Da ich diese Zeit selbst in Baden bei Wien erlebte, möchte ich diesem Journalisten und all den guten Seelen, die glauben gelegentlich das heutige Deutschland mit der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft vergleichen zu müssen, den Unterschied erklären…
Von Karl Pfeifer
Wie ein prominenter ORF Journalist denkt fand ich in der aktuellen Ausgabe der „Zeit“:
„Die Österreicher neigen nicht zum Aufstand – auch die Corona-Demos haben keine Regierung gestürzt. Aber die Flüchtlingskrise hat Reaktionen ausgelöst, über die ich erschrocken bin. Ich habe mich als Jugendlicher viel mit der NS-Zeit beschäftigt und konnte nie verstehen, wie so etwas möglich war – aber 2016, nach der Silvesternacht in Köln, hatte ich das Gefühl, man könnte wieder „Reibpartien“ organisieren, Menschen mit Zahnbürsten die Straße putzen lassen, und es würde eine johlende Menge herumstehen. Es würden hoffentlich auch viele dazwischengehen, aber trotzdem.“ *
Da ich diese Zeit selbst in Baden bei Wien erlebte, möchte ich diesem Journalisten und all den guten Seelen, die glauben gelegentlich das heutige Deutschland mit der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft vergleichen zu müssen, den Unterschied erklären.
In Baden bei Wien wurden Juden und Jüdinnen wahllos zu einer Reibpartie gezwungen. Man wollte sie dafür bestrafen, weil sie als Juden geboren worden sind.
Meine Mutter, damals 50 Jahre alt, hatte auch panische Angst, man könnte sie dazu zwingen, wenn sie einkaufen geht. Zum Glück kam unsere Mieterin Frau Weber herunter vom 1. Stock, tröstete meine Mutter und ging für sie einkaufen.
In Köln haben aus Nordafrika stammende junge Männer und Jugendliche am Bahnhof in Köln Frauen belästigt und drangsaliert und damit Gesetze verletzt. Wenn dieser Moderator die beiden Situationen vergleicht, dann meint er damit, dass diese jungen Männer und Jugendlichen für ihr Handeln nicht verantwortlich sind.
Dieser Standpunkt ist paternalistisch, denn er macht aus Tätern potentielle Opfer. Der Vergleich der grundverschiedenen Ausgangslagen ist pervers.
© Karl Pfeifer
Replik von Armin Wolf (18.07.)
Karl Pfeifer hat meine Aussage in der Österreich-Ausgabe der ZEIT offensichtlich missverstanden oder – was ich leider eher vermute – mit Anlauf fehlinterpretiert. Ich habe mich in dem Interview über die Flüchtlingskrise 2015/2016 geäußert und über die damalige Stimmung gegenüber Flüchtenden in Österreich. (Wo Herr Pfeifer in meinem Interview irgendetwas über „das heutige Deutschland“ liest, weiß ich leider nicht.)
Wie sich wohl alle erinnern können, ist diese Stimmung spätestens nach der berüchtigten „Kölner Silvesternacht“ dramatisch umgeschlagen. Aus dem „Willkommen“ und der Hilfsbereitschaft des Sommers 2015 wurde im Frühling 2016 bei vielen Menschen – durchaus auch politisch geschürt – Skepsis, Ablehnung, sogar offener Hass gegenüber Flüchtenden. In sozialen Medien konnte man damals tatsächlich den Eindruck gewinnen, man könnte in Österreich nun wieder „Reibpartien“ organisieren, diesmal mit Asylwerber·innen statt mit Jüdinnen und Juden.
Nur: Die Flüchtlinge in Österreich konnten nichts für übergriffige und gewalttätige Männer in Köln. Wie Herr Pfeifer auf die groteske Idee kommt, ich würde die Männer, die in Köln gewalttätig waren, „für ihr Handeln nicht verantwortlich“ machen, weiß ich nicht. Ich würde allerdings auch zur Bestrafung der Täter von Köln „Reibpartien“ ablehnen. Dafür gibt es Gesetze, Gerichte und rechtsstaatliche Verfahren.
Wo in meiner Interview-Aussage aus „Tätern potentielle Opfer“ gemacht werden, ist mir ein Rätsel. Und dass Herr Pfeifer meine Bestürzung über die offene Fremdenfeindlichkeit damals „pervers“ nennt, macht mich, offen gestanden, fassungslos.
Replik Karl Pfeifer (18.07.):
Armin Wolf unterstellt mir, ich hätte seine Bestürzung über offene Fremdenfeindlichkeit pervers genannt. Das habe ich nicht getan, mir ging es lediglich um den Vergleich einer fremdenfeindlichen Stimmung 2016 mit der Lage der Juden 1938 in Österreich.
Der Punkt ist nicht, dass die Stimmung in Österreich umgeschlagen ist und dass die Asylwerber in Österreich nichts mit den Taten von Köln zu tun hatten. Das habe ich nicht bestritten.
Aber als jüdischer Österreicher, der 1938 die Stimmung bewusst erlebt hat, halte ich den Gedanken, dass im heutigen Österreich Reibepartien unter staatlicher Aufsicht organisiert werden könnten – nach wie vor – für pervers. Die staatliche Aufsicht, die Polizisten die lachend danebenstanden, war bezeichnend für die Lage 1938.