohnsitz in Palästina hatten und die infolge des Konflikts von 1948 sowohl ihre Heimat als auch ihre Lebensgrundlage verloren haben“.

Die Nachkommen männlicher Palästina-Flüchtlinge, einschließlich adoptierter Kinder, sind ebenfalls registrierungsberechtigt, was absurderweise bedeutet, dass der Flüchtlingsstatus weiter vererbt wird. Als die Agentur 1950 ihre Arbeit aufnahm, kümmerte sie sich um die Bedürfnisse von etwa 750 000 Palästinaflüchtlingen. Heute haben rund 5 Millionen Anspruch auf UNRWA-Leistungen. (43).

Man kann ohne weiteres als Neugeborener mit seiner Familie 1948 aus Palästina flüchten, in den USA Karriere als millionenschwerer Immobilienentwickler machen und seine Kinder im Luxus aufwachsen lassen und ist immer noch als palästinensischer Flüchtling bei der UNRWA registriert, genau wie die Nachkommen, die niemals auch nur einen Tag im Nahen Osten verbracht haben (44).

Bei den zahlreicheren jüdischen Flüchtlingen aus arabischen Ländern und dem Iran sah die Sache etwas anders aus. Bis 2016 widmete die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Palästinensern mehr als 170 von 700 Resolutionen, den jüdischen Geflüchteten keine einzige.

Palästinenser verloren zwar ihr Heim, mussten aber oft nur ein paar Kilometer über die Waffenstillstandslinie gehen, zum Beispiel in das Westjordanland, in dem die Bewohner die gleiche Sprache sprachen und mit denen sie eine gemeinsame Kultur hatten. Die Mizrahi, also die Juden in den arabischen Ländern, waren gezwungen, sich Tausende von Kilometern entfernt unter völlig fremden kulturellen und sprachlichen Gegebenheiten niederlassen (45).

Viele von ihnen fanden in westlichen Ländern Zuflucht, aber ungefähr 600.000, davon hunderttausende schwer durch den Terror Nazideutschlands Traumatisierte gingen nach Israel, in ein Land, welches wirtschaftlich am Boden lag und im Unabhängigkeitskrieg 1948 ein Prozent seiner Bevölkerung verloren hatte. Trotz nicht zu leugnender massiver Probleme und Auseinandersetzungen um diese Menschen, die verständlicherweise auf primitive Gegebenheiten trafen, hat der Staat Israel sie integriert, übrigens neben hunderttausenden von Palästinensern, die ebenfalls nach dem Unabhängigkeitskrieg freiwillig in Israel geblieben sind.

Die meisten von ihnen leben gerne relativ friedlich zusammen mit den jüdischen Israelis, trotz sicherlich vorhandener Diskriminierung. Umfragen zeigen , dass 77% der in Israel lebenden Palästinenser es ablehnen, in einem palästinensischen Staat leben zu wollen, sollte ein solcher gegründet werden (46).

Das Schicksal, unter Juden zu leben, scheint also kein besonders bemitleidenswertes zu sein. Homosexuelle Palästinenser riskieren Gefängnis und Folter unter dem seit 2009 nicht mehr demokratisch legitimierten Mahmoud Abbas, aber selbstverständlich nicht in Israel, wohin sie fliehen, um frei zu leben. In Israel, dem „schlimmsten Apartheid-Staat überhaupt“, wie Noa Tishby ironisch anmerkt, (47) wurde ein ehemaliger israelischer Staatspräsident von einem arabischen Richter zu Gefängnis verurteilt.

Im Gegensatz dazu leben Regierungskritiker im Westjordanland gefährlich und sterben manchmal brutal: Nizar Banat, ehemaliges Fatah-Mitglied, der es gewagt hatte, Abbas für dessen Absage der angeblich für 2021 geplanten Wahlen zu kritisieren, wurde nach mehreren Anschlägen schließlich von der Polizei verhaftet, zusammengeschlagen und wahrscheinlich ermordet. Folter und andere Misshandlungen sind in palästinensischen Gefängnissen verbreitet. Zwischen dem 1. Januar 2022 und dem 31. Mai 2022 gingen beim palästinensischen Ombudsman für Menschenrechte 55 Beschwerden über Folter und andere Misshandlungen durch Behörden im Westjordanland und 60 im Gazastreifen ein (48).

Es wurde schon erwähnt, dass auch Israel Fehler macht. Es ist kein Paradies auf Erden. Auch Juden haben ihre Gegner nicht immer mit Glacé -Handschuhen angefasst; man denke an Deir Yasin, das King David- Hotel -Attentat oder die Ermordung des Grafen Bernadotte, alle drei von jüdischen Extremisten zu verantworten. Zu kritisieren sind meiner Ansicht nach die guten Beziehungen, die Israel zu dem südafrikanischen Apartheidstaat unterhielt. Auch die Siedlungspolitik darf man kritisieren, ohne Antisemit zu sein.

