Peter Schäfers „Kurze Geschichte des Antisemitismus“

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Bücher zur Geschichte des Antisemitismus gibt es viele. Meist stammen sie von Historikern oder Politikwissenschaftlern, während Judaisten weniger zu solchen Verfassern gehören. Eine Ausnahme stellt die „Kurze Geschichte des Antisemitismus“ von Peter Schäfer dar…

Von Armin Pfahl-Traughber

Der Autor gehört zu Deutschlands führenden Judaisten, lehrte in Berlin und Princeton und war Direktor des Jüdischen Museums in Berlin. Die letztgenannte Funktion löste indessen immer wieder Kritik aus, sodass er von seinem Vertrag zurücktrat. Wie angemessen die Einwände gegen seine Leitung des Museums waren, soll hier nicht erörtert und kommentiert werden. Denn es geht ausschließlich um sein Buch, worin aber keine genauere Antisemitismus-Definition vorgenommen wird. Schäfer meint lediglich: „Antisemitismus beginnt in dem Augenblick, in dem die Juden als eine ethnische Gruppen mit eigenen religiösen und kulturellen Gewohnheiten, Ansprüchen, Gebräuchen wahrgenommen werden“ (S. 9). Dies ist eine etwas diffuse, inhaltlich unterkomplexe und wenig trennscharfe Begriffsbestimmung.

Dann folgen acht historisch-chronologisch ausgerichtete Kapitel, die mit der griechisch-römischen Antike einsetzen. Hier wird eine interessante Blickausweitung deutlich, entstand der Antisemitismus doch für den Autor nicht erst im Christentum. Er zeigt anschaulich auf, dass bereits in der Antike eine Diffamierung der Juden als Menschenfeinde einsetzte. Schon damals sei „eine radikale antisemitische, über bloße Judenfeindschaft hinausgehende Vernichtungspraxis begründet“ (S. 25) worden. Leider bleibt der Autor hier sehr kursorisch. Hinzu kommt, dass sein diffuses Antisemitismus-Verständnis nicht zwischen religiösen Gruppen-Konflikten und ideologischen Hassbildern zu unterscheiden vermag. Gleichwohl werden neue Denkperspektiven von Schäfer eröffnet. Danach fällt der Blick auf das Neue Testament, worin Jesu für eine innerjüdische Polemik und Paulus für einen christlichen Antisemitismus stünde. Dem folgen dann Kapitel zur christlichen Spätantike und zum christlichen Mittelalter, habe diese Ausrichtung dann doch größere Verbreitung gefunden.

Dazwischen geschaltet ist ein Islam-Kapitel, was später in der Einschätzung mündet: „Aus der Religion des Islam … lässt sich ein genuin islamischer Antisemitismus nicht begründen …“ (S.283). Dazu gibt es aber gegenteilige Auffassungen in der Literatur, die eine genauere Reflexion verdient gehabt hätten. Antisemitismus als bloßes Export-Phänomen anzusehen, greift nicht nur für die arabische Welt zu kurz. Dem folgend wird die frühe Neuzeit, die Ära der Aufklärung und Emanzipation, aber auch die des Nationalismus und Rassismus behandelt. Hier finden sich allgemein bekannte Darstellungen, während bezogen auf die vorchristliche Phase neueres vorgetragen wird. Gleichwohl gibt es dort auch eine treffende Einschätzung zur historischen Relevanz der Schoah: Sie sei kein bloßer Bruch der Zivilisation. „Die Schoah ist in Wirklichkeit der Absturz oder noch genauer das Ende der Zivilisation, so wie wir sie kennen. Seitdem sind alle Grundannahmen, alle Sicherheiten unserer Zivilisation zerbrochen, liegen in Scherben und können nicht einfach wieder zusammengekittet werden“ (S. 262).

In den letzten Kapiteln geht es auch um gegenwärtige Kontroversen, worin Schäfer als Museumsdirektor selbst verstrickt war. Darauf geht er indessen nicht ein. Der Autor spricht die Frage an, wo Kritik an Israel antisemitisch wird. Es gehe dabei um Äußerungen, „die sich gegen den Staat Israel als Staat der Juden richten und diesem Staat das Existenzrecht absprechen“ (S. 281). Indessen hätte man sich auch hier eine genauere Erörterung gewünscht. Später macht er diesen Gesichtspunkt zum entscheidenden Kriterium. Überträgt man ihn auf die Boykottbewegung gegen Israel, dann müssten aber sehr wohl bedeutende Akteure der BDS-Bewegung so eingeschätzt werden. Aber hier positioniert sich Schäfer doch nicht klar. Berechtigt weist er immer wieder auf Defizite von offiziellen Sichtweisen hin, sei es die Antisemitismus-Definition der IHRA, sei es die Bundestagsentscheidung zu BDS. Dies geschieht aber jeweils ohne genauere Erörterung. Insofern enttäuschen diese Aussagen, während die zu Frühformen der Judenfeindschaft stärkere Wahrnehmung verdienen.

Peter Schäfer, Kurze Geschichte des Antisemitismus, München 2020 (C. H. Beck-Verlag), 335 S., Bestellen?