Anfrage an Staatsanwaltschaft und Gesellschaft – Anlässlich des nicht vollstreckbaren Haftbefehls gegen Attila Hildmann

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Nachdem Attila Hildmann ein Jahr lang über diverse Medienkanäle rechtsradikale und antisemitische Hetze verbreiten konnte, muss man feststellen, dass das Handeln des Staates zu zögerlich ausgefallen ist. Inzwischen konnte Hildmann ein luxuriöses Anwesen in der Türkei beziehen und sendet „sonnige Grüße“ an die Staatsanwaltschaft, die mitteilt, dass mit einer zeitnahen Vollstreckung des Haftbefehls gegen Hildmann nun nicht mehr zu rechnen ist.

Von Andrea Livnat und Miriam N. Reinhard

Lange konnte man sich nicht entschließen, der Hetze Attila Hildmanns mit aller Deutlichkeit entgegen zu treten. Natürlich müssen Aussagen sorgfältig geprüft werden, bevor juristische Konsequenzen auf sie folgen – dennoch fragen wir uns:

Welche Möglichkeiten der Interpretation und Deutungsvielfalt hat man in Hildmanns Beiträgen denn sehen wollen, die eine so ausgiebige Überprüfung erforderlich machten?  

Hat man denn ernsthaft annehmen wollen, dass Hildmann, wenn er monatelang gegen die „Illuminaten“ hetzt, damit von dem Fortbestehen eines bayerischen Geheimordens ausgeht, der seit 1785 nicht mehr existiert?

Hat man hinter seinen hasserfüllten Ausführungen über eine angebliche „Hochfinanz“ vielleicht Kapitalismuskritik vermutet, die unter Meinungsfreiheit fällt?

Ist man bei seinen Monologen über „Satanisten“ wirklich von der Möglichkeit ausgegangen, dass Hildmann bloß über eine Art Subkultur referieren möchte und sich nur in der Zugehörigkeit zu ihr geirrt hat, wenn er alle möglichen Politiker:innen oder Personen des öffentlichen Lebens einer solchen Szene zugerechnet hat?

Hat man hinter seinen Endlostiraden über die „Zionisten“ einen bloß stilistisch verfehlten Debattenbeitrag zu Theodor Herzl herausgehört?

Seit Attila Hildmann sich in der Türkei befindet, geht er nicht mehr davon aus, seine nazistische antisemitische Ideologie weiterhin codieren zu müssen. Er leugnet nun ganz explizit den Holocaust, er redet von der BRD als einer „Judenrepublik“, er redet von Juden als „Weltfeinde“, „Parasiten und Ratten“, konstatiert, dass Juden „keine Menschen“ seien, sondern eine „wesensfremder Rasse, die die Völker aussaugt“. Außerdem fordert er seine Follower:innen dazu auf, sich zu bewaffnen.

Wir denken, dass das alles schon lange vorher hörbar gewesen ist, schon Monate bevor man Hildmann ein einziges Mal die technischen Geräte zur Gefahrenabwehr weggenommen hat und damit eine „Sendepause“ verursachte, die keine 24 Stunden anhielt.

Wir fragen uns, wie man jetzt und in Zukunft damit umgehen will, wenn rechtsradikale antisemitische Hetze codiert ertönt und der Staat sich deswegen offensichtlich nicht zum raschen Eingreifen berufen fühlt.

Die Reichweite von Hildmann ist aus der Türkei nach wie vor hoch, die Wirkung seiner Worte ist sicher nicht zu unterschätzen.

Wir hören und lesen seine Nachrichten weiterhin mit Entsetzen und Wut, aber auch zunehmend mit Resignation und Ohnmachtsgefühlen.

 

Wir erinnern uns daran, dass Walter Lübcke am 2. Juni 2019 von einem Rechtsextremisten hingerichtet worden ist. Er geriet ins Visier, weil er sich als Politiker für Geflüchtete engagierte und Rechtspopulisten vehement widersprach. Im Internet hat der Mord an ihm auch Beifall gefunden.

Wir erinnern uns an Jana Lange und Kevin Schwarze, die am 9. Oktober 2019 in Halle von einem Rechtsextremisten ermordet wurden. Sie wurden ermordet, nachdem der hasserfüllte Täter nur von einem gut gesicherten Türschloss daran gehindert werden konnte, ein Massaker in einer Synagoge anzurichten. Er streamte seine Tat live, er wollte eine heroische Figur in seinen Netzwerken werden.

Wir erinnern uns an Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili-Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov, die in Hanau am 19. Februar 2020 von einem rechtsextremistischen Täter ermordet worden sind. Mit seinem Rassismus sprach er ihnen das Existenzrecht ab. Seine extremistischen Pamphlete konnte er zuvor über das Internet verbreiten.

Das Gedenken an die Opfer verpflichtet.