Sehr selten werden Terrorakte von jüdischen Extremisten und Faschisten begannen; man denke an den schrecklichen Brandanschlag eines jungen jüdischen Siedlers in Duma im Westjordanland auf eine palästinensische Familie, wobei vor einigen Jahren dort ein 18 Monate altes Kleinkind und seine Eltern ermordet wurden (49). Der israelische Ministerpräsident hat die Tat sofort energisch verurteilt und als Terrorakt bezeichnet; der Täter wurde zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe verurteilt.

Wie sieht es auf der anderen Seite aus?

Die arabische Knesset- Abgeordnete Heba Yazbak preiste die „Märtyrer“ Dalal Mughrabi, die für die Ermordung von 13 Kindern und 25 Erwachsenen verantwortlich war und Samir Kuntar, der einen Vater und seine Tochter ermordete, auf Facebook. Der israelische Supreme Court befand, dass trotz dieser Abscheulichkeit die erneute Kandidatur Yazbaks für die Knesset zulässig sei, denn es gelte die Freiheit der Rede (50). Wiederum ist dieses Verhalten schwerlich als rassistisch einzuordnen.

„Der Märtyrer“ Samir Kuntar und 4 andere Terroristen waren aus dem Libanon mit einem Boot an der nordwestlichen Mittelmeerküste in Nahariya angelandet. Nachdem sie einen Polizisten ermordet hatten, überfielen sie das Haus der vierköpfigen Familie Kaiser. Als die Polizei erschien, war das letzte, was die vierjährige Tochter Einat erlebte, der Mord an ihrem Vater, den Kuntar erschoss. Danach — so berichteten Augenzeugen—schlug er mit einem Gewehrkolben dem kleinen Mädchen den Schädel ein. Wie ihre Mutter Smadar Haran Kaiser weiter schrieb, hat sie selbst ihre andere Tochter, die zweijährige Yael, versehentlich erstickt, als sie dem weinenden Kind den Mund zuhielt, damit die Terroristen nicht auf ihr Versteck aufmerksam wurden (51) . Samir Kuntar erfuhr für diese Heldentat höchste Ehrungen, wurde vom syrischen Staatschef Baschar al-Assad, dem früheren iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad und Hassan Nasrallah, dem Generalsekretär der Hisbollah im Libanon empfangen. Nach der 13-fachen Kindermörderin Dalal Mughrabi wurde ein Sommerferienlager benannt, wo man sie als vorbildliche Heldin und Märtyrerin bejubelt (52).

Bis heute belohnt die palästinensische Autonomiebehörde Judenmord auch mit Geldzahlungen. Je mehr Juden, egal ob Soldaten, Zivilisten, Frauen oder Kinder ein Attentäter umbringt, desto höher fällt diese „Schlachtprämie“ (pay for slay) aus, die natürlich nicht so genannt wird, die ihm bzw. seiner Familie aber seitens der palästinensischen Autonomiebehörde zuerkannt wird.

Wer stahl Palästina ?

Wer hat wirklich den Palästinensern Land gestohlen? Wahrscheinlich würden 99 von 100 „Antizionisten“ diese Tat ohne lange Überlegung dem jüdischen Staat in die Schuhe schieben. Aber damit liegen sie falsch: Die Haschemiten, benannt nach Haschim ibn Abd Manaf, dem Urgroßvater Mohammeds, stammen keineswegs aus Jordanien, sondern aus dem westlichen Teil des heutigen Saudi-Arabiens, in dem auch Mekka und Medina liegen, ab 1916 Königreich Hedschas unter Hussein ibn Ali, der sich mit Großbritannien verbündet hatte, um die Herrschaft der Osmanen abzuschütteln. Die Briten, die in diesen Zeiten bekanntlich vielen vieles versprachen, stellten ihm als Belohnung für den Krieg gegen die Osmanen einen unabhängigen arabischen Staat in Aussicht, der das Gebiet des heutigen Palästina, Israel, Irak, Jordanien und Syrien umfasste.

Mit dem Sykes- Picot Abkommen von 1916, welches Libanon und Syrien zu französischen sowie Palästina und den Irak zu britischen Mandaten erklärte, war dieser Plan Makulatur. Auf der San Remo Konferenz 1920 wurde Großbritannien dann das Völkerbundmandat für Palästina (entspricht dem heutigen Israel, Westjordanland, Gaza- Streifen und Jordanien) zwecks Gründung einer jüdischen Heimstätte gemäß der Balfour-Deklaration zugesprochen. Ein aufschlussreiches Zitat des damaligen britischen Kolonialministers beweist, dass ein jüdischer Staat beidseits — und nicht nur westlich – des Jordans errichtet werden sollte.

