Antisemitismus in der Geschichte – eine gelungene Überblicksdarstellung

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Der Soziologe Achim Bühl legt ein zweibändiges Werk zur Geschichte des Antisemitismus vor, wobei er in systematischer Form die jeweiligen Phänomene komprimiert und stringent beschreibt und einschätzt. Diese Eigenschaften machen aus seinen beiden Monographien ein nützliches Nachschlagewerk, auch wenn in Einzelfällen bestimmte Themen fehlen oder nur randständig vorkommen.

Von Armin Pfahl-Traughber

Antisemitismus in der Geschichte ist bereits in vielen Monographien thematisiert worden. Die bekannteste Darstellung stammt von Léon Poliakov in einem achtbändigen Werk. Lediglich zwei Bände benötigte Achim Bühl, wobei es einmal um „Antisemitismus. Geschichte und Strukturen von der Antike bis 1848“ und einmal um „Antisemitismus. Von 1848 bis heute“ ging. Bühl ist Soziologe, was mit seinen Blick auf die Funktionen erklärt. Im ersten Band nimmt er auch eine Definition vor, wonach Antisemitismus eine Form von Rassismus sei und mit sich antagonistisch gegenüberstehenden Gruppen einhergehe. Gleichzeitig lehnt der Autor damit die Fixierung auf folgenden Gegensatz ab: einen religiösen Antijudaismus und einen biologistischen Rassismus. Dabei handele es sich um eine dichotome Gegenüberstellung, welche die Existenz epocheübergreifender Ideologeme ignoriere. Dieser Auffassung kann man grundsätzlich zustimmen, verbunden mit einer Ergänzung: Ansonsten würden so Formen wie die kulturelle oder sozioökonomische Judenfeindschaft nicht erfasst.

Die Antike bildet den Ausgangspunkt des ersten Bandes, wobei aber gefragt werden kann, ob hier bereits allgemeine Gruppenkonflikte für ein antisemitisches Phänomen im modernen Sinne standen. Der Autor sieht bereits eine derartige Feindschaft in der vorchristlichen Zeit als präsent an. Besondere Aufmerksamkeit erhält danach das frühe Christentum, wo die Grundlage für spätere judenfeindliche Stereotype entstand. Diese bildeten sich dann für Bühl im Mittelalter verstärkter heraus, waren doch die Hostienfrevel- und Ritualmordlegenden wirkmächtige Themen. Bei den Ausführungen zur frühen Neuzeit bis zur Aufklärung findet sich auch ein längeres Kapitel, das die Einstellung Martin Luthers gegenüber den Juden thematisiert und relativierende Sichtweisen auf das Thema widerlegt. Auch den Antisemitismus bei den Aufklärern als deren Schattenseite spricht der Verfasser an. Und schließlich geht es um Nationalismus und Romantik, wobei der Antisemitismus einzelner Personen wie etwa von Richard Wagner thematisiert wurde.

Der zweite Band setzt mit der Entwicklung ein, die von der Mitte des 19. Jahrhundert bis 1918 reicht. Dort findet man auch einen analytisch interessanten Abschnitt zum Antisemitismus als Manichäismus, aber auch Ausführungen zur Judenfeindschaft in Karikatur und Literatur oder in Österreich und Russland. Der Antisemitismus der Zwischenkriegszeit wird danach nur kurz behandelt, wobei aber auch die Bedeutung von Henry Ford mit seiner Schrift „Der internationale Jude“ thematisiert wird. Indessen kommt der Antisemitismus in der Weimarer Republik dann doch etwas zu kurz. Die größte Aufmerksamkeit erfährt danach die Judenfeindlichkeit der Nationalsozialisten, wobei Bühl betont, dass dort von Anfang an eine Eliminatorik angelegt gewesen sei. Er beschreibt die Entwicklung in vier Etappen von der Feindmarkierung bis zur Vernichtungspolitik. Und schließlich geht es um den Post-Shoah-Antisemitismus in Deutschland nach 1949 bis in die Gegenwart hinein, wobei die Ergebnisse der empirischen Sozialforschung aber kein breiteres Thema sind.

In beiden Bänden ist Bühl das Kunststück gelungen, komplexe Ereignisse auf engem Raum in systematischer Weise darzustellen und einzuschätzen. Den einzelnen Kapiteln wurde jeweils eine problemorientierte Zusammenfassung hinzugefügt. Dadurch werden beide Bände auch zu einem guten Nachschlagewerk. Bedauerlich ist, dass die einzelnen Informationen nicht genauer nachgewiesen werden, ist dies doch nur bei den Quellenzitaten so. Indessen scheint dies eine Verlagsvorgabe zu sein und muss nicht dem Verfasser zugeschrieben werden. Auffällig ist, dass einige Themen fehlen. Dazu gehört etwa der Antisemitismus unter Muslimen und in der islamischen Welt. Die Judenfeindschaft von links wird zwar angesprochen, aber nur sehr kurz hinsichtlich des Linksterrorismus und der Sowjetunion behandelt. Und dann stellt sich noch die Frage, ob der Antisemitismus hier als Form des Rassismus zutreffend bezeichnet wird. Dies setzt ein sehr weites Rassismus-Verständnis voraus, wodurch die Bezeichnung zu unangemessenen Verständnissen führen kann.

Achim Bühl, Antisemitismus. Geschichte und Strukturen von der Antike bis 1848, Wiesbaden 2019 (Marix-Verlag), 224 S., Euro 10,00
Achim Bühl, Antisemitismus. Geschichte und Strukturen von 1848 bis heute, Wiesbaden 2020 (Marix-Verlag), 224 S., Euro 10,00