„Falke“ und „Taube“ in einer Person

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© Avi Shimchoni / IDF Spokesperson's Unit, CC BY-SA 3.0

Am 1. März wäre Yitzhak Rabin 100 Jahre alt geworden. Grund genug, an das Lebenswerk und Vermächtnis genau des Mannes zu erinnern, der die Vision eines friedlicheren Nahen Ostens für eine gewisse Zeit in greifbare Nähe rücken ließ.

Von Ralf Balke

Manche Worte aus seiner letzten Rede lesen sich im Rückblick wie das Fazit seines Lebens. „Der Weg des Friedens ist dem Weg des Krieges vorzuziehen. Ich sage euch dies als jemand, der 27 Jahre lang ein Mann des Militärs war“, so Yitzhak Rabin am 4. November 1995 vor dem Rathaus in Tel Aviv, nur wenige Minuten bevor er von Yigal Amir, einem Jurastudenten und fanatischen Anhänger der Siedlerbewegung, ermordet wurde. Denn wie seine Biographie zeigt, so war Rabin nicht nur einfach ein erfahrener Offizier und Generalstabschef, sondern ebenfalls ein versierter Diplomat und Politiker, der letztendlich über Umwege zum Friedensstifter werden sollte – und dafür einen hohen Preis bezahlen musste.

Die Bluttat vom 4. November hatte Israel zutiefst erschüttert, weil man auf diese Weise drastisch vor Augen geführt bekam, dass in Teilen der Gesellschaft ein Gewaltpotenzial vorhanden war, das man entweder ignoriert oder verdrängt hatte. Nicht zuletzt deshalb gehört das Datum seither zum festen Kanon der nationalen Gedenktage, die jedes Jahr stattfinden. Aber auch die Welt zeigte sich damals schockiert von dem Mord, den der „lächelnde Student“, wie Yigal Amir in den Medien bald hieß, begangen hatte. Unvergessen ebenfalls das „Schalom, Chaver“ eines sichtlich von Trauer bewegten US-Präsidenten Bill Clinton, der gemeinsam mit unzähligen Staatsoberhäuptern aus aller Welt in Jerusalem Abschied von dem ermordeten israelischen Ministerpräsidenten nahm. Denn mit Rabin wurde ein Mann zu Grabe getragen, der durch seinen Pragmatismus und Mut zu einer Art Symbolfigur für einen besseren, weil friedlicheren Nahen Osten aufstieg. Doch wer war dieser Mensch, der Politiker und Militär, der das Schicksal des Staates Israel auf derart vielfältige Weise über viele Jahrzehnte hinweg mitgestaltete? Was motivierte den erfahrenen Berufssoldaten dazu, sich für eine neue Friedensordnung einzusetzen und sogar einer Person wie PLO-Anführer Yassir Arafat – wenn auch zögerlich – letztendlich die Hand zu reichen? Die Tatsache, dass Rabin am 1. März 100 Jahre alt geworden wäre, ist ein guter Grund, noch einmal auf seine Vita und seine Verdienste zurückzublicken.

Jitzhak Rabin und seine Frau Lea, 1948, © Government Press Office (Israel), CC BY-SA 3.0

Wie kaum ein anderer verkörperte der 1922 in Jerusalem geborene Yitzhak Rabin den Inbegriff des Sabra, des im Lande geborenen Juden, dessen Leben in vielerlei Hinsicht durch den Gründungs- und Existenzkampf des jungen Staates bestimmt wurde. Rabins militärische Karriere begann jedoch bereits viel früher, und zwar 1941 bei der Palmach, jener Elitetruppe innerhalb der vorstaatlichen militärischen Untergrundorganisation Haganah um die sich bis heute noch viele Legenden ranken. Auch nahm er damals am syrisch-libanesischen Feldzug teil, als die Briten mit Hilfe jüdischer Kämpfer das von Vichy-Frankreich beherrschte Gebiet nördlich Palästinas eroberten. Seinen eigentlichen Ruhm aber begründete Rabin als Kommandeur der Harel-Brigade, die sich auf der sogenannten „Burma-Road“ den Weg nach Jerusalem freikämpfte und somit die israelische Kontrolle zumindest über den Westteil der Stadt sicherte. 1964 erfolgte die Ernennung zum Generalstabschef 1964. In dieser Funktion hatte er maßgeblich Anteil am spektakulären Sieg Israels im Sechs-Tage-Krieg von 1967. Einer der Gründe: Weil der damals regierende Ministerpräsident Levi Eshkol ein Mann ohne militärische Erfahrungen war, schien er geradezu gezwungen, sich auf die Expertise von Personen wie Rabin zu verlassen. Oder wie Eshkol es später in seinen Memoiren einmal auf den Punkt brachte, folgte er den Empfehlungen Rabins „mit geschlossenen Augen“. Und das war auch richtig so.