“…there should be created in our own lifetime by the banks of the Jordan a Jewish state…” (53).

Aber ein Jahr später mussten die Juden diesen Traum begraben. Stattdessen wurde der Sohn Husseins, Abdullah, mit dem östlichen Mandatsgebiet, später Transjordanien genannt, belohnt, was angeblich durch einen Federstrich Churchills an einem Sonntagnachmittag geschah. Es waren also die Briten, die somit fast vier Fünftel Palästinas abteilten und einem mekkanischen Clan auf dem Silbertablett überreichten.

Palästina mutierte wie gesagt zu „Transjordanien“, dem heutigen Jordanien und eine etwaige jüdische Besiedlung wurde verhindert (54). In weit größerem Maße müssten sich die Palästinenser also bei Jordanien und Großbritannien beschweren; die einen waren die Diebe und die anderen die Hehler. Damit war der Siedlerkolonialismus aber nicht beendet: Die arabischen Invasoren verloren zwar den Krieg 1948, aber Ägypten okkupierte den Gazastreifen, Abdullah das für einen palästinensischen Staat vorgesehene Westjordanland und einen Teil Jerusalems, der eigentlich international verwaltet werden sollte.

Jordanien annektierte aber diese Gebiete, was denkwürdiger Weise nur von Großbritannien und Pakistan anerkannt wurde. Bard fragt zu Recht: Wo waren die Verteidiger der Rechte der Palästinenser auf Selbstbestimmung? Wo waren die UN Resolutionen, die die Etablierung eines palästinensischen Staates forderten? Wo waren die Kreuzritter der Menschenrechte und die Boykottadvokaten? (55). Aber nichts ist zu hören von Israel kritischen Organisationen wie BDS (boycott, divestment and sanctions), „Palästina spricht“, B´tselem, Breaking the silence , der deutsch-palästinensischen Gesellschaft oder der „jüdischen Stimme für gerechten Frieden“. Auch prominente „Antizionisten“, die wir besser Antisemiten mit selbst verabreichtem Koscher—Stempel nennen sollten, schweigen dazu.

Ausblick

Am Ende des Tages ist wohl der Befund der frühen Pioniere wie David Ben Gurion richtig, dass nach dem Krieg 1948 ein Bevölkerungsaustausch zwischen Juden und Palästinensern stattgefunden hat und nicht nur eine Flucht palästinensischer Bevölkerung.

Vor 20 Jahren gründeten Juden in den USA das Bündnis „Justice for Jews from Arab Countries.“ Die Knesset beschloss 2010, dass keine israelische Regierung ein Friedensabkommen unterzeichnen darf, das nicht auch die Frage der Entschädigung der jüdischen Flüchtlinge aus den arabischen Ländern und aus dem Iran regelt.

Der den 850.000 geflüchteten Juden angerichtete rein wirtschaftliche Schaden wurde nach heutigem Wert mit ca. 300 Milliarden US- Dollar beziffert; Dokumente beweisen außerdem, dass die Juden in den arabischen Ländern Land im Umfang von 100.000 km² zurücklassen mussten, also ein Gebiet, welches mehr als der fünffachen Größe des heutigen Israel entspricht. (56)

Es besteht meiner Ansicht nach kein Zweifel, dass eine Lösung des Konflikts ohne Berücksichtigung der Anliegen jüdischer Flüchtlinge aus arabischen Ländern und dem Iran keine gerechte sein würde.

Bild oben: Eine jüdische Familie im Jemen auf dem Weg zu einem Auffanglager in Aden, Foto: Zoltan Kluger

Anmerkungen:

