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Antisemitismus im (Schul-)Alltag

Erfahrungen und Umgangsweisen jüdischer Familien und junger Erwachsener…

Die Studie „Antisemitismus im (Schul-)Alltag – Erfahrungen und Umgangsweisen jüdischer Familien und junger Erwachsener“ wurde von 2017 bis 2020 unter Leitung von Marina Chernivsky und Dr. Friederike Lorenz sowie unter wissenschaftlicher Mitarbeit von Johanna Schweitzer am Fachbereich Forschung des Kompetenzzentrums durchgeführt. Die Umsetzung der Studie wurde durch einen Wissenschaftlichen Studienbeirat begleitet. In der Forschung wurden die Perspektiven auf Antisemitismus von Jüdinnen*Juden im jungen Erwachsenenalter und in der Elternrolle untersucht. Neben Einschätzungen und Erfahrungen zum schulischen Kontext haben die Gesprächspartner*innen in den Interviews über ihre Wahrnehmung der gesellschaftlichen Situation in Deutschland gesprochen.

Alle Interviewpartner*innen antizipieren potenziell gewaltförmige Situationen und viele von ihnen haben Antisemitismus erlebt. In den Interviewerzählungen überwiegen Erinnerungen an verbale Formen des Antisemitismus, wie Grenzüberschreitungen, Identitätszuordnungen und vermeintliche Witze. Die Schilderungen gewaltförmiger Sprachhandlungen gehen teilweise in Erinnerungen an existenzielle Bedrohungserfahrungen durch körperliche Gewaltandrohungen über.

Viele der interviewten ehemaligen Schüler*innen fühlten sich mit ihren Erfahrungen allein gelassen. Aus ihrer Sicht zeigten sich Lehrer*innen oftmals indifferent und konnten die antisemitischen Dynamiken in konkreten Situationen nicht eindeutig erkennen. Die Interviewpartner*innen nahmen hier zum Teil eine Überforderung ihrer Lehrer*innen wahr, mit Antisemitismus umzugehen. Als Strukturmerkmale gelingender Intervention durch Lehrer*innen und Schulleitungen heben die Interviewten folgende Aspekte hervor:

Die grundsätzliche Signalisierung von Offenheit für Meldungen von Antisemitismus durch Schüler*innen und Eltern, die Ernstnahme von Hinweisen auf antisemitische Situationen, zeitnahe Reaktionen sowie einen transparenten Umgang mit Beschwerden. Insgesamt zeigt sich am Datenmaterial, dass antisemitische Strukturen biografische Entscheidungen von Jüdinnen*Juden in Deutschland beeinflussen. Deutlich wird
eine große Bandbreite an subjektiven Umgangsweisen mit Antisemitismus. Diese sind zu berücksichtigen, um Erfahrungen von Jüdinnen*Juden nicht zu homogenisieren.

Stellungnahme von Prof. Dr. Samuel Salzborn, Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus und Mitglied im Wissenschaftlichen Studienbeirat: „Die qualitative Studie unterstreicht die Notwendigkeit, die Perspektive von Jüdinnen und Juden auf Antisemitismus endlich ernst zu nehmen – und nicht zu trivialisieren oder bagatellisieren. Antisemitismus beginnt nicht erst bei der Tat, dieser geht immer antisemitisches Denken voraus. Und antisemitische Diskriminierung beginnt nicht erst beim Gewaltakt, sondern bei Worten, Grenzüberschreitungen, vermeintlichen Witzen oder andeutungsvollem Raunen. Der Alltag innerhalb und außerhalb von Schulen bedarf der Sensibilität aller mit Blick auf antisemitische Diskriminierungen und der Solidarität mit Jüdinnen und Juden – gegen den offenen, aber auch gegen den latenten Antisemitismus.“

Das Kompetenzzentrum ist ein Institut für Bildung und Forschung mit Sitz in Berlin und bundesweiter Ausrichtung. In Kooperation mit dem Arbeitsbereich Sozialpädagogik der Freien Universtität Berlin führt das Kompetenzzentrum seit 2017 Forschungsprojekte zu Antisemitismus in der Gegenwartsgesellschaft durch. Seit Januar 2020 ist das Kompetenzzentrum in Trägerschaft der ZWST zusammen mit vier weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen Mitglied im „Kompetenznetzwerk Antisemitismus“, gefördert durch das Bundesprogramm „Demokratie Leben!“ und das BMFSFJ.

Der gesamte Forschungsbericht „Antisemitismus im (Schul-)Alltag“ ist auf der Website des Kompetenzzentrums als Download verfügbar: https://zwst-kompetenzzentrum.de/antisemitismus-im-schul-alltag/