Ist der Drache koscher oder nicht?

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Die neue Seidenstraße reicht bis westlich des Jordans. Ob Eisenbahnen, neue Häfen oder Tunnel – wo immer in Israel gerade gebaut wird, sind chinesische Unternehmen mit am Start. Aber auch an Hightech ‚Made in Israel‘ hat man in China ein gesteigertes Interesse. Doch die vielen Investitionen aus dem Reich der Mitte sollten ebenfalls Anlass zur Sorge sein.

Von Ralf Balke

Einst gehörte Tnuva zu den Ikonen des zionistischen Aufbauwerks. Als Genossenschaft zwecks Vermarktung von Milchprodukten 1926 von der Kibbutz-Bewegung gegründet, war das Unternehmen in Israel quasi omnipräsent, und zwar so sehr, dass es bereits vor Jahren von der Kartellbehörde des Landes zum Monopolisten erklärt wurde. 2014 dann die Übernahme durch die Bright Food Group – der chinesische Lebensmittelhersteller legte für 56 Prozent der Anteile satte 2,5 Milliarden Dollar auf den Tisch. Einer der ältesten israelischen Produzenten von Milchprodukten und anderen Nahrungsmitteln wie Tiefkühl-Gemüse oder -Fleisch hatte nun den Besitzer gewechselt und gehört seither ins Reich eines chinesischen Staatskonzerns. Und der hat selbstverständlich nicht so viel Geld ausgegeben, damit die Chinesen in den Genuss von Cottage kommen, dem berühmten israelischen Hüttenkäse. Vielmehr wollte man das Know-how einkaufen. Denn Tnuva ist Weltspitze, wenn es um die Entwicklung von künstlich erzeugtem Fleisch oder Milchersatzprodukten geht. Und Foodtech ‚Made in Israel‘ ist nicht das einzige, was man in China auf dem Radar hat.

Als viel gepriesene Startup-Nation hat man schon vor geraumer Zeit das Interesse chinesischer Investoren geweckt – vor allem, wenn es um Entwicklungen im Technologiesektor geht. Die Beziehungen zwischen Israel und China werden auf wirtschaftlicher Ebene immer intensiver. Zwischen den Jahren 2002 und 2020 gab es laut einer Studie der Universität Tel Aviv 463 Unternehmenskäufe, Beteiligungen oder sonstigen Investitionen, wobei rund 19,5 Milliarden Dollar aus China nach Israel flossen. Knapp die Hälfte davon, und zwar 9,2 Milliarden Dollar, wurden in die Hightech-Industrie ausgegeben. Allein im Bereich Software und IT waren es 108 Deals, die für rund ein Viertel der Gesamtinvestitionen stehen. Aber auch andere digitale Lösungen rund um das Internet, Kommunikations- und Umwelttechnik oder Entwicklungen im medizinischen Bereich stehen auf der Liste der Einkäufer aus dem Reich der Mitte. Ein Beispiel: Für den israelischen Spieleentwickler Playtika bezahlte das chinesische Konsortium Alpha Frontier 2016 immerhin 4,4 Milliarden Dollar. Und was auffällig ist: 53 Prozent aller Investitionen wurden von Staatsunternehmen getätigt.

Aber nicht nur auf Shopping-Tour gehen die Chinesen. Bereits einige Jahre vor dem Beginn der sogenannten Belt and Road-Initiative, auch bekannt als ‚Neue Seidenstraße‘, einem gigantischen staatlichen Vorhaben, das in Asien, Afrika, aber auch in Ozeanien und Europa riesige Infrastrukturprojekte voranbringt, die – über günstige Kredite finanziert – ursprünglich als Rezept gedacht waren, Überkapazitäten in der chinesischen Stahl- oder Betonindustrie an den Mann zu bringen und so ganz nebenbei auch Chinas Einfluss in der Welt zu sichern, traten Staatskonzerne aus dem Reich der Mitte als Bewerber um Bauvorhaben in Israel in Erscheinung. Ein gutes Beispiel dafür ist die China Civil Engineering Construction Company, die den Gilon-Tunnel auf der Eisenbahnlinie zwischen Akko und Karmiel gebuddelt hat, sowie am Bau des Carmel-Tunnels bei Haifa sowie der roten Linie der neuen Tel Aviver Stadtbahn beteiligt war. Darüber hinaus haben chinesische Unternehmen – allesamt wie die Shanghai International Port Group in Staatsbesitz – ebenfalls den Zuschlag für das Management der Häfen von Haifa, Ashdod und Eilat erhalten. Jeder dieser Verträge hat eine Laufzeit von 25 Jahren, was für die Betreiber einer Lizenz zum Gelddrucken gleichkommt.