1) Gilbert M. Israel: A History. 1998. S. 418
2) Segev T. Es war einmal ein Palästina. Juden und Araber vor der Staatsgründung Israels, München 2005, S.356-7
3) spektrum.de/un-zugehoerig/die-juden-unterm-halbmond-ging-es-ihnen-wirklich-gut/ Zugriff 04.02.21
4) jewishvirtuallibrary.org/jewish-refugees-from-arab-countries, Zugriff 11.01.21.
5) Weinstock N. Der zerrissene Faden. Wie die arabische Welt ihre Juden verlor 1947 bis 1967. Freiburg, Wien 2020, 13f.
6) Adel Theodor Khoury Der Koran Arabisch— Deutsch Gütersloh, Sure 9,29
7) Koran 5,82
8) Stillman NA. The Jews of Arab Lands, Philadelphia 1979, 241.
9) Lewis B. Die Juden in der islamischen Welt, München 2004, S.23 u. 32-35
10) Weinstock N. Der zerrissene Faden. Wie die arabische Welt ihre Juden verlor 1947 bis 1967. Freiburg, Wien 2020, S. 305.
11) Trigano S. Le Monde sépharade, 1. Histoire: Paris 2006 Kindle-Pos. 8908-8917.
12) Trigano Kindle Pos. 8902-8908.
13) Benjamin IJ. Acht Jahre in Asien und Afrika. Von 1846-1855. Hannover 1850, 205-206.
14) Stillman 1979, 308.
15) Weinstock 171.
16) Stillman NA The Jews of Arab Lands in Modern Times. Philadelphia, New York 1991, 119 u. 137
17) Black E. The Farhud. Roots of the Nazi-Arab-Alliance in the Holocaust. Washington 2010, S3-4 und 299-305.
18) Stillman modern 145-45
19) Weinstock 89-91.
20) Rahmani M. L´exode oublié. Juifs des pays arabes. Mesnil-sur- l´Estrée, 2003, 294.
21) Weinstock 330.
22) Bostom AG: The legacy of Islamic antisemitism: from sacred texts to solemn history. 2020, 594f
23) Weinstock 331 .
24) Stillman 340f
25) Weinstock 354f
26) Segev T. Es war einmal ein Palästina. Juden und Araber vor der Staatsgründung Israels, München 2005,353ff
27) Rahmani 297f
28) Mandel NJ. The Arabs and Zionism before world war I, Berkeley 1976,175
29) https://zionism-israel.com/hdoc/Arab_League_Law_Jews.htm
30) Douglas RM Orderly and Humane. The Expulsion of the Germans after the Second World War, New Haven und London 2012 S.1).
31) Khaled A T. PLO’s Ashrawi: No such thing as Jewish refugees Jerusalem Post 01.09.12. Zugriff 30.03.21
32) Khalidi R, Palestine. Liberation Deferred. Nation, 08. 2008 Zugriff:31.03.21
33) Massad J. The Big Story | Occupation. The truth behind Israeli propaganda on the ‚expulsion‘ of Arab Jews https://www.middleeasteye.net/big-story/truth-behind-israeli-propaganda-expulsion-arab-jews Zugriff: 12.11.21
34) Timm, A (Hrsg). 100 Dokumente aus 100 Jahren. Teilungspläne, Regelungsoptionen und Friedensinitiativen im israelisch- palästinensischen Konflikt (1917-2017), Berlin 2017, S.15.
35) Shlaim A. Growing outrage at the killings in Gaza 16 Jan 2009 theguardian.com/world/2009/jan/16/gaza-israel-petitions Zugriff 12.02.21
36) Shlaim A. The Iron Wall. Israel and the Arab World London London 2014, 653-4
37) https://jcpa.org/article/does-a-palestinian-right-of-return-exist-in-international-law/ 05.02.22
38) theguardian.com/world/2004/jan/14/Israel
39) Mideastweb.org/fatah_refugee_statement.htm
40) Tabarani GG, Israeli-Palestinian Conflict: From Balfour Promise to Bush Declaration: The Complications and the Road for a Lasting Peace, S. 82.
41) Schoenberg HO. A Mandate for Terror: The United Nations and the PLO, New 1989, S. 239.
42) timesofisrael.com/us-senate- dramatically-redefines-definition-of-palestinian refugees
org/palestine-refugees.
44) Tishby N. Israel. A simple guide to the most misunderstood country on earth New York, 2021, S. 118.
45) Bard MG. Myths and Facts. A Guide to the Arab-Israeli Conflict. Blaine, USA 2017,S.143.
46) Tishby 176.
47) Tishby S. 173.
48) amnesty.ch/de/laender/naher-osten-nordafrika/israel-besetzte-gebiete/dok/2022/keine-gerechtigkeit-nach-tod-eines-kritikers# Zugriff 28.10.22.
49) reuters.com/article/us-israel-palestinians-duma-verdict-idUSKBN22U0L5 (Zugriff 20.05.22)
50) Tisby 174.
51) Kaiser SH. The World Should Know What He Did to My Family May, Washington Post. 18.05.03, Zugriff 12.05.21
52) palwatch.org/page/13022, Zugriff 13.02.21
53) Winston Churchill, Ilustrated Sunday Herold 8.2.1920, zit. N.: Gilbert M. The Routledge Atlas of the Arab-Israeli Conflict, London, 2002, S.8.
54) Jewishvirtuallibrary.org/when-churchill-severed-transjordan-from-palestine 03.05.22
55) Bard M. Who stole Palestinian land? Jordan jns.org/opinion/who-stole-palestinian-land-jordan/ Zugriff: 04.07.22.
56) jpost.com/Jewish-World/Jewish-News/Expelled-Jews-hold-deeds-on-Arab-lands