Auf-Hören.

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Pascal Elbés neuer Film „Schmetterlinge im Ohr“

Von Miriam N. Reinhard

Claire (Sandrine Kiberlain) geht vor allem der Wecker ihres Nachbars Antoine (Pascal Elbé) gewaltig auf den Wecker – dieser schrillt nämlich jeden Morgen so laut, dass er drei Häuserblocks weiter noch den Puls hochgehen lassen könnte. Nur hört der selbstgefällig im Tiefschlaf und in sich selbst versunkene Mann ihn trotzdem nicht immer, denn er hört insgesamt nicht mehr sonderlich viel.

Mit seinem neuen Kinofilm „Schmetterlinge im Ohr“ nimmt sich der Regisseur und Schauspieler Pascal Elbé des Themas Schwerhörigkeit an. Es ist kein Film über Rentner, der in Altenheimen spielt – wenn auch der Aspekt des Alterns unter verschiedenen Gesichtspunkten im Film verhandelt wird – der Protagonist Antoine, von Elbé selbst überzeugend verkörpert, ist um die 50, steht noch voll im Berufsleben als Geschichtslehrer. Doch seine Schüler haben begründet das Gefühl, von ihm weder gehört noch verstanden zu werden. Konferenzen rauschen an ihm vorbei, er versteht nur die Hälfte von den Themen, die dort oft hochemotional diskutiert werden und die andere Hälfte versteht er falsch. Und wenn er dann noch von dem romantischen Geflüster der Liebsten im Bett absolut gar nichts gehört hat, dann – spätestens dann, beginnt es irgendwann sehr still und einsam um ihn zu werden.

Nach einem längeren Zustand der Verleugnung kann Antoine sich zu einem Hörtest durchringen und kriegt so bestätigt, was er wohl selbst schon geahnt haben wird: Er hört verdammt schlecht. Ein Hörgerät schafft Abhilfe. Der Zuschauer bekommt vermittelt, wie unterschiedlich das Hörerleben ist, wenn Antoine das Hörgerät ein- und ausschaltet. Wir hören mit ihm, wie er die Welt wieder neu entdeckt: die auf das Fenster fallenden Regentropfen, das Vogelgezwitscher, aber auch, wie Nebengeräusche ins Unerträgliche gesteigert an sein Ohr gelangen – als könne der Flügelschlag eines Schmetterlings potentiell ein Schmettern verursachen, das das Trommelfell zerschlägt. Wir hören dann auch, wie alles im dumpfen Gemurmel versinkt, wenn das Hörgerät wieder abgeschaltet ist, fast so, als gleite die Welt irgendwie aus den Fugen ins Off.

Mehr noch als andere Menschen muss Antoine sich auch auf das verlassen können, was er sieht und das Gesehene interpretieren – und so lässt er sich irritieren als Violette (Manon Lemoine), die Tochter von Claire, eines Tages vor der Tür zu ihrer Wohnung sitzt und nicht hineingehen will. Da sie nach dem Tod des Vaters verstummt ist, auch mit ihrer Mutter nicht mehr sprechen will, muss Antoine intuitiv erahnen, was in dieser Situation richtig sein könnte, er muss eine stumme Anfrage, die sich an ihn richtet, erkennen und beantworten – so geht er mit ihr in die Wohnung, findet die Mutter, wohl nach dem Konsum eines Joints, schlafend vor und macht dem Kind Abendbrot. Er erzählt dem schweigenden Mädchen, dass er nicht mehr viel hört, deswegen sei es auch völlig in Ordnung, dass sie nicht sprechen würde und auch, dass sie im Schlaf schreie, denn auch das höre er ja nicht.

Das Kind fasst Vertrauen zu dem seltsamen Mann und auch Claire, gelingt es, auf-zu-hören, genauer hinzusehen und hinzuhören, mit wem sie es da eigentlich zu tun hat…sie kann auf-hören ihre Situation als junge Witwe als perspektivlos zu betrachten; so kann auch Violette schließlich auf-hören, zu schweigen: Sie findet ihre Stimme wieder, als sie merkt, dass es sich lohnt – dass Antoine einer ist, der sie unbedingt richtig hören möchte und dass es auch gut sein kann, von ihm und anderen Erwachsenen gehört zu werden. So erkämpfen sie sich zu Dritt einen Raum im Leben zurück.

Mit „Schmetterlinge im Ohr“ hat Pascal Elbé einen leichten, durchaus auch unterhaltsamen Film auf die Leinwand gebracht, der einige anrührende Szenen birgt, den man dennoch nicht einfach nur an sich vorbeirauschen lassen sollte, denn er sensibilisiert dafür, wie sehr unsere Lebenswelt immer auch eine Wirklichkeit des Hörbaren ist. Er zeigt eindrucksvoll, dass die Bezüge, die wir zu unserer Umwelt aufbauen, auch aus Akustik bestehen. In „Die Welt ist Klang“ hat der Jazzexperte Joachim E. Berendt uns darauf aufmerksam gemacht, wie sehr das Hören die Erkenntnis bedingt: „Das Feld des Gesehenen ist Oberfläche. Der Bereich des Gehörten ist Tiefe. Das Auge tastet Flächen ab. Nichts aber kann durch das Ohr wahrgenommen werden, was nicht e i n dringt.“

In diesem Sinne sollte Elbés Film zu unseren Sinnen vordringen können. „Schmetterlinge im Ohr“ kommt ganz ohne große Sätze aus, aber er lässt dafür Zwischentöne hörbar werden: jene Zwischentöne, aus denen die Melodie der Zwischenmenschlichkeit komponiert ist. Sehen wir zu, wie es ist, einander hören zu können.