Wenn man heute in Tel Aviv neue Elektrobusse sieht, kann man ebenfalls davon ausgehen, dass diese aus China stammen. Und wer die seit Jahren geplante Schnellzugverbindung von Beer Sheva nach Eilat oder die „Med-Red“-Linie zwischen den Häfen von Ashdod und Eilat bauen wird, dürfte auch ziemlich klar sein. Auf der einen Seite schaffen es die chinesischen Wettbewerber bei Ausschreibungen in Israel stets die günstigsten Angebote zu haben, was nicht sonderlich verwundern darf – schließlich werden sie staatlich subventioniert. Das wiederum widerspricht eigentlich den Anti-Dumping-Regeln der Welthandelsorganisation WTO. Andererseits bieten die Unternehmen aus dem Reich der Mitte komplett schlüsselfertige Lösungen an und das klingt erst einmal verlockend. Im Regelfall bringen sie aber auch ihre eigenen Arbeiter aus China gleich mit. Israelis sind auf den von ihnen betriebenen Baustellen ohnehin eher selten zu sehen, weshalb das Arbeitsplatzargument kaum ziehen dürfte, wenn man chinesischen Firmen den Auftrag erteilt. Dennoch geschieht dies immer häufiger.

Last but not least sind da noch die großzügigen „Spenden“ an israelische Forschungseinrichtungen, wie die 130 Millionen Dollar, die das Technion in Haifa aus China erhielt, oder die 300 Millionen Dollar für die Kooperationsvorhaben der Universität Tel Aviv mit der aus Tsinghua. Auch auf diese Weise verschafft man sich Zugang zu israelischen Innovationen. Zudem erkauft sich Peking so reichlich Einfluß.
Für Israel ist das alles nicht ohne Risiko. Wenn zu viele chinesische Unternehmen in Israel in einem Bereich ihren Fuß in die Tür bekommen, beispielsweise in der Wasser- und Elektrizitätswirtschaft, wo aufgrund der anstehenden Privatisierungen bald viele Ausschreibungen anstehen, könnten diese als verlängerter Arm Chinas agieren und Druck aufbauen, falls man in Jerusalem etwas unternimmt, das Peking aus irgendwelchen Gründen nicht gefallen sollte. „Israel wird einen Tages teuer für die Investitionen aus China zahlen“, lautet denn auch die These von Michael Humphries, Dozent am am Jerusalem College of Technology – Lev Academic Center sowie Lehrstuhlinhaber für am Business Administration Department am Touro College Israel.

Denn wenn Staatskonzerne als Akteure im Spiel sind, geht es immer auch um Politik. „Als die Bright Food Group andere Investoren bei der Übernahme von Tnuva überbot, meldete das Außenministerium Bedenken gegen den Verkauf an die Chinesen an“, so der Experte. „Man befürchtete, dass es sofort zu diplomatischen Schwierigkeiten kommen könnte, sobald man in Israel versuchen würde, Tnuva in irgendeiner Form zu regulieren, beispielsweise durch Vorschriften der israelischen Wertpapierbehörde.“ Denn die Bright Food Group gehört dem chinesischem Staat. Und der reagiert äußerst allergisch darauf, wenn man seinen Firmen Grenzen aufzeigen möchte. Für Humphries sind das alles gute Gründe, warum man Staatsunternehmen auch bei Ausschreibungen für Infrastrukturprojekte mit äußerster Vorsicht betrachten sollte. Neu sind diese Diskussionen nicht wirklich. Bereits 2013 hatte Ex-Mossad-Chef Ephraim Halevy erklärt, dass zu viel Engagement Pekings in Israel eine potenzielle Gefahr werden könnte, weshalb er sich damals gegen eine Beteiligung chinesischer Unternehmen bei der Planung der bis heute noch nicht gebauten Eisenbahnverbindung nach Eilat aussprach.