Stabschef Yitzhak Rabin gratuliert Major Arieh Ben Or nach der Befreiung Jerusalems im Sechstagekrieg, © IDF Spokesperson’s Unit, CC BY-SA 3.0

Rabins steile militärische Karriere bildete zugleich auch das Fundament für seine spätere politische Laufbahn, und zwar in der seit 1948 regierenden Arbeiterpartei. Der erfolgreiche Stratege schuf sich recht bald eine parteiübergreifende Reputation als analytischer und in sicherheitspolitischen Kategorien denkender Staatsmann. Das half ihm jedoch wenig, wenn es darum ging, von den Schlammschlachten im eigenen politischen Lager verschont zu bleiben. Vor allem eine Person fiel immer wieder durch Intrigen gegen ihn auf, und das war ausgerechnet sein späterer Partner bei der Konzeption des Gaza-Jericho-Abkommens von 1993, nämlich Shimon Peres. Die Vendetta zwischen den beiden reicht weit zurück in die frühen 50er Jahre. Hier die Hintergründe: Mit der Schaffung der israelischen Armee nach der Staatsgründung kam die Forderung auf, die als elitär geltenden Palmach-Einheiten aufzulösen. Treibende Kraft hinter diesem Plan war Peres, der unter der Ägide von David Ben Gurion stand und bald schon zum Generaldirektor des Verteidigungsministeriums aufsteigen sollte. Und einer der wichtigsten Palmach-Kommandeure wiederum hieß Yitzhak Rabin. Ihm gefiel dieses Vorhaben von Peres überhaupt nicht.

Das war aber erst der Anfang einer Rivalität zwischen den beiden Protagonisten innerhalb der Arbeiterpartei, die hinter all der Rhetorik von israelisch-palästinensischer Versöhnung und den Lobreden rund um die Verleihung des Nobelpreises in den frühen 1990er Jahren ein wenig in den Hintergrund geraten sollte. Und der nächste Streit folgte sofort. Denn als Leiter des Verteidigungsministeriums favorisierte Peres in den 1950er Jahren eine Allianz mit Frankreich. Rabin dagegen befürwortete das enge Bündnis mit den Vereinigten Staaten. Damals setzte sich Peres mit seiner Linie durch, unterlag aber mit seiner Unterstützung einer Kandidatur von Ezer Weizman für den Posten des Generalstabschefs der Armee. Ernannt wurde schließlich Rabin – sehr zur Verbitterung von Peres. In den internen Kämpfe um die Führungsrolle innerhalb der Arbeiterpartei setzte sich Peres daraufhin für die Fraktion Moshe Dayans ein. Rabin stand auf Seiten von dessen Erzrivalen Yigal Allon. Und dank Peres sollte Dayan kurz vor Ausbruch des Sechs-Tage-Krieges den Posten des Verteidigungsministers erhalten, was dazu führte, dass der sensationelle Sieg von 1967 eher mit dem Mann mit der Augenklappe in Verbindung gebracht wurde und weniger mit seinem eigentlichen Architekten, dem Generalstabschef Rabin.

In den 1970er Jahren kämpften Rabin und Peres um den Vorsitz in der Arbeiterpartei, und das ebenfalls mit harten Bandagen. So hatte sich beispielsweise Weizman bei Peres für dessen frühere Rückendeckung in der Form bedankt, in dem er Gerüchte über einen vermeintlichen Nervenzusammenbruch Rabins kurz vor Beginn des Sechs-Tage-Krieges lancierte. Auch Geschichten über unkontrollierten Alkoholkonsum machten bald die Runde. Rabin selbst ging 1968 für mehrere Jahre als Botschafter nach Washington, konnte sich so also eine Zeitlang dem Haifischbecken der israelischen Innenpolitik ein wenig entziehen. Dennoch kehrte nach dem Yom-Kippur-Krieg nach Israel zurück, wurde Arbeitsminister im letzten Kabinett von Golda Meir und 1974 schließlich zum erst Mal Ministerpräsident. Zuvor noch hatte er in den parteiinternen Abstimmungen um die Kandidatur Peres besiegt. Seither haftete seinem Konkurrenten der Ruf an, die „ewige Nummer Zwei“ in der Avoda zu sein – eine Demütigung, die Peres nur schwer verdauen konnte, weshalb er immer wieder gegen Rabin stichelte. Selbst in seinen autobiographischen Erinnerungen, die Peres Anfang der 1990er veröffentlichte, zeigte sich diese Haltung, und zwar in den Schilderungen rund um die Geiselbefreiung von Entebbe. Peres selbst skizziert sich darin als die treibende Kraft bei der Planung dieses draufgängerischen Unternehmens; Rabin dagegen bekam die Rolle des großen Zögerers zugesprochen.

