Paraschat haSchawua: Nasso

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Wer will keinen Frieden? Natürlich ist das eine rhetorische Frage. Es gibt nicht viele Menschen, die von einem unfriedlichen Zustand profitieren: das sind in der Regel machtbesessene Potentaten. Man muss schon etwas tun, um Frieden zu erreichen, sowohl auf persönlicher wie insbesondere auch auf nationaler Ebene…

Nasso Numeri, Kap. 4, 21 – 7 Schabbat, 22. Mai 2021

Der Frieden kommt nicht von selbst, er kann nicht herbeigezaubert und auch nicht herbeigesungen werden, wie es die Juden in Israel mit Begeisterung versuchen. Die gesangliebenden Israeli haben einen mitreißenden Schlager produziert, dessen Text teilweise der Bibel entnommen wurde. „Der Frieden schafft in seinen Höhen“, heißt es da (Hiob 25, 2). Der Schlagerkomponist hat hinzugefügt: „Der wird über uns und über ganz Israel Frieden bringen; und saget Amen“.

Das hört sich wie ein Gebet an, indem die Zuversicht ausgedrückt wird, dass Gott den ersehnten Frieden schon herbeischaffen wird. Selbst wenn lediglich eine Hoffnung hiermit ausgedrückt werden soll, ist dies eine kognitiv trügerische Hoffnung. Gott schafft zwar Frieden in den Höhen, wie es da heißt (wobei damit wahrscheinlich die himmlische Ordnung gemeint ist) und das tut er offensichtlich sehr gut, denn die himmlischen Körper oder Wesenheiten (wer es so ausdrücken will) besitzen keine menschlichen Gefühle wie Begierde, Liebe, Eifersucht, Hass etc., und selbst wenn Gott diesen von den Israeli gewünschten Frieden herbeischaffen wollte, müsste er die menschliche Natur ändern. Der Mensch, den er am sechsten Schöpfungstag geschaffen hat, den gäbe es nicht mehr, sondern eher ein willenloses, eigenschaftsloses Geschöpf, das sicherlich von keinem lebenden Menschen erwünscht wäre.

In unserer Parascha gibt es eine Stelle, die, wenn sie auch von vielen Menschen missverstanden und von manchen geldgierigen Subjekten missbraucht wird, den gutmeinenden Gläubigen Hoffnung und Trost spenden kann. Das ist der priesterliche Segen: Und der HERR redete mit Mose und sprach: Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet: Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden (4. Moses Kap. 6, 24).

Mit diesem poetischen Spruch wird die Gemeinde von den Priestern am Schabbat gesegnet. Auch in frommen jüdischen Familien ist es Brauch, dass der Familienvater die Kinder am Freitagabend vor dem Beginn der Schabbat-Feier segnet.

Leider hat sich durch diese Bräuche im Laufe der Jahrhunderte der irrige Glaube verbreitet, Menschen seien in der Lage, mit diesem Spruch oder mit anderen Sprüchen einen göttlichen Segen zu erwirken, wobei sie gerne vergessen oder bewusst ignorieren, das am Ende dieses Befehls an Moses der Hinweis steht: So sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.

Das bedeutet: Der Priester, aber wer immer auch, kann lediglich Gott bitten, seinen Segen den Menschen zu schenken, aber den Segen selbst kann nur ER bewirken. Es wird an dieser Stelle um Segen, Gnade und Frieden gebeten, wobei es um den seelischen und persönlichen Frieden geht, und insofern ist dieses Gebet in der Lage, dem Menschen, der sich in Not befindet, Hoffnung und Zuversicht zu geben. Deshalb wurde es auch vom Christentum übernommen.

Schabbat Schalom

Dr. Gabriel Miller absolvierte umfangreiche rabbinische und juristischen Studien, war Leiter der Forschungsstelle für jüdisches Recht an der Universität zu Frankfurt am Main, Fachbereich Rechtswissenschaft. Außerdem gibt er die bei den Lesern von haGalil längst gut bekannte Website juedisches-recht.de heraus.

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