Nach all diesen Taten hat man erschüttert versichert, Hass und Hetze im Internet in Zukunft rechtzeitig zu stoppen.

Attila Hildmann hat Deutschland verlassen können, weil der Rechtsstaat nicht entschieden war. Möglicherweise wird er sich niemals vor einem deutschen Gericht für all seinen Hass und seine Straftaten verantworten müssen. Das Problem der rechtsradikalen Hetze, des Hasses, des Antisemitismus ist aber auch ohne Hildmann weiterhin in Deutschland präsent – es dokumentiert sich auf unzähligen Internetseiten und Telegramgruppen täglich.

Wissen unsere Behörden davon? Haben sie das technische Knowhow, das Personal und die Zeit, dieser Hetze auf den Grund zu gehen? Haben sie das Wissen und den Willen, um codierten Hass zu dechiffrieren und Konsequenzen daraus zu ziehen? Oder sind sie auf die Recherche und Interpretationen von Privatpersonen angewiesen, wie es bei Hildmann zum Teil der Fall gewesen ist?

Wir sorgen uns um die Wehrhaftigkeit unseres Staates, um das Zusammenleben in Vielfalt und Frieden.

Rechtsradikales Gedankengut ist auch ein strukturelles gesamtgesellschaftliches Problem. Es betrifft nicht nur die fanatisierten Ränder unserer Gesellschaft – es ist ein Problem, das schon immer auch in ihrer Mitte zu finden gewesen ist, auch von dort Legitimation und Duldung erfuhr. Das Problem wird bleiben, solange wir uns mit ihm arrangieren.

Wann also wollen wir handeln und wie?


Bild: Hildmann im August 2020, (c) Leonhard LenzCC0 1.0 Universal Public Domain Dedication

4 Kommentare

  1. Hi ihr Lieben,

    sehe ich ein bißchen Anders.

    Ich kenne keine überzeugende Staatsform ohne 20% Spinner, Hetzer oder einfach nur Leuten, die Glauben es besser zu können, ohne sich an die Regeln zu halten.
    Man kann diese Leute, je nachdem, sofort ermorden, einsperren oder drangsalieren. Die entsprechende Gesetzgebung regelt dies.
    Lebe aber definitiv lieber in einem Land, welches -auch länger- prüft und ermittelt, statt direkt zu handeln. Es mag sein, daß dies mit Strauß und Ratten und Schmeißfliegen zu tun hat, es mag sein, daß dies mit der Entwicklung in diesem Land zu tun hat, bin aber fest davon überzeugt, daß Bücherverbrennungen oder Internetzensur nicht zur Entwicklung einer Gesellschaft beitragen.

    Unsere Aufgabe sollte sicherlich weiterhin die Reduzierung der Anfälligen sein, die man nicht durch Verbote erreicht.

    Ob der Blödel im Luxushaus in der Türkei wohnt, geht mir zumindest am A… vorbei. Gehe bei der ausgeprägten Selbstdarstellung von einem baldigen Diskurs mit der türkischen Justiz aus.

    • Wer will denn „Bücherverbrennungen oder Internetzensur“? Du unterstellst uns hoffentlich nicht, dass wir das wollen?
      Wir sind für die Verfolgung von Strafbarem und die Verhinderung von Gewalt, Bücher wollen wir nicht verbrennen und auch das Internet nicht zensieren…
      Viele Grüße
      Andrea

    • Liebe Ente,

      du schreibst: Zitat „Lebe aber definitiv lieber in einem Land, welches -auch länger- prüft und ermittelt,…“ Zitat Ende. Nun ja, wenn ich ein bisschen sarkastisch einwenden darf: Enten gelten ja landläufig nicht als besonders schnell. Kann also sein, dass das daran liegt.

      So, und nun zu den Fakten: Wie kann es sein, dass Ermittlungen, die ein ganz bestimmtes politisches Spektrum betreffen, besonders lange andauern? Weil ja so umfangreich geprüft werden muss? Die Aussagen eines Herrn Hildmann sind eindeutig und nachgewiesen. Da gibt es nichts zu prüfen. Denn bei Staftaten aus einem anderen politischen Spektrum können die Ermittlungsbehörden nämlich ziemlich flott agieren. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Und wenn ich lese, dass eine Berliner Staatsanwältin bei den sogenannten „Querdenkern“ demonstriert (https://www.tagesspiegel.de/berlin/wollt-ihr-den-totalen-lockdown-berliner-staatsanwaeltin-demonstriert-mit-reichsbuergern-und-querdenkern/26619624.html), kommen in mir seltsame Gedanken hoch. Zum Beispiel solche, die den Verdacht aufkommen lassen, das in den Ermittlungsbehörden Personen mit einer entsprechenden politischen Ãœberzeugung arbeiten. Auf dem rechten Auge blind? Nun ja, war nur ein Gedanke.

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