Premierminister Yitzhak Rabin und Verteidigungsminister Shimon Peres begrüßen die Entführten des Air France-Flugzeugs, das nach Entebbe entführt und von der IDF im Rahmen der Operation Thunderball befreit wurden, © Uri Herzl Zachik / IDF Spokesperson’s Unit, CC BY-SA 3.0

Intrigen waren dagegen nicht das Mittel der Wahl bei Rabin. Ganz im Gegenteil! Er fiel eher durch eine Gradlinigkeit auf, die ihm zwar das Amt des Ministerpräsidenten kostete – so trat Rabin 1977 wegen Besitzes eines damals illegalen Bankkontos seiner Frau in den Vereinigten Staaten aus seiner Zeit als Diplomat in Washington zurück. Im Vergleich zu den Skandalen seiner Nachfolger, allen voran Benjamin Netanyahu, scheint das heute wie eine Lappalie. Und langfristig sollte sich diese konsequente Haltung positiv für sein Image auszahlen: Nach seiner Rolle als Verteidigungsminister in den Jahren zwischen 1984 und 1990 kam es 1992 erneut zum Showdown zwischen ihm und Peres in der Frage, wer die Arbeiterpartei in den Knesset-Wahlen anführen wird, wobei sich Rabin wieder durchsetzen konnte und bei dem Urnengang als Sieger hervorgehen sollte. Erstmals seit 15 Jahren konnte so eine Regierung ohne den Likud gebildet werden.

Die eigentlichen Motive, warum Rabin in seiner zweiten Amtszeit als Ministerpräsident sich dann auf das Wagnis Friedensprozess einließ, sind vielfältiger Natur. Da sind zum einen die veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen in der Region durch das Ende des Kalten Krieges zu nennen. Aber ebenso zählen ganz persönliche, wie es David Horovitz, einer seiner Biographen einmal formulierte. Als Zeuge, wie schon die dritte Generation von Soldaten ihr Blut vergoß, reagierte er zunehmend empfindsam auf die Verluste junger Menschenleben, was jedoch keinesfalls als Sentimentalität verstanden werden darf. Und letztendlich waren auch wirtschaftliche Gründe ausschlaggebend. Vor die Alternative gestellt, mit den zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen – in diesem Fall amerikanische Kredite – viele hunderttausend Neueinwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion zu integrieren oder die kostspielige und außenpolitisch problematische Siedlungspolitik seiner Vorgänger weiter wie bisher zu betreiben, entschied er sich für die erste Option und stellte damit die Weichen zugunsten des Friedensprozesses.

Dabei entfernte sich Rabin nie von dem Grundgedanken, dass nur ein starkes Israel bereit sein kann für Zugeständnisse. Aus einer Position der Schwäche heraus hätte er sich zu keinem Moment Arafat oder einem anderen arabischen Potentaten genähert oder wäre mit ihnen gar Kompromisse eingegangen. Und es war genau diese einzigartige Mischung aus „Falke“ und „Taube“ zugleich, die Rabin zum Mandat für den Frieden verhalf – übrigens das große Manko seines ewigen Rivalen Peres, der einfach nicht über die militärischen Credentials verfügte wie er. Womit er aber trotz aller politischen Erfahrungen und militärischen Professionalität ebenso nicht gerechnet hatte, war das Gewaltpotenzial, das sich auf Seiten der Gegner des Friedensprozesses aufbaute, vor allem in Teilen des nationalreligiösen Spektrums. Und weil sich dieses ohne nennenswerte Gegenwehr oder Sanktionen entfalten konnte, stand am Ende der politische Mord – für Israel eine traumatisierende Erfahrung, die bis heute nachhallt.

Bild oben: © Avi Shimchoni / IDF Spokesperson’s Unit, CC BY-SA 3.0