Bedenken gegen zu viel chinesische Präsenz in Israel meldeten ebenfalls die Vereinigten Staaten schon mehrfach an. Als im August Ministerpräsident Naftali Bennett ins Weiße Haus nach Washington reiste, gab es auch ein Treffen mit dem CIA-Direktor Bill Burns. Man habe Befürchtungen, dass sensible Technologien oder Daten durch die Beteiligungen an israelischen Unternehmen in die Hände Pekings geraten könnten, hieß es. Selbst die Tel Aviver Stadtbahn wurde in diesem Kontext genannt. „Wir haben den Amerikanern mehrfach gesagt, dass selbstverständlich auch US-Unternehmen bei Ausschreibungen für große Infrastrukturprojekte immer willkommen sind“, lautete dazu die Antwort von israelischer Seite. „Aber sie hatten sich einfach nicht beworben.“ Dabei geht es weniger um eine Benachteiligung amerikanischer Firmen, sondern stets um die sicherheitspolitischen Aspekte der chinesischen Investitionen in Israel. Auch ist das Thema ein altes. Bereits seit den Tagen der Präsidentschaft von Bill Clinton gab es immer wieder Ärger, so bald Jerusalem und Peking zu gut ins Geschäft kamen, vor allem bei Rüctungegesschäften. Stets drehte sich dabei alles um den Transfer von Know-how nach China, den die Vereinigten Staaten kritisch sehen.

2020 wurde man dabei sehr deutlich. „Wir wollen, dass das chinesische Volk erfolgreich ist, aber wir wollen nicht, dass die Kommunistische Partei Chinas Zugang zur israelischen Infrastruktur und zu den israelischen Kommunikationssystemen hat – allesamt Entwicklungen, die ebenfalls für Israels Bürger ein Risiko sein können – und in Konsequenz auch die Voraussetzungen dafür gefährden, dass wir mit Israel bei wichtigen Projekten weiter zusammenzuarbeiten“, so der damalige US-Außenminister Mike Pompeo bei seinem Besuch in Jerusalem. Infolge dieser vielfachen Kritik hat man in Israel bereits im Oktober 2019 beschlossen, ausländische Investitionen stärker daraufhin zu screenen, inwieweit sie Fragen der nationalen Sicherheit berühren könnten. Genau diese gilt es nämlich mit wirtschaftlichen Überlegungen in Einklang zu bringen. Doch das Ganze basiert auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Es gibt keine entsprechenden Gesetze, so dass allenfalls Empfehlungen ausgesprochen werden.

Auf jeden Fall wird die Frage des richtigen Umgangs mit ausländischen, in diesem Fall vor allem chinesischen Unternehmen, bei den nächsten Ausschreibungen an Brisanz gewinnen. Denn in den kommenden zehn Jahren will man satte 110 Milliarden Schekel, umgerechnet über 30 Milliarden Euro, für neue Eisenbahnen, Nahverkehrssysteme oder einen weiteren Flughafen ausgeben. All das weckt Begehrlichkeiten und macht es erforderlich, dass Israel im Hinblick auf die möglichen chinesischen Akteure, die sich bewerben werden, das Screening bereits in der Ausschreibungsphase so verbessert, damit Risiken für die Sicherheit des Landes und potenzielle Krisen mit dem Bündnispartner USA, aber auch ein Gesichtsverlust gegenüber China vermieden werden – ein gewiss interessanter Drahtseilakt.

Bild oben: Einfahrt zum Carmel-Tunnel in Haifa, (c) Hanay / CC BY-SA